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Ulrike Franke im Interview "Diese Drohnen können bei der Gegenoffensive helfen"

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Noch ist unklar, welche Drohnen genau Briten-Premier Sunak Selenskyj angeboten hat - doch die hohe Reichweite wird für die Ukrainer wertvoll sein.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

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Großbritannien will der Ukraine Drohnen mit einer Reichweite von 200 Kilometern zur Verfügung stellen. Was das für den Krieg gegen die Russen bedeutet, ordnet Expertin Ulrike Franke im Gespräch mit ntv.de ein. Und sie sagt, warum Drohnen diesen Krieg dennoch nicht entscheiden werden.

ntv.de: Die Briten haben angekündigt, Langstrecken-Marschflugkörper und Drohnen mit einer Reichweite von 200 Kilometern zu liefern. Warum sind die wichtig für die Ukrainer?

Ulrike Franke: Wegen der starken Flugabwehr ist der Himmel über der Ukraine für bemannte Flugzeuge kaum zugänglich. Deswegen erleben wir die Stunde der Drohnen, die auf beiden Seiten eine große Rolle spielen. Die Ukrainer setzen sie schon seit Kriegsbeginn erfolgreich ein, etwa die türkischen Bayraktar 2. Später bekamen sie auch die US-amerikanischen Switchblade-Drohnen, die über einem Ziel schweben können, bevor sie es im Kamikaze-Modus angreifen. Wir wissen noch nicht genau, welche Systeme die Briten nun liefern wollen. Sie sollen aber eine Reichweite von mehreren Hundert Kilometern haben. Das ist zwar nicht vollständig neu, erhöht aber die Möglichkeiten, beispielsweise Nachschubwege weit hinter der Front anzugreifen.

Als die Ukraine im vergangenen Jahr die HIMARS-Raketenwerfer bekam, hatte das einen riesigen Effekt auf dem Schlachtfeld - wegen der hohen Reichweite. Ist das jetzt wieder zu erwarten?

Es ist nicht so, dass die Ukrainer bislang keine Möglichkeit hätten, über große Entfernungen hinweg anzugreifen. Die beiden Angriffe auf russische Flugfelder im Dezember wurden mit Drohnen ausgeführt. Sie haben also schon jetzt die Möglichkeit, über mehrere Hundert Kilometer hinweg anzugreifen. Es ist aber immer eine Frage von Quantität und Qualität. Bekommen sie mehrere Hundert Systeme, kann das schon einen Einfluss auf das Kriegsgeschehen haben. Die können bei der Gegenoffensive helfen, eben weil sie die Russen auch weit hinter der Front treffen können.

Geht es da nach dem Motto: Je mehr desto besser?

Photo Ulrike Franke ECFR.jfif

Dr. Ulrike Franke promovierte über Drohnen und arbeitet derzeit beim European Council on Foreign Relations in Paris.

Absolut. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. In diesem Krieg haben wir wieder einmal gesehen, dass Quantität ihre eigene Qualität hat. Das hat man beim Einsatz iranischer Kamikaze-Drohnen durch die Russen gesehen. Die sind zwar nicht besonders hoch entwickelt und leicht zu treffen. Wenn aber von 100 Drohnen 80 abgeschossen werden, kommen immer noch 20 durch und können großen Schaden anrichten. Und der Iran kann offenbar weiterhin nachliefern.

Drohnen können selbst angreifen, aber dienen natürlich auch der Aufklärung. Was ist in diesem Krieg wichtiger? Aufklärungsbilder bekommen die Ukrainer ja auch durch US-Satellitenbilder.

Ich betone immer die Bedeutung der Aufklärung. Dank Drohnen steht diese 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche relativ einfach und preiswert zur Verfügung. So etwas gab es in dieser Abdeckung früher nicht. Neu ist auch, dass auch die niedrigen Ränge diese Bilder nutzen können. Infanteriesoldaten nutzen entweder eigene Aufklärungsdrohnen oder können sich in höher fliegende Drohnen einklinken und die Bilder nutzen. Oftmals reden wir hier von einer Live-Video-Übertragung. So können sie gewissermaßen über den nächsten Hügel oder die nächste Mauer gucken. In Bachmut können die Ukrainer den Russen bei praktisch allem zusehen, was sie tun. Das war noch vor 15 Jahren undenkbar und macht einen riesigen Unterschied. Das ist auch nicht das Gleiche wie Satellitenaufklärung. Deren Bilder stehen in der Regel nur den höheren Ebenen zur Verfügung und sind auch nicht so detailliert. Natürlich spielen aber auch bewaffnete Drohnen eine wichtige Rolle.

Bei diesen kleinen Aufklärungsdrohnen reden wir auch über Modelle, die ich mir im Elektronikmarkt selbst kaufen könnte, oder?

Ja, das ist tatsächlich oft der Fall. Ein interessanter Aspekt dieses Krieges ist, wie viele zivile oder kommerzielle Drohnensysteme in der Ukraine im militärischen Einsatz sind. Da geht es um Hobbysysteme, die oft aber teuer und hochwertig sind. Wir reden hier aber auch über kommerzielle Drohnen, die sonst beispielsweise in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Spannend ist auch, wie Zivilisten vor allem zu Beginn der Invasion mit ihren Hobbydrohnen Aufklärung betrieben oder sogar selbst Drohnen gebaut haben.

Welche Seite nutzt die Drohnen besser?

Das ist schwer zu sagen. Am Anfang des Krieges haben es die Ukrainer definitiv besser gemacht, etwa als sie erfolgreich die türkischen Drohnen einsetzten. Die Russen waren anfangs erstaunlich schwach, obwohl sie eigentlich eigene Systeme hatten. Mittlerweile haben sie aber aufgeholt. Soweit ich das sehen kann setzen die Ukrainer aber mehr Systeme ein, und sind innovativer.

War es auch für Sie überraschend, dass Drohnen so massiv eingesetzt werden?

Dass Drohnen eine wichtige Rolle spielen, ist keine Überraschung. Sie sind allerdings wirklich besonders wichtig, da die Luftwaffen auf beiden Seiten so weitgehend neutralisiert sind. Mich hat die Schwäche der russischen Drohnen überrascht. Sie haben ja eigentlich mit der Orion und der Orlan-10 starke Systeme. Das dachte man zumindest vor diesem Krieg. Dass sie dann so schnell auf iranische Drohnen zurückgreifen mussten, hätte ich nicht erwartet. Wie stark zivile Drohnen im Kriegsgeschehen genutzt werden, ist auch bemerkenswert. In diesem Ausmaß haben wir das in bisherigen Kriegen noch nicht gesehen. Interessant ist auch, wie sehr Drohnen Einzelpersonen motiviert haben, sich in diesem Krieg zu engagieren. Privatleute helfen mit ihren Drohnen bei der Feindaufklärung. Auf der ganzen Welt spenden Menschen Geld, damit Drohnen gekauft werden können oder schicken sie gleich selbst in die Ukraine. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Drohnenvideos viel auf sozialen Medien geteilt werden und eine wichtige Rolle im Informationskrieg spielen.

Werden Drohnen diesen Krieg entscheiden?

Nein. Aber das liegt daran, dass einzelne Waffengattungen keine Kriege entscheiden. Schlachten vielleicht, aber nicht den gesamten Krieg, vor allem wenn er länger dauert. Drohnen spielen eine wichtige Rolle. Aber Kriege werden gewonnen, indem verschiedene Waffengattungen gemeinsam ins Feld geführt werden. Die Ukrainer machen gerade das sehr geschickt.

Abgesehen von den Drohnen erinnert das Kampfgeschehen an längst vergangene Zeiten. Erleben wir hier so etwas wie den Ersten Weltkrieg mit Drohnen?

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Mit Ulrike Franke sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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