Politik

CSU-Experte Heinrich Oberreuter "Die Zeit ist für Söder zu knapp"

Söder bei der CSU-Veranstaltungsreihe "Markus Söder persönlich".

Söder bei der CSU-Veranstaltungsreihe "Markus Söder persönlich".

(Foto: dpa)

Kann Markus Söder die Rolle des Landesvaters spielen? Der Politologe Heinrich Oberreuter sagt: Einen Landesvater wollen die Leute nicht, sie wollen einen Politiker, der ihre Probleme löst. "Und das wird Söder tun." Der neue Ministerpräsident des Freistaats wird ein anderes Problem haben.

n-tv.de: Markus Söder hat in den letzten Jahren die Rolle des ambitionierten Karrierepolitikers gespielt. Jetzt wird er Landesvater. Trauen Sie ihm zu, dass er diese Rolle ausfüllt?

Heinrich Oberreuter lehrte als Professor für Politikwissenschaften unter anderem an der FU Berlin und der Uni Passau. Derzeit leitet das langjährige CSU-Mitglied das Institut für Journalistenausbildung in Passau.

Heinrich Oberreuter lehrte als Professor für Politikwissenschaften unter anderem an der FU Berlin und der Uni Passau. Derzeit leitet das langjährige CSU-Mitglied das Institut für Journalistenausbildung in Passau.

(Foto: picture alliance / dpa)

Heinrich Oberreuter: Diese Frage wurde schon gestellt, als Edmund Stoiber 1993 Ministerpräsident wurde. Auch Stoiber war ein eher nüchterner, gelegentlich technokratischer Politiker, der ein machtkalkulierendes Image hatte. Ich glaube, die Leute wollen weniger einen Landesvater als Politiker, die ihre Probleme lösen, die Modernisierung des Freistaats voranbringen und dabei zugleich von den Traditionen das erhalten, was man für liebenswert hält. Und das wird Söder tun.

Im Interview mit der "Zeit" wurde Söder vor einigen Wochen gefragt, was sich geändert haben wird, wenn er eine Zeitlang Ministerpräsident gewesen ist. Seine Antwort war, Bayern werde "noch sicherer, fortschrittlicher und sozialer", es werde Forschungseinrichtungen und WLAN überall im Land geben, "und vor allem: Sie können sich zu jeder Tages- und Nachtzeit in jedem Stadtteil sicher bewegen".

Das sind große Ankündigungen, die genau das konkretisieren, von dem ich gerade gesprochen habe. Die generelle Richtung lautet: Wir gehen weiter wie bisher - wir bewahren und perfektionieren das Gute, von dem wir ohnehin glauben, dass es das Beste ist, das es in der Bundesrepublik gegenwärtig gibt und in Zukunft geben wird. Die Frage ist, ob man das in der Realität umsetzen kann.

In Umfragen steht die CSU bei 42 Prozent. Was passiert, wenn es am Wahlabend nicht mehr werden?

Früher strebte die CSU "50 Prozent plus x" an, mittlerweile wäre man mit der absoluten Mehrheit der Mandate zufrieden. Wird dieses Ziel verfehlt, hat Söders Image eine Delle. Ob es dann gleich zu Aufständen kommt, weiß ich nicht. Mindestens wird es verdeckte innerparteiliche Auseinandersetzungen geben.

Das Problem der CSU ist ihre Hybris. Sie glaubt immer noch, sie könne unter Berufung auf die bayerischen Besonderheiten ihre dominante Rolle in die Zukunft verlängern. Das steht einem ehrlichen Befund mitunter im Weg. Im Falle eines unbefriedigenden Wahlausgangs wird Söder darauf hinweisen, dass die nicht ganz perfekte Vergangenheit schuld ist. Seehofer wird anmerken, dass der Neue es mit seinen großspurigen Ankündigungen nicht geschafft hat, die absolute Mehrheit zu halten, die er selbst vor einiger Zeit gewonnen hat.

Wer von beiden hätte denn Recht?

Beide hätten Recht und Unrecht zugleich. Wobei für Söders Argumentation spricht, dass Seehofer mit seiner Strategie gescheitert ist: erst in der Flüchtlingsfrage heftigste Gegenpositionen gegen Berlin entwickeln und dann ein halbes Jahr vor der Wahl mit der Kanzlerin kuschelnd auf die Couch gehen. Das hat die Wähler an der Verlässlichkeit der CSU zweifeln lassen. Ansonsten kann man Seehofer wenig bis nichts vorwerfen.

Wo lag sein Fehler: beim heftigen Widerspruch oder beim Kuschelkurs?

Das ist die Gretchenfrage. In der Praxis hat die CSU der Bundesregierung die Flüchtlingspolitik über weite Strecken ja geradezu vorgeschrieben - das Asylrecht ist an vielen Stellen verschärft worden. Sinnvoll wäre wahrscheinlich gewesen, wenn beide Unionsparteien gesagt hätten: Wir haben Fortschritte erzielt und werden alles tun, damit in Zukunft solche Verunsicherungen nicht mehr geschehen. Dazu gehört auch eine Begrenzung der Zuwanderung - man hätte sie ja nicht "Obergrenze" nennen müssen. All das, was die CDU der CSU später zugestanden hat, hätten die Unionsparteien viel früher gemeinsam formulieren können.

Das hätte vermutlich auch der CDU nicht geschadet.

Sicher nicht, im Gegenteil.

Einer der zentralen Glaubenssätze der CSU ist das Diktum von Franz Josef Strauß, rechts neben der CSU sei "nur noch die Wand". Aber kann die Partei einen Einzug der AfD in den bayerischen Landtag noch verhindern?

Ich glaube es nicht, die Zeit ist für Söder zu knapp. Ein halbes Jahr vor der Wahl kann man große Ankündigungen vom Stapel lassen, aber relativ wenig umsetzen. Ein Beispiel: Selbst wenn Söder jetzt sofort eine bayerische Grenzpolizei aufstellt - bis zum Wahltermin werden die ersten Beamten wahrscheinlich noch nicht an der Grenze patrouillieren. Es wird bei symbolischen Entscheidungen und Ankündigungen bleiben. Die Stimmung im Land wird Söder damit voraussichtlich noch nicht konsequent drehen können.

Alexander Dobrindt hat zur "konservativen Revolution" aufgerufen. Spricht er da für die gesamte CSU?

Was die Begrifflichkeit angeht, spricht er für sich selbst; dass der Begriff aus der Weimarer Zeit kommt und bei Fachleuten negativ besetzt ist, darf man Dobrindt aber nicht vorwerfen, da ist er wirklich unverdächtig. Was die generelle Richtung angeht, spricht er für die gesamte CSU: Das ist die Betonung des konservativen Standpunktes auch auf Kosten dessen, was man "political correctness" nennt oder mit einem polemischen Begriff als "Gutmenschentum" bezeichnen kann. Da spricht Dobrindt der Basis aus der Seele.

Die CDU würde mit einem solchen Kurs riskieren, Wähler in der Mitte zu verlieren. Die CSU nicht?

Die Wählerschaften der C-Parteien unterscheiden sich gar nicht so sehr. Es war immer schon so, dass Norddeutsche die CDU gewählt haben, weil es die CSU gab, und umgekehrt hat mancher liberale Schwabe der CSU seine Stimme gegeben, weil es außerhalb Bayerns die CDU gab. Dieser Spalt zwischen Konservatismus und Liberalisierung begleitet die C-Parteien seit Jahrzehnten. Auf der anderen Seite: Die Stimmung im Volk ist derzeit schon so, dass die, die grenzenlos modernisierend unterwegs waren, von den Wählern abgestraft wurden. Insgesamt müssen die führenden Parteien in der Bundesrepublik darüber nachdenken, wie weit man vor dem Volk herlaufen kann. Es gibt auch normale Leute, die nicht Universitäten besucht haben. Das ist die Mehrheit. Auf die muss man zugehen.

Und Sie glauben, dass Markus Söder das kann?

Söder kann eine Vielfalt von Themen vertreten. Er wird aus wahltaktischen Gründen jetzt die konservative Flanke geradezu aggressiv stärken. Wenn er eine Weile im Amt war, wenn die Landtagswahlen in Bayern vernünftig ausgegangen sind und wenn die Bundesregierung mehr als zwei Jahre hält, dann wird er auch in der Lage sein, die modernisierenden gesellschaftlichen Strömungen aufzunehmen. Die CSU hat das immer gekonnt. An dieser Balance muss Söder arbeiten. Aber er hat ja Erfahrungen als Generalsekretär, als Europaminister, als Umweltminister und als Finanzminister. An Einblicken fehlt es ihm nicht. Entscheidend wird sein, ob er kollegial zu regieren vermag.

Mit Heinrich Oberreuter sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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