Umbruch in Kiews Armee Die Entlassung von Saluschnyj war unausweichlich


Präsident Selenskyj baut nicht mehr auf Saluschnyj als Armeechef.
(Foto: via REUTERS)
Im ukrainischen Militär ist Saluschnyj beliebt. Trotzdem muss der Armeechef wegen Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Selenskyj seinen Hut nehmen. Sein Nachfolger Syrskyj bringt viel Erfahrung mit. Ob er die Erwartungen erfüllen kann, ist indes offen.
Es ist eine der größten Ironien des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine: Der Mann, der für die bedeutendsten Niederlagen der Armee Wladimir Putins sorgte, ist gebürtiger und ethnischer Russe, der zudem noch seine militärische Ausbildung zuerst in Moskau absolvierte. Etwas östlicher von der russischen Hauptstadt, im Bezirk Wladimir, sollen unbestätigten Informationen zufolge weiterhin seine Eltern und sein Bruder leben, die mit ihm angeblich kaum noch Kontakt pflegen. Dieser Mann, der 58-jährige Generaloberst (entspricht einem NATO-Generalleutnant) Oleksandr Syrskyj, war in diesem Krieg sowohl für die Verteidigung von Kiew als auch für die blitzschnelle Gegenoffensive in der Region Charkiw im September 2022 verantwortlich.
Seit Donnerstagabend ist Syrskyj, früher Kommandeur der ukrainischen Landstreitkräfte, der Befehlshaber der ukrainischen Armee. 1,5 Wochen lang lag zuvor die Entlassung seines beliebten Vorgängers Walerij Saluschnyj öffentlich in der Luft. Mindestens seit Mitte Januar wurde darüber bereits im Hintergrund gesprochen. Dass Saluschnyjs Entlassung trotz seiner Vertrauenswerte von rund 90 Prozent unausweichlich war, weil die Meinungsverschiedenheiten mit dem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei Fragen wie militärische Strategie und Mobilmachung schlicht zu groß wurden, galt daher schon lange als gesetzt. Zum einen brauchte aber das Team um Selenskyj Zeit, um den sofortigen Vollersatz für Saluschnyj und für seine engen Vertrauten in der Armeeführung vorzubereiten. Zum anderen war der Wunsch groß, den Abgang des sogenannten "Eisernen Generals" so ruhig und leise wie möglich zu gestalten.
Syrskyjs Ernennung ist eine logische Entscheidung
Dass der 50-jährige Saluschnyj trotz des eindeutigen Angebots des Präsidenten eine andere Position in seinem Team übernimmt, ist unwahrscheinlich bis nahezu ausgeschlossen. Trotzdem ist es beiden gelungen, ein versöhnliches Bild nach außen zu übertragen: Nicht nur gab es ein nettes gemeinsames Foto und freundliche gegenseitige Statements. Auch hat Selenskyj den Titel "Held der Ukraine" an Saluschnyj verliehen, die höchste staatliche Auszeichnung, die ein ukrainischer Staatsbürger erhalten kann. Trotzdem hat die Entlassung des Generals erwartungsgemäß für Enttäuschung in der Gesellschaft gesorgt.
Es ist schwer vorstellbar, dass Saluschnyj von heute auf morgen gleich zur politischen Tätigkeit übergeht. Laut den Quellen des renommierten Online-Mediums Ukrajinska Prawda aus seiner Umgebung plant er vorerst, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern - und könnte es sich dann vorstellen, in der näheren Zukunft zu unterrichten. Ob das Treffen zwischen Selenskyj und Saluschnyj am Donnerstag an diesem Stand etwas verändert haben könnte, ist unbekannt.
Klar ist dagegen: An der Spitze der ukrainischen Armee findet gerade ein großer Umbau statt. Die Ernennung Syrskyjs ist dabei einerseits eine logische, andererseits eine für Selenskyj eher untypische Entscheidung. Der nun Ex-Kommandeur der Landstreitkräfte ist der wohl erfahrenste ukrainische General und hat noch im ursprünglichen Donbass-Krieg schwierige Operationen wie die Deckung der Flucht der ukrainischen Armee aus dem Debalzewe-Kessel im Februar 2015 durchgeführt. Seine Einheit hieß Bars, was übersetzt Schneeleopard bedeutet - dies ist jetzt Syrskyjs eigener Spitzname. Präsident Selenskyj ist allerdings bei Personalentscheidungen immer für eine Überraschung gut, was bereits bei der Ernennung von Saluschnyj im Juli 2021 der Fall war, der nicht der Nächste in der Rangfolge war. Andererseits steht der im Vergleich zu Saluschnyj acht Jahre ältere Syrskyj nicht zwingend für Verjüngung.
Syrskyj ist oft nah an der Front unterwegs
Doch die viel spekulierte Ernennung von Kyrylo Budanow, Chef des Militärgeheimdienstes HUR, der mit der Planung von ganz großen Operationen nie zu tun hatte, wäre wohl viel zu riskant gewesen - ebenfalls wie die von einem ganz unbekannten Kandidaten mitten im schweren Krieg. Außerdem wird die große Verjüngung trotz Syrskyj ohnehin stattfinden. Die eher bürokratischen Jobs wie der des Leiters des Generalstabs werden wahrscheinlich bekanntere Gesichter übernehmen. Unter den jüngeren Brigadekommandeuren mit konkreter Kampferfahrung, die Selenskyj im Kreis der Kandidaten für Führungspositionen genannt hat, sind einige talentierte Leute, die sowohl innovative Lösungen an der Front eingeführt haben als auch eine gute Vorstellung von den tatsächlichen Bedingungen dort haben. Zu dem Kritikpunkt an Saluschnyjs Team gehörte es nämlich, dass er sich viel zu selten einen eigenen Eindruck in Frontnähe verschaffte.
Bei Syrskyj ist das nicht der Fall: Niemand erwartet von einem Kommandeur dieses Kalibers, direkt vor dem Feind zu stehen, doch er ist meist tatsächlich relativ nah an die Front unterwegs. Trotzdem gibt es in der Truppe - genauso wie über Saluschnyj - ganz unterschiedliche Meinungen über Syrskyj: Es gibt Menschen, die ihn für diese Nähe sehr schätzen, aber auch Menschen, die davon ausgehen, dass für den 58-Jährigen menschliche Verluste eine untergeordnete Rolle spielen. Was davon wirklich stimmt, ist schwer zu sagen. Die Charkiwer Operation, die erfolgreichste Offensive dieses Krieges, deren Autor er war, führte nur zu minimalen Verlusten auf ukrainischer Seite. Mit der langen Verteidigung von Bachmut, die Syrskyj verantwortete, ist es andersrum: Sie war blutig und deren Sinn wurde mit der Zeit von vielen angezweifelt.
Vorurteil des "Generals der sowjetischen Art"
Einerseits sprechen Syrskyjs Siege für sich: Er ist tatsächlich der erfolgreichste General des Krieges. Andererseits überschattet, bei aller nicht ganz unberechtigter Kritik, nicht seine Herkunft, sondern vor allem seine Ausbildung in Moskau seine Person und fördert Klischees: Obwohl Syrskyj sich jahrelang mit den Reformen zur Anpassung der ukrainischen Armee an die NATO-Standards beschäftigte, kann er das Vorurteil des "Generals der sowjetischen Art" kaum loswerden. Dass er zudem eine offensichtlich gute Beziehung zu Selenskyj pflegt, ärgert zusätzlich etwa ein Fünftel der ukrainischen Wählerschaft, die den Präsidenten kategorisch ablehnt und Saluschnyj als einen klaren Gegenpol gesehen hat.
Im Vergleich zu seinem beliebten Vorgänger wird Syrskyj garantiert einen eher schweren Start haben, zumal die Zeichen vorerst ohnehin auf aktive Verteidigung stehen und die lang ersehnte Verabschiedung der US-Hilfen an Kiew einen größeren Einfluss auf die Front hätten als der bloße Wechsel des Befehlshabers. Für die Ukraine ist es aber schon mal gut, dass der unausweichliche Wechsel nicht monatelang dauerte - und eventuell bringt Syrkskyj tatsächlich einen realistischen, längerfristigen Militärplan, den Saluschnyj wohl nicht auf den Tisch Selenskyjs legen konnte.
Quelle: ntv.de