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Russland greift Ostukraine an "Die zweite Phase des Krieges hat begonnen"

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Seit Wochen wird ein russischer Großangriff auf die Ostukraine erwartet. Kiew meldet nun Vorstöße in den Regionen Charkiw, Luhansk und Donezk. Präsident Selenskyj zufolge markieren sie den Beginn der "Schlacht von Donbass".

Im Osten der Ukraine hat nach den Worten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am heutigen Montag der erwartete russische Angriff begonnen. "Wir können jetzt sagen, dass die russischen Streitkräfte die Schlacht von Donbass begonnen haben, auf die sie sich lange vorbereitet haben", sagte Selenskyj am Abend in einer Videoansprache.

Schon in den Stunden zuvor hatte sich das Kommando der Streitkräfte ähnlich geäußert und auf zunehmenden Beschuss verwiesen. Stabschef Andrij Yermak sprach von einer "zweiten Phase des Krieges", die jetzt begonnen habe. Auch die Kämpfe um die Hafenstadt Mariupol gingen weiter. Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates, Alexej Danilow, sagte im Fernsehen, die russischen Streitkräfte hätten ab Montagmorgen fast entlang der gesamten Frontlinie in den östlichen Regionen Donezk, Luhansk und Charkiw versucht, die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen. Von heftigen Explosionen erschüttert wurde Charkiw bereits am Sonntag. Nach Behördenangaben wurden sechs Menschen durch russischen Beschuss getötet, drei weitere Menschen starben demnach am Montag bei russischen Angriffen.

Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, hatte im Onlinenetzwerk Facebook erklärt: "Es ist die Hölle. Die Offensive, von der wir seit Wochen sprechen, hat begonnen". Es gebe Kämpfe in Rubischne und Popasna und "unaufhörlich Kämpfe in anderen friedlichen Städten". Kurz zuvor hatte der Gouverneur die Einnahme der Kleinstadt Kreminna durch die russische Armee bekanntgegeben. "Kreminna ist leider unter Kontrolle der Orks", sagte Hajdaj unter Verwendung einer abschätzigen Bezeichnung für die russischen Truppen. Der ukrainische Präsidentenberater Oleksij Arestowytsch sagte hingegen dem Fernsehsender Ukraina 24, Kreminna sei "noch nicht von den russischen Besatzern erobert".

Russland hat in den vergangenen Tagen seine Streitkräfte im Osten der Ukraine mit Truppen aufgestockt, die es aus dem Norden der Ukraine und dem benachbarten Belarus abgezogen hat. Das Kommando der ukrainischen Streitkräfte erklärte, Russland konzentriere sich darauf, die Kontrolle über die Regionen Donezk und Luhansk zu übernehmen, die den als Donbass bekannten Landstrich bilden. "Die zweite Phase des Krieges hat begonnen. (...) Glaubt an unsere Armee, sie ist sehr stark", schrieb Stabschef Yermak auf Telegram.

Raketeneinschläge in Lwiw fordern Todesopfer

Westliche Beobachter hatten zuletzt gesagt, es sei wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Russland eine neue Offensive im Osten der Ukraine starte. Russland war am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert und hatte mehrere Städte unter Beschuss genommen, darunter auch die weiter westlich gelegene Hauptstadt Kiew. Anfang April waren die Kämpfe bei Kiew dann aber abgeebbt und die russischen Truppen formierten sich neu. Die Konzentration auf den Osten der Ukraine haben nach Einschätzung von Militär-Analysten die Voraussetzungen für einen langwierigen Kampf geschaffen, der beiden Seiten schwere Verluste zufügen könnte.

Am Ostermontag hatte Russland seine Luftangriffe auf größere Städte nach Angaben der ukrainischen Behörden intensiviert. So wurden Raketeneinschläge in Lwiw gemeldet, bei denen sieben Menschen starben. Es seien die ersten zivilen Opfer in der Stadt im Westen des Landes gewesen, sagte Bürgermeister Andrij Sadowyj. Elf Personen seien verletzt worden. In Kiew berichtete ein Reuters-Reporter über mehrere Detonationen.

In der Nähe von Lwiw zerstörte die russische Armee nach eigenen Angaben ein großes Waffendepot, in dem aus dem Westen gelieferte Waffen gelagert worden sein sollen. Russische Flugzeuge hätten am Montagmorgen einen Angriff auf ein Logistikzentrum der ukrainischen Streitkräfte ausgeführt, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow.

2000 Zivilisten kamen laut UN ums Leben

Das Logistikzentrum sowie dort gelagerte "große Chargen ausländischer Waffen, die in den vergangenen sechs Tagen von den USA und europäischen Staaten in die Ukraine geliefert wurden", seien bei den Angriffen mit "hochpräzisen Raketen" zerstört worden, sagte Konaschenkow weiter.

Die Lage in der eingekesselten und weitgehend zerstörten Hafenstadt Mariupol bezeichnete die Ukraine als extrem schwierig. Die Stadt sei aber noch nicht vollständig in russischer Hand. Auf dem Gelände des Stahlwerks Asowstal halten sich den Angaben zufolge noch ukrainischen Soldaten verschanzt. Es sollen auch viele Zivilisten auf das Gelände geflohen sein. Die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk rief Russland daher auf, dort schnell Fluchtkorridore zuzulassen.

Eine Einnahme Mariupols wäre für Russland die erste größere Eroberung seit Beginn des Kriegs. Die Stadt am Asowschen Meer gilt als strategisch wichtig. Sie liegt zwischen den pro-russischen, selbst ernannten Volksrepubliken von Luhansk und Donezk und der von Russland 2014 annektierten Halbinsel Krim. Zahlreiche Staaten sprechen von einem Angriffskrieg Russlands und Verbrechen gegen ukrainische Zivilisten.

Die Regierung in Moskau bezeichnet ihr Vorgehen indes als Sondereinsatz zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung und weist Vorwürfe zurück, Zivilisten anzugreifen. Über vier Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflohen. Laut den Vereinten Nationen kamen seit Beginn des Krieges über 2000 Zivilisten ums Leben. Über die Zahl der auf beiden Seiten getöteten Soldaten gibt es keine verlässlichen Angaben.

Quelle: ntv.de, mdi/lve/rts/AFP

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