Politik

Frankreichs Linke wählt Der Widerspenstigen Zähmung

Emmanuel Macron zu wählen schmerzt manchen Linken. Doch es gilt Marine Le Pen zu verhindern.

Emmanuel Macron zu wählen schmerzt manchen Linken. Doch es gilt Marine Le Pen zu verhindern.

(Foto: imago/PanoramiC)

In Frankreich könnten die Anhänger von Jean-Luc Mélenchon die Wahl entscheiden. Aubervilliers, ein Vorort nördlich von Paris, ist eine Hochburg des linken Kandidaten. Werden die Menschen dort nun einen Wirtschaftsliberalen wählen?

Aubervilliers ist Mélenchon-Land. Der Präsidentschaftskandidat ist allgegenwärtig in dem Vorort nördlich von Paris. Die Plakate seiner Bewegung "La France insoumise" - das widerspenstige Frankreich - pflastern auch zwei Wochen nach der ersten Wahlrunde noch immer die Straßen. Und sie blieben, anders als die Wahlwerbung seiner Rivalen, weitestgehend von bissigen Filzstiftparolen und bloßer Zerstörungswut verschont. Aubervilliers ist traditionell eine Hochburg der Linken. Das erklärt aber nur zum Teil, warum 41 Prozent der Wähler im Viertel in der ersten Runde für Jean-Luc Mélenchon gestimmt haben. Seine Ideen und sein loses Mundwerk haben ihnen gefallen. Nun steht er nicht mehr zur Wahl - zum Unglück vieler Albertivillariens.

Bei der Stichwahl könnten Mélenchons Anhänger zum Zünglein an der Waage werden. Seit Tagen fragt sich Frankreich, was sie wohl tun werden. Zwar hat der 65-jährige Kandidat öffentlich dazu aufgerufen, sich gegen Marine Le Pen und den Front National (FN) zu stellen. Doch auf die Seite des Ex-Bankers Emmanuel Macron wollte sich Mélenchon auch nicht schlagen. Was nun? Vor dem Gymnase Manouchian, einem von 24 Wahllokalen in Aubervilliers, philosophiert Fabrice mit ein paar älteren Herren über eben diese Frage. Er selbst habe schon in der ersten Runde für Macron gestimmt, sagt der 45-Jährige - aber viele seiner Freunde seien Mélenchon-Anhänger. Die meisten hätten sich dazu entschieden, zuhause zu bleiben. "Das ist natürlich ihre Entscheidung, aber es ist eine schlechte", erklärt Fabrice. Schließlich gehe es auch darum, Marine Le Pen zu verhindern.

Einige Hundert Meter die Avenue de la Republique hinunter, im Rathaus von Aubervilliers, hat auch Alexandre sein Kreuz gemacht. Ebenfalls bei Macron. Der 49-Jährige glaubt fest daran, dass viele Mélenchon-Wähler ins Lager des wirtschaftsliberalen Ex-Ministers übergetreten sind. Er selbst hat in den vergangenen zwei Wochen versucht, Überzeugungsarbeit in der Gemeinde zu leisten. "Ich glaube schon, dass wir die Menschen noch einmal mobilisieren konnten", sagt er. "Sie wissen, dass Le Pen nichts für sie tun wird." Aubervilliers ist für die Front-National-Chefin verbranntes Land. Erst vor drei Wochen zogen Hunderte Demonstranten durch den Vorort, um unter dem Motto "Kein Viertel für Faschos!" gegen die Ideologie der Rechten zu protestieren. Die Sorge vor dem, was die Menschen im Ort unter dem FN zu erwarten hätten, ist groß.

Verbranntes Land für Le Pen

Antoine Ngwassé.

Antoine Ngwassé.

Zufall ist das nicht: Aubervilliers gehört zum Département Seine-Saint-Denis - ein Banlieue mit äußerst schlechtem Ruf. Der Ausländeranteil ist hoch, ebenso die Arbeitslosigkeit. Vor zwölf Jahren geriet Aubervilliers in die Schlagzeilen, als es nach dem Tod zweier Jugendlicher mehrere Nächte lang zu Krawallen kam. Die beiden Jungen aus dem Nachbarviertel Clichy-sous-Bois waren auf der Flucht vor der Polizei in ein Trafohäuschen gelaufen und durch Stromschläge getötet worden. Jugendbanden steckten daraufhin in ganz Frankreich Autos in Brand, demolierten Bushaltestellen und warfen mit Steinen auf Sicherheitskräfte - auch in Aubervilliers herrschte Chaos. Le Pen war eine von denen, die nicht den Dialog suchten. Sie wollte die Armee ins Viertel schicken.

Ja, es gibt Probleme in Aubervilliers, sagt Antoine Ngwassé bei einem Kaffee in der Rue Henri Barbusse. Eines davon sei die hohe Zuwanderung. Er selbst kam vor 25 Jahren aus Kamerun nach Paris. Erst seit kurzem hat er die französische Staatsbürgerschaft. In der ersten Runde stimmte er für Mélenchon - nun für Macron. Die Leute im Viertel, sagt der 61-Jährige, hätten ohnehin schon keine Arbeit. Es sind um die 20 Prozent. Aubervilliers war früher ein Industriezentrum - vor dem Verfall. In den vergangenen 15 Jahren flossen viele Millionen ins Viertel, um frühere Fabrikgebäude in attraktive Bürogebäude und Einkaufszentren zu verwandeln. Zum Teil hat das auch funktioniert. Vor allem Künstler schätzen die niedrigeren Mieten. Doch das Zusammenleben verläuft nicht ohne Reibereien.

Mélenchon vereinte das Viertel

In der Rue Berthier hat Designerin Claudia Hägeli ihr Atelier. Auch sie hat sich locken lassen von den niedrigen Mieten für Gewerbetreibende in Aubervilliers. Vor 17 Jahren kam die gebürtige Schweizerin in die Modemetropole - und auch wenn sie im Vorort arbeitet, wohnen will sie lieber weiterhin in der Stadt. "Es ist manchmal ein bisschen mühsam hier", sagt Hägeli. Die Kulturen, die hier zusammenträfen, seien sehr unterschiedlich. "Man sieht zum Beispiel immer nur Männer in den Cafés sitzen." Mittlerweile gebe es in Aubervilliers sogar eine Gruppe von Frauen, die bewusst gemeinsam in jene Cafés gehen, wo sonst nur Männer sitzen. Auch das ist Realität in einem Vorort, in dem 41 verschiedene Nationalitäten aufeinander treffen.

Vereint waren die Albertivillariens in ihrer Sympathie für Mélenchon - und sie sind es größtenteils noch immer in ihrer Ablehnung für Le Pen. Nur zwölf Prozent der Wähler im Viertel stimmten in der ersten Wahlrunde für die Rechtspopulistin. Im nationalen Vergleich ist das nicht viel. Und wer sich auf der Straße umhört, erntet kein einziges positives Wort über die FN-Chefin. Doch ob die Linken in Aubervilliers ausgerechnet dem Globalisierungsbefürworter Macron in den Élysée-Palast verhelfen wollen, steht auf einem anderen Blatt. "In Frankreich", sagt Fabrice, "ist nichts wirklich sicher." Er selbst hat erneut für Macron gestimmt. Was er von ihm erwartet, wenn der Präsident wird? "Ich hoffe einfach, dass er das macht, was er uns versprochen hat."

Quelle: ntv.de

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