Drei Waffen, zehn Tote Der Hanauer Täter und das Waffenrecht
21.02.2020, 13:55 Uhr
Eine der Waffen, die der Hanauer Täter offenbar hatte: eine SIG Sauer P226.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach Taten wie denen von Hanau stellt sich die Frage: Warum hatte der Schütze die Waffen überhaupt? War das legal? Im Fall von Tobias R. kommt noch die nach seiner seelischen Gesundheit hinzu.
Der mutmaßliche Todesschütze von Hanau besaß die Waffen, mit denen er zehn Menschen und anschließend sich selbst tötete, legal. Für eine waffenrechtliche Besitzerlaubnis musste Tobias R. nicht nur persönliche Angaben zu seinem Beruf und seinem Familienstand machen, sondern auch angeben, welche Schusswaffen er erwerben wollte oder bereits besaß. Außerdem musste er Auskunft geben, wie er die Waffen aufbewahren wollte, ob er bereits eine Sachkundeprüfung abgelegt hatte und ob möglicherweise Gründe gegen eine körperliche oder geistige Eignung sprachen.
Der 43-Jährige erhielt seine waffenrechtliche Besitzerlaubnis nach Auskunft der zuständigen Kreisbehörde 2013. Ein Jahr später wurde die erste Waffe darauf eingetragen. Zuletzt waren in seiner Waffenbesitzkarte zwei Waffen eingetragen, bestätigte ein Sprecher des Main-Kinzig-Kreises in Gelnhausen. Medienberichten zufolge soll er jedoch mindestens drei Waffen besessen haben, darunter eine Walter PPQ und eine SIG Sauer P226.
Bei ihnen handelt es sich demnach um Pistolen mit einer schnellen Schussfolge, die SIG Sauer verwenden auch Sondereinsatzkommandos der Polizei in Nordrhein-Westfalen. R. könnte diese Waffen mit dem Ziel verwendet haben, möglichst viele Menschen in kurzer Zeit zu töten, so die "Bild"-Zeitung". Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hatte zuvor berichtet, R. habe eine Glock 17 im Kaliber 9 mm Luger legal in einem Internetshop gekauft. Die gleiche Pistole hatte auch der Attentäter verwendet, der 2016 im Münchener Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss.
Verschärftes Waffenrecht
Zuletzt war die Waffenbesitzerlaubnis des Mannes im Jahr 2019 überprüft worden. Dabei werde etwa geschaut, ob die Waffen ordnungsgemäß aufbewahrt werden, sagte der Kreissprecher. Offenbar hatte die Behörde nichts zu beanstanden.
Erst am Donnerstag war eine Verschärfung des Waffenrechts in Kraft getreten. Künftig müssen Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben. Mitglieder einer verfassungsfeindlichen Vereinigung können als "waffenrechtlich unzuverlässig" eingestuft werden. Das soll Extremisten den Zugriff auf Waffen erschweren. Allerdings war der mutmaßliche Täter von Hanau nach bisherigen Erkenntnissen ein sogenannter "einsamer Wolf", ein Einzeltäter, der sich ideologisch klar verortet, aber nicht mit Gesinnungsgenossen organisiert. Über R. gab es keine Erkenntnisse, auch war er vorher nicht auffällig geworden. Für diesen Tätertyp greifen die Neuregelungen kaum.
Das verschärfte Waffenrecht ist Teil des Maßnahmenpakets gegen Rechtsextremismus, das die Bundesregierung nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle auf den Weg gebracht hatte. Den neuen Regelungen zufolge müssen Jäger und Sportschützen nach fünf und dann noch einmal nach zehn Jahren nachweisen, dass ihr "Bedürfnis" nach Waffenbesitz fortbesteht. Auch das wäre dem Schützen von Hanau vermutlich nicht schwergefallen.
"Hinter die Stirn schauen"?
Tobias R. trainierte regelmäßig zwei bis drei Mal in der Woche im Schützenverein Diana Bergen-Enkheim. "Er war total unauffällig", sagte der Vorsitzende des Vereins, Claus Schmidt, RTL. Seit 2012 war R. Mitglied des Vereins, er sei immer "nett und freundlich" gewesen. Niemand hatte demnach Anzeichen dafür gesehen, dass der Mann ausländerfeindliche oder rassistische Ansichten hegte. Er habe mit eigenen Waffen geschossen, was aber üblich sei. Dass Tobias R. im Internet wirre Gedanken und abstruse Verschwörungstheorien äußerte, sei nicht bekannt gewesen. "Mit dem konnte man sich ganz vernünftig unterhalten", sagte Schmidt.
Der Verein verlangt seit fünf Jahren von Bewerbern ein Führungszeugnis, das nicht älter als sechs Monate sein darf. Außerdem gibt es ein persönliches Gespräch über die Motivation und den persönlichen Hintergrund des Bewerbers. R. hatte dieses Verfahren bei seinem Eintritt noch nicht durchlaufen. Man versuche alle Vorgaben zu erfüllen, "hinter die Stirn schauen" könne aber keiner, so ein Vorstandsmitglied.
Möglicherweise hätte man auf R. aufmerksam werden können, wenn es einen Datenabgleich mit seinen Anzeigen bei deutschen Sicherheitsbehörden gegeben hätte. Darin hatte der Todesschütze beschrieben, dass seine Gedanken von einer Geheimorganisation überwacht würden. Ob der Datenschutz diesen Abgleich nicht zuließ oder niemand auf die Idee kam, ist noch unklar. Inzwischen gehen die Ermittler davon aus, dass der Hanauer Täter psychisch krank war. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sprach in Berlin auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich "schweren psychotischen Krankheit". Diese Tatsache hätte den Waffenbesitz eigentlich ausgeschlossen.
Insgesamt sind derzeit in Deutschland mehr als eine halbe Million Schusswaffen legal in Privatbesitz, berichtet die "Bild"-Zeitung. Im Nationalen Waffenregister seien zum Jahresende 2019 genau 5.444.029 Schusswaffen in Privatbesitz verzeichnet gewesen. Das seien 2,06 Prozent mehr als noch 2015.
Quelle: ntv.de