"Weder frei noch fair" Dutzende Festnahmen bei Wahlen in Russland
17.03.2024, 15:51 Uhr Artikel anhören
114 Millionen Russen sind zur Wahl aufgerufen.
(Foto: REUTERS)
Am Abend endet, was der Kreml Präsidentschaftswahl nennt. Bei Protestaktionen werden landesweit Dutzende Menschen festgenommen.
Bei der russischen Präsidentenwahl ist es am Wochenende im In- und Ausland zu Protesten gegen die Herrschaft von Amtsinhaber Wladimir Putin gekommen. Vor Wahllokalen in einigen Städten bildeten sich am Sonntagmittag lange Warteschlangen. Anhänger des im Februar in Lagerhaft gestorbenen Oppositionellen Alexej Nawalny hatten Bürger dazu aufgerufen, in den unterschiedlichen Zeitzonen des Landes jeweils um 12.00 Uhr wählen zu gehen und damit ein Protestzeichen zu setzen.
Das Bürgerrechtsportal OVD-Info zählte landesweit 74 Festnahmen im Zusammenhang mit der Wahl, mit der Putin seine bereits über 24 Jahre währende Machtstellung für weitere sechs Jahre legitimieren will. In mehreren europäischen Hauptstädten bildeten sich vor den russischen Botschaften lange Schlangen.
Das Auswärtige Amt bezeichnete die Abstimmung über Russlands künftigen Präsidenten im Onlinedienst X als "Pseudowahlen". "Die Pseudowahlen in Russland sind weder frei noch fair, das Ergebnis überrascht niemanden", hieß es. Der langjährige Kreml-Chef Wladimir Putin herrsche "autoritär, er setzt auf Zensur, Repression und Gewalt".
"Julia, Julia"-Rufe in Berlin
Am Sonntagmittag berichteten Augenzeugen an Wahllokalen in Moskau, St. Petersburg und Jekaterinburg einen ansteigenden Zustrom, darunter viele jüngere Menschen. Unter den jeweils mehreren Hundert Wartenden sagten einige, sie seien dem Protestaufruf gefolgt. Die Behörden hatten vor Protestaktionen gewarnt und mit einem harten Durchgreifen gedroht.
Vor der russischen Botschaft in Berlin reihte sich Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja in die Warteschlange ein. Sie wurde von Umstehenden mit Applaus und "Julia, Julia"-Rufen empfangen. Die Aktion "Mittag gegen Putin" - auf Russisch "Polden protiw Putina" - war einer der letzten Aufrufe Nawalnys vor seinem Tod.
"Das ist die letzte Form des Protests, bei der du dich frei ausdrücken kannst", sagte der 29-jährige IT-Spezialist Alexander, der sich vor Nawalnys früherem Wahlbüro in Moskauer Bezirk Marjino eingefunden hatte. "Wenn ich das nicht getan hätte, hätte ich mich wie ein Feigling gefühlt", betonte er.
In Moldau wurde nach einer Attacke mit zwei Brandsätzen auf die russische Botschaft in der Hauptstadt Chisinau ein Verdächtiger festgenommen. "Ein Mann warf zwei Behälter mit entflammbaren Substanzen über den Zaun der russischen Botschaft in Chisinau", erklärte die Polizei. Örtlichen Medien zufolge handelte es sich um Molotow-Cocktails, verletzt wurde demnach niemand. Bei dem Festgenommenen handelte es sich der Polizei zufolge um einen 54-Jährigen, der sowohl die moldauische als auch die russische Staatsbürgerschaft habe. Er werde befragt. "Er rechtfertigte seine Tat mit einer Art von Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der russischen Behörden", hieß es in der Polizei-Mitteilung weiter.
Ab 19 Uhr erste Prognosen erwartet
An den ersten beiden Wahltagen am Freitag und Samstag war es in Russland nach Behördenangaben zu mehreren Protestaktionen und Störversuchen gekommen. In 20 Fällen hätten Personen Flüssigkeiten in Wahlurnen geschüttet, um die Stimmzettel unbrauchbar zu machen, hatte die Wahlkommission mitgeteilt. Außerdem habe es Brandstiftungsversuche gegeben.
Die Wahl, zu der 114 Millionen Berechtigte aufgerufen sind, gilt als weder frei noch fair. Die drei von der Putin-treuen Parlamentsopposition aufgestellten Bewerber galten als reine Zählkandidaten. Putins politische Gegner wurden von einer Kandidatur ausgeschlossen oder kamen plötzlich ums Leben. Zustimmungswerte von über 80 Prozent für Putin gelten zwar als realistisch. Dennoch stehen Behörden unter Druck, möglichst gute Ergebnisse zu seinen Gunsten zu melden.
Am heutigen Sonntag gaben die Behörden an, der Zwischenstand der Wahlbeteiligung habe bereits den Wert von 67,5 Prozent bei der Abstimmung vor sechs Jahren übertroffen. Die letzten Wahllokale schließen am Abend um 19.00 Uhr (MEZ) in der Exklave Kaliningrad. Offizielle Prognosen werden unmittelbar danach erwartet.
Putin regiert seit 1999 abwechselnd als Präsident und Ministerpräsident und damit so lange wie kein anderer Politiker in Moskau seit Josef Stalin. Der sowjetische Diktator starb 1953 nach 29-jähriger Herrschaft. Putin annektierte 2014 die ukrainische Halbinsel Krim und führt seit mehr als zwei Jahren einen umfassenden Krieg gegen die Ukraine, der er das Recht auf eine unabhängige Existenz abspricht. Am morgigen Montag jährt sich die Verkündung der Krim-Annexion zum zehnten Mal. Auf dem Roten Platz in Moskau ein Konzert anlässlich der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim vor zehn Jahren geben. Die Veranstaltung soll auch als Siegesfeier für Putin dienen.
Quelle: ntv.de, jwu/rts/AFP