Parteitag in Hannover Die AfD macht Ernst
29.11.2015, 05:59 Uhr
An Frauke Petrys Führungsrolle in der AfD scheint es keine Zweifel zu geben.
(Foto: REUTERS)
Durch den Abgang von Bernd Lucke hat sich die AfD verändert. Wie sie in Hannover an sich selbst arbeitet, zeigt, dass mit dieser Partei fortan zu rechnen ist.
Wenn man Mitglied in der AfD werden will, muss man dann seinen Antrag an den Kreisverband richten, in dessen Einzugsgebiet man seinen Wohnsitz hat? Oder kann man ihn auch an einen anderen Verband richten? Was ist, wenn man zwei Wohnsitze hat? Diese Fragen treiben wahrscheinlich nur wenige Menschen in Deutschland um. Und gerade deswegen ist es interessant, dass sich die AfD an diesem Wochenende mit solchen Fragen beschäftigt.
Knapp fünf Monate ist es nun her, dass die Partei in Essen über sich selbst herfiel. Es war einer der heißesten Tage des Jahres und der seit Monaten brodelnde Machtkampf im Vorstand brach auf der Bühne der Grugahalle offen hervor. Die Sprecher Bernd Lucke und Frauke Petry agierten offen gegeneinander und warben leidenschaftlich für sich selbst. Im stickigen Saal verfolgten rund 3500 Parteimitglieder den Streit und begleiteten ihn abwechselnd mit Gejohle und Buhrufen. Ein Stadion voller Wahnsinniger, konnte man denken. Ein wütender Menschenauflauf, ein pöbelnder Mob voller Hass auf jeden, der ein politisches Argument zu Ende ausführen möchte.
In Hannover zeigt die Partei nun, dass sie auch anders kann. Geladen sind nun nicht mehr alle Mitglieder, sondern nur rund 600 Delegierte. Im Vorstand gibt es zwar Differenzen, doch die Vertreter des liberalen Flügels haben sich zurückgezogen. Petry vertritt die Partei in der Öffentlichkeit de facto alleine und niemand zweifelt ihre Führungsrolle offen an.
"Altlasten aus der Ära Lucke"
Und so findet die AfD die Ruhe zur Beschäftigung mit sich selbst. Der Parteitag ist ganz offiziell ein Satzung-Parteitag. Es geht um Details an der Präambel, darum, wer E-Mails an die Mitglieder verschicken darf und um das Anordnen von "Ordnungsmaßnahmen" gegen Mitglieder. Ein Delegierter spricht von "Altlasten aus der Ära Lucke", die beseitigt werden müssten.
Es diskutiert ein harter Kern von ein paar Hundert besonders engagierten Mitgliedern – ein harter Kern, wie ihn jede funktionierende Partei braucht. Ob Wahlen reibungslos ablaufen und Programme am Ende stimmig sind, hängt auch davon ab, dass man sich zuvor eine vernünftige Satzung gegeben hat.
Bei anderen Parteien werden Satzungsänderungen von Kommissionen vorgeschlagen und dann vom Parteitag abgenickt. Bei den Piraten scheiterten Reformen an der Satzung damals am Chaos. Gute Diskussionen gingen in stundenlangen Debatten über die Geschäftsordnung des Parteitags unter. Und bei der AfD? Dort wird zwar diskutiert und die Geschäftsordnung bemüht, doch man kommt auch zu Ergebnissen. Ein sauberer, demokratischer Prozess, der funktioniert.
Erfolgsrezept vieler Rechtspopulisten
Das sind keine Debatten, an denen man sich berauschen kann, in denen man sich der Abneigung gegen Minderheiten hingibt. So etwas kommt kaum vor auf diesem Parteitag. Björn Höcke, Landesvorsitzender aus Thüringen und dort erfolgreich mit völkischen Parolen, hat sich gar nicht erst darum bemüht, auf dem Parteitag sprechen zu können. Stattdessen startet Petry eine Charmeoffensive, die sich an die Presse richtet und fordert ihre eigenen Leute zu Gelassenheit auf, wenn diese angeblich falsche Etiketten angeheftet bekommen.
In Essen, als Lucke abgewählt war, zeigte sich eine enthemmte und tabulose, eine anstandslose Partei. In Hannover zeigen die AfDler, dass sie auch anders können. Sie können ernsthafte Parteiarbeit betreiben und sie können sich mäßigen.
Radikale Ansichten und gemäßigter Ton – das ist eine Kombination, mit der es schon viele rechtspopulistische Parteien in Europa weit gebracht haben. Wer die AfD für eine Erscheinung hielt, die ohnehin vorübergeht, der konnte sich in Hannover eines besseren belehren lassen. Mit der AfD ist zu rechnen.
Quelle: ntv.de