Von Avenger bis Patriot Die ukrainische Luftabwehr wappnet sich für massive Angriffe
20.06.2023, 13:45 Uhr Artikel anhören
Eine russische Drohne explodiert über Kiew.
(Foto: REUTERS)
Sie sind rund um die Uhr einsatzbereit: Der Kommandeur "Architekt" und seine Einheit bedienen bei Kiew ein Avenger-System, um russische Drohnen und Marschflugkörper abzuschießen. Die Aufgabe ist nicht leicht. "Am schwierigsten ist ein Angriff mit verschiedenen Zielobjekten", so der Kommandeur.
An einem klaren Sommernachmittag ist am Ende eines Feldwegs nahe Kiew kaum zu erkennen, was sich im Schatten mehrerer Bäume verbirgt: Ein Geländefahrzeug des US-Modells Humvee, auf dessen Heck der kantige, drehbare Geschützturm eines Avenger-Flugabwehrsystems montiert ist. Diese US-Systeme sind ein Eckpfeiler der dreistufigen Luftverteidigung, mit der sich die Ukraine vor den zunehmenden russischen Raketen- und Drohnenangriffen schützen will.
Am einen Ende der Skala stehen Avenger-Systeme, die mit einer Reichweite von bis zu fünf Kilometern Flugobjekte aus kurzer Entfernung abschießen sollen. Am anderen Ende stehen die ebenfalls aus den USA stammenden Patriot-Systeme für Entfernungen von drei bis 80 Kilometern.
"Am schwierigsten ist ein Angriff mit verschiedenen Zielobjekten", sagt der Kommandeur der Avenger-Einheit unter der Baumgruppe. "Wenn in derselben Nacht sowohl Drohnen als auch Marschflugkörper kommen, ist es am schwierigsten." Der Kommandeur, der sich unter dem Kampfnamen "Architekt" vorstellt, seinem zivilen Beruf, befehligt ein sechsköpfiges Team, das in Europa vom US-Militär ausgebildet wurde. Bisher habe seine Einheit keine Marschflugkörper oder Drohnen abgeschossen.
Russland schickt Hunderte Marschflugkörper und Drohnen
Seit die Ukraine vor einigen Wochen mit den Vorbereitungen ihrer nun laufenden Gegenoffensive gegen die russischen Besatzer begann, hat Russland seine Luftangriffe massiv ausgeweitet. Im Mai zählte die Ukraine 149 Marschflugkörper, 399 Drohnen, sieben Hyperschallraketen vom Typ Kinschal, drei ballistische Raketen und elf Iskander-Raketen, die von der Luftabwehr durch Abschuss gestoppt worden seien. Im April waren es den Angaben zufolge lediglich 73 Drohnen und 21 Marschflugkörper. Doch trotz dieser Abschussbilanz schlagen regelmäßig russische Flugkörper in ukrainischen Städten ein und töten Zivilisten, zuletzt etwa in der Hafenstadt Odessa oder in der Industriestadt Krywyj Rih.
Nach Ansicht ukrainischer Regierungsvertreter zielen diese russischen Angriffe vor allem darauf ab, die Kapazitäten der ukrainischen Luftabwehr zu dezimieren. "Russlands Taktik ist es, billige Drohnen einzusetzen, um unsere Luftverteidigung zu erschöpfen", sagt Jurij Sak, ein Berater des ukrainischen Verteidigungsministeriums. "Wem gehen zuerst die Raketen aus? Den Russen ihre eigenen oder uns die Abwehrraketen, die wir von unseren Verbündeten bekommen?"
Auch deswegen dringt die Ukraine bei ihren westlichen Partnern auf Nachschub. Bisher haben die USA mindestens zwölf Avenger-Systeme an die Ukraine geliefert. Das reiche nicht aus für eine umfassende Abwehr, sagt Sak. Diese Systeme hätten den Vorteil, dass sie nicht nur mobiler sind als die Patriot-Systeme, sondern auch wesentlich billiger. Im Schatten der Bäume sagt der Kommandeur "Architekt", seine Einheit gebe ihr Bestes, um ihre rund 3,5 Millionen Landsleute in Kiew vor russischen Angriffen zu schützen. Seine Männer und er seien rund um die Uhr einsatzbereit.
Quelle: ntv.de, Tom Balforth, Sergiy Karazy und Jörn Poltz, rts