Türkei-Wahl bei "Hart aber fair" "Die Wahl ist noch nicht ganz entschieden"


Varol und Lambsdorff bei "Hart aber fair".
(Foto: IMAGO/Klaus W. Schmidt)
Nach den Wahlen in der Türkei macht sich bei denen, die auf ein Ende der Ära Erdogan gehofft hatten, Ernüchterung breit. Er sei "sehr nervös", sagt Alexander Graf Lambsdorff mit Blick auf die kommenden Wochen.
Die Zukunft der Türkei ist ungewiss. Und die meisten Gäste bei "Hart aber fair" in der ARD sehen sie nicht besonders optimistisch. Am 28. Mai muss der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in einer Stichwahl gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu antreten. Der führt ein Bündnis aus sechs sehr unterschiedlichen Parteien an. Erdogan hatte bei den Wahlen am Sonntag weniger als 50 Prozent der Wählerstimmen für sich gewonnen, hat aber in der ersten Wahlrunde seinen Herausforderer klar geschlagen.
"Das ist die wichtigste Wahl in diesem Jahr auf der ganzen Welt", analysiert der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Der Politiker ist besorgt. Eine Stichwahl heize das ohnehin schon angespannte politische Klima in der Türkei noch weiter auf. "Es kann eine Krise ausgelöst werden, es kann zu Anschlägen kommen. Dann könnten die Leute, die jetzt Kilicdaroglu gewählt haben, wieder auf Erdogan umschwenken. Was die nächsten zwei Wochen angeht, bin ich sehr nervös." Die Wahlen selbst seien zwar frei gewesen, aber nicht fair. So sei Erdogan wesentlich häufiger im Fernsehen zu sehen gewesen als sein Herausforderer, und immer nur im positiven Kontext. Eine Beobachtung, die sich belegen lässt. So war Präsident Erdogan im öffentlich-rechtlichen türkischen Fernsehen in den vergangenen vier Wochen insgesamt 42 Stunden zu sehen, Herausforderer Kilicdaroglu lediglich 38 Minuten. Die Stimmung in der Türkei werde pro Erdogan manipuliert, so Lambsdorff.
"Niederschmetterndes Ergebnis"
"Das Ergebnis am Sonntag war niederschmetternd", stellt der deutsch-türkische Publizist Deniz Yücel fest. Erdogans Regierungsbilanz der letzten Jahre sei verheerend. In der Türkei habe eine Inflation zu Massenverarmung geführt, Erdogans Politik nach dem Erdbeben vor einigen Wochen sei ein Desaster gewesen. Der Präsident sei verantwortlich für den Abbau der Pressefreiheit und des Rechtstaats in der Türkei. Es gibt Vorwürfe der Korruption und der Vetternwirtschaft gegen den Präsidenten. "Dass Erdogan dennoch auf so ein gutes Ergebnis gekommen ist, das ist niederschmetternd", sagt Yücel. Aber der Publizist, der ein Jahr lang in der Türkei wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda für die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) in einem Untersuchungsgefängnis saß, hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: "Die Wahl ist noch nicht ganz entschieden", sagt er bei "Hart aber fair".
Besonders in Deutschland erfreut sich Erdogan jedoch in der türkischen Community großer Beliebtheit. Zum Beispiel bei Ufuk Varol.
"Ich habe Erdogan gewählt"
Varol ist angekommen in Deutschland. Er ist in Köln geboren und sagt über sich: "Keiner ist so ein Karnevalsfan wie ich." Sein Deutsch hat den typischen kölschen Einschlag. Einmal im Jahr fliegt er in die Türkei, mal mit der Familie, mal für seine Firma, einem der weltweit erfolgreichsten Modeschmuckhändler. Für ihn ist die Präsidentenwahl wichtig, "weil sich das Schicksal der Türkei ändern kann". In der Türkei gäbe es noch einiges zu verbessern.
Varol hat Erdogan gewählt, ein Teil seiner Familie ebenso. Ursprünglich seien sie mit dem Präsidenten nicht einverstanden gewesen, sagt er bei "Hart aber fair". "Aber dann haben wir gesehen, dass sich was Ordentliches tut in der Türkei, und dann sind wir umgeschwenkt."
Varol lobt Erdogan. Der habe viel verändert. Er habe Frauenrechte gestärkt, und noch nie habe es so viel Rechte für die kurdische Minderheit gegeben wie aktuell.
Allerdings könne man die Türkei mit Deutschland nicht vergleichen: Das Land führe seit vierzig Jahren einen Krieg gegen den Terrorismus - in Gestalt der Kurdischen Arbeiterpartei. "Man muss verstehen: Wenn man sich in dieser Lage befindet, passieren manche Dinge anders."
Viele deutsche Politiker hätten sich Erdogans Abwahl gewünscht, so Varol. Allerdings sei der bereits seit zwanzig Jahren an der Macht, erst als Ministerpräsident, jetzt als Präsident. Wenn jemand zwanzig Jahre lang von der Mehrheit der Bevölkerung gewählt worden sei, könne das nicht falsch sein. In diesem Jahr habe es außerdem eine Wahlbeteiligung von 80 Prozent in der Türkei gegeben. "Wann gab es das zum letzten Mal in Deutschland?" fragt Varol.
Natürlich kann man Varols Aussagen kritisieren, und das tun Yücel und Graf Lambsdorff dann auch. So sei Erdogan dabei, die Türkei immer weiter zu islamisieren, sagt der FDP-Politiker. Doch Varol bleibt bei seiner Meinung: "In der Türkei ist es nicht so schlimm, wie es in Deutschland dargestellt wird, obwohl wir natürlich auch viele Fehler haben."
Am Ende lassen sich weder Yücel noch Graf Lambsdorff von Varol beeindrucken, und der FDP-Politiker nennt einen Punkt, der tatsächlich gegen Erdogan spricht: Der verhindert seit Monaten den Beitritt Schwedens zur NATO. Doch ob Erdogans Herausforderer Kilicdaroglu anders reagieren wird, weiß auch Lambsdorff nicht.
Quelle: ntv.de