"Terrormethoden" in Belarus Empörung über Verschwinden von Aktivistin
07.09.2020, 18:38 Uhr
Maria Kolesnikowa zählt zu den wenigen Oppositionellen in Belarus, die sich gegen den Gang ins Exil entschieden haben.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach Bekanntwerden des Verschwindens der belarussischen Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa häufen sich in Deutschland kritische Stimmen aus der Politik. Außerdem wird nun bekannt, dass es offenbar noch mehr Festnahmen gegeben hat.
Die belarussische Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa ist nach Angaben der Opposition festgenommen worden. Kolesnikowa sei im Zentrum von Minsk von schwarz gekleideten Männern in einen Kleinbus gezerrt worden, berichteten ihre Unterstützer unter Berufung auf Zeugen. Ihr Telefon sei abgeschaltet. Kolesnikowas Verschwinden sowie mehr als 630 Festnahmen bei erneuten Massenprotesten gegen Staatschef Alexander Lukaschenko am Wochenende riefen auch in Deutschland Empörung hervor.
Der von der Opposition gegründete Koordinierungsrat teilte mit, Kolesnikowa sei zusammen mit einem Sprecher und einem Mitarbeiter "von Unbekannten im Zentrum von Minsk entführt" worden. Der Koordinierungsrat beschuldigte Lukaschenko, "Terrormethoden" anzuwenden. Eine Augenzeugin berichtete der Nachrichten-Website "Tut.by", wie maskierte Männer Kolesnikowa gegen 10 Uhr Ortszeit in den Kleinbus stießen und ihr das Handy abnahmen.
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Nach Angaben des Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck wurde neben Kolesnikowa auch Irina Suchij festgenommen, die ehemalige Vorsitzende der Grünen in Belarus. Die Polizei in Minsk äußerte sich bislang nicht zu den Berichten. Das belarussische Innenministerium gab an, über keine Informationen zu einer Festnahme von Kolesnikowa oder ihrer Mitarbeiter zu verfügen.
Kolesnikowa ist ein wichtiges Mitglied des Koordinierungsrates und zählt zu den wenigen prominenten Oppositionspolitikern, die sich gegen den Gang ins Exil entschieden hatten und in Belarus geblieben waren. Die 38-Jährige war im Wahlkampf zusammen mit Weronika Zepkalo an der Seite von Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja aufgetreten.
Sie hatte zuvor als Kampagnen-Chefin für die Kandidatur des Ex-Bankers Viktor Babaryko gearbeitet, der heute im Gefängnis sitzt. Tichanowskaja hält sich inzwischen im benachbarten Litauen auf, Zepkalo in der Ukraine. Eine weitere bekannte Aktivistin, Olga Kowalkowa, war am Samstag nach Polen geflüchtet.
Proteste gehen in die fünfte Woche
Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August demonstrieren die Menschen in Belarus gegen den seit 26 Jahren autoritär regierenden Lukaschenko. Sie werfen der Regierung massiven Betrug bei der Wahl vor, die Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Dabei lassen sie sich auch von der Gewalt der Sicherheitskräfte nicht abschrecken.
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, verurteilte das Vorgehen der belarussischen Behörden. "Die einzige Antwort, die Lukaschenko und seine Leute derzeit zu haben scheinen, ist nackte Gewalt", sagte Seibert in Berlin. Die Bundesregierung fordere die sofortige Freilassung derjenigen, die bei der Ausübung "demokratischer Bürgerrechte" festgenommen wurden.
Auch viele Politiker äußerten sich empört über das Verschwinden von Kolesnikowa und das Vorgehen der Sicherheitsbehörden. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Union, Michael Brand, forderte die sofortige Freilassung der Oppositionsaktivistin. Er forderte die Regierung auf, ihren Aufenthaltsort "umgehend auszumachen und dafür zu sorgen, dass sie unversehrt freigelassen wird".
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir forderte ein härteres Vorgehen der Bundesregierung gegen Lukaschenko. Er habe keine Zweifel, dass die belarussische Regierung hinter der "Verschleppung" von Kolesnikowa stecke, sagte Özdemir der "Bild"-Zeitung. Lukaschenko gehe "den typischen Weg eines Diktators, der einfach nicht begreift, dass seine Zeit abgelaufen ist". Parteichef Habeck bekräftige die Grünen-Forderung, die Wahl für nichtig zu erklären. Maßnahmen müssten sich auch gegen "Lukaschenko in Person richten".
Am Sonntag hatten sich trotz eines großen Sicherheitsaufgebots mehr als 100.000 Menschen allein in der Hauptstadt Minsk an den Protesten beteiligt. Die Polizei nahm nach Angaben des Innenministeriums insgesamt 633 Demonstranten fest, so viele wie noch nie. 363 saßen demnach am heutigen Montag noch in Untersuchungshaft.
Trotz des wachsenden Drucks auch vonseiten der EU weigert sich Lukaschenko, den Demonstranten entgegenzukommen. Er spricht von einer "Verschwörung" des Westens und setzt auf die Unterstützung Moskaus.
Quelle: ntv.de, hek/AFP