Stürzt Putin nun Lukaschenko? Der gefährliche Coup von Maria Kolesnikowa
08.09.2020, 17:42 Uhr
Einen Tag nach ihrem Verschwinden findet sich die Oppositionelle Maria Kolesnikowa in Haft wieder. Die 38-Jährige will nicht ins Ausland, sondern weiter gegen den umstrittenen Präsidenten Lukaschenko kämpfen. Der muss sich nun aber vor allem mit Kremlchef Putin arrangieren.
Unter Zwang wollte Alexander Lukaschenko - auch als "Europas letzter Diktator" bekannt - Maria Kolesnikowa ins Ausland abschieben. Doch die 38-Jährige, die als studierte Musikerin auch das Improvisieren beherrscht, machte dem Machtapparat dieses Vorhaben unmöglich. Sie zerriss ihren Pass und verhinderte damit die Abschiebung in die Ukraine. Sie verhinderte damit, dass sie gegen ihren Willen wie andere führende Köpfe der Opposition außer Landes gebracht wurde. Stets hat sie betont, dass sie kämpfe bis zum Ende.
Eine "geniale Performance" sei das an der Grenze gewesen, Maria riskiere alles, um im Land zu bleiben, teilte ihr Mitstreiter Maxim Snak mit. Der Jurist und die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch sind die letzten in Minsk noch in Freiheit verbliebenen Mitglieder im Präsidium des Koordinierungsrates der Opposition. Weil Kolesnikowa nun aber in Haft sitzt, ist die Sorge um das bekannteste Gesicht der Demokratiebewegung in Minsk groß.
Fast 24 Stunden gab es keine Spur von Kolesnikowa, die am Montag in Minsk von maskierten Unbekannten in einem Minibus verschleppt worden war. Erst ätzten die von Lukaschenko kontrollierten Medien am Dienstag, Kolesnikowa sei mit ihren beiden Mitarbeitern in die Ukraine abgehauen. Dann die Kehrtwende der Behörden, die 38-Jährige sei festgenommen worden wegen illegalen Grenzübertritts. International gab es Forderungen, Kolesnikowa und viele andere politische Gefangene umgehend freizulassen.
Kolesnikowa ist eine leidenschaftliche und unerschrockene Kämpferin. Mit ihren zu einem Herzen geformten Händen trat sie schon schwer bewaffneten Sicherheitskräften entgegen. Sie ist der Überzeugung, dass die Liebe zu Belarus ihre Waffe sei, mit der sie die friedliche Revolution zum Sieg führe. Kolesnikowa lässt im Gespräch keinen Zweifel, sie sei zutiefst überzeugt, dass Lukaschenkos Tage gezählt seien. Doch dessen Schicksal liegt nun vor allem in der Hand eines Mannes: Kremlchef Wladimir Putin.
Moskau fremdelt immer mehr mit Lukaschenko
Der russische Präsident steht zwar ebenfalls im Ruf, nicht zimperlich zu sein, wenn es um den Umgang mit Oppositionellen geht. Aber der Stil Lukaschenkos, Gegner wahlweise ins Gefängnis oder aus dem Land zu werfen, findet keinen Beifall in Moskau. Vielmehr hatte auch Putin mit Blick auf die Massenproteste gesagt, dass die Menschen in Belarus ein Recht darauf hätten, ihre Meinung zu äußern. Und er bezeichnete die von der EU nicht anerkannte Präsidentenwahl vom 9. August nach dem russischen Außenminister Sergej Lawrow ebenfalls als nicht ideal.
Lawrow rief zudem offen zum Dialog in Belarus auf - und räumte damit ein, dass Moskau die Spaltung zwischen Gesellschaft und Staatsführung nicht entgangen ist. Experten in Minsk halten es daher für möglich, dass Russland sich dafür entscheiden könnte, Lukaschenko zum Aufgeben zu drängen und einen neuen moskautreuen Staatslenker zu installieren. "Die Unterstützung aus Moskau ist schon nicht mehr so eindeutig wie in den ersten Tagen nach der Wahl", meint der Politologe Arseni Siwizki. Unabhängig von den Protesten wachse außerdem die Zahl derer, die die Ergebnisse der Präsidentenwahl nicht anerkennen würden.
Den täglichen Verlautbarungen des Kreml ist zwischen den Zeilen indes klar zu entnehmen, dass sich Moskau nicht leicht damit tut, Lukaschenko noch ernst zu nehmen. Zuletzt zeigte sich Lukaschenko zweimal in schwarzer schusssicherer Weste mit Kalaschnikow in der Hand als Verteidiger seines Präsidentenpalastes. Und Moskau hat auch nicht vergessen, dass er im Wahlkampf noch auf Konfrontation ging und behauptete, Russland wolle sich den kleinen Nachbarn einverleiben.
Miese Agentenparodie oder ein Clou?
Der Clou zuletzt aber war ein angeblich von seinem Geheimdienst KGB abgefangenes Telefonat zwischen Berlin und Warschau zum Fall des vergifteten russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny. Lukaschenko ließ den seither vielfach als Fälschung bezeichneten "Mitschnitt" nicht nur veröffentlichen, sondern diente sich damit auch bei Putin an. Die beiden wollen sich bald in Moskau treffen. Das weithin als miese Agentenparodie belächelte Gespräch drehte sich darum, dass Kanzlerin Angela Merkel den Giftanschlag auf Nawalny habe inszenieren lassen, um Putins Aufmerksamkeit von Belarus abzulenken.
Der Minsker Analyst Artjom Schraibman meinte daraufhin, dass Lukaschenkos Volte doch auch ernst zu nehmen sei, weil der an Absurdität kaum zu überbietende Vorgang zeige, wie verzweifelt der Staatschef inzwischen um die Macht kämpfe. Für Russland gebe es mit einem Lukaschenko in einer Welt lächerlicher Lügen keine Garantie mehr, dass er seine Versprechen halte, stellte Schraibman fest.
Aus seiner Sicht läuft in Moskau die Debatte um eine Lösung der politischen Krise in Minsk. Da gebe es auf der einen Seite die, die Lukaschenko zum Aufgeben drängen wollten; auf der anderen Seite jene, die ihm den Machterhalt im Tausch für maximale Zugeständnisse garantieren wollten. Lukaschenko könne, meint Schraibman, aber kaum etwas bieten - mit Ausnahme weiterer Filetstücke belarussischer Staatsbetriebe.
Der Machtkampf samt Protesten in Belarus geht indes weiter - mit oder ohne Kolesnikowa. Swetlana Tichanowskaja, die den Sieg der Präsidentenwahl für sich beansprucht, ruft immer wieder aus ihrem Exil im EU-Land Litauen zu Massendemonstrationen gegen Lukaschenko auf. Doch stellte er im Interview mit russischen Staatsmedien am heutigen Dienstag klar, dass er bleibe. "Ich habe ein Vierteljahrhundert lang Belarus aufgebaut. Ich lasse nicht einfach alles fallen."
Quelle: ntv.de, tno/dpa