Politik

"Erster AfD-Oberbürgermeister" Grüne fremdeln weiter mit Boris Palmer

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Buhrufe zum Wahlsieg: "Es gibt immer Menschen, die man nicht versteht", sagt Palmer zur Siegessfeier auf dem Marktplatz in Tübingen.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Auch nach seinem souveränen Wahlsieg in Tübingen nehmen die Grünen ihren streitbaren Genossen nicht mit offenen Armen wieder auf. Aus Stuttgart gibt es eine schmallippige Gratulation, aus Berlin eine Entgleisung auf Twitter. Palmer selbst gibt sich versöhnlich.

Nach der Wiederwahl des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer hat ein Berliner Grünen-Abgeordneter mit einem AfD-Vergleich für Unruhe gesorgt. "Mit Boris Palmer hat Deutschland jetzt den ersten AfD Oberbürgermeister. Traurig!", schrieb der Berliner Grünen-Innenpolitiker Vasili Franco auf Twitter. Kurz darauf löschte er den Tweet und schrieb stattdessen: "Es ist 2022 und Rassismus ist immer noch kein Ausschlusskriterium." Er wolle die Debatte nicht weiter anheizen und werde sich öffentlich nicht weiter zu dem Thema äußern, sagte Franco auf Nachfrage. Palmers Parteimitgliedschaft bei den Grünen ruht wegen Streitereien um Tabubrüche und Rassismusvorwürfe.

Palmer war am Sonntagabend für weitere acht Jahre als Oberbürgermeister gewählt worden. Palmer erhielt im ersten Wahlgang 52,4 Prozent der Stimmen, die Wahlbeteiligung war mit knapp 63 Prozent ungewöhnlich hoch. Nach seinem Wahlsieg sagte Palmer: "Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine". Damit zitierte er den verstorbenen sozialdemokratischen Altkanzler Helmut Schmidt. "Die negative Bewertung des Wortes Streit halte ich für einen schweren Fehler", sagte Palmer. "Ich finde, diese Partei sollte streiten."

Palmer war nicht für die Grünen, sondern als unabhängiger Kandidat angetreten. Seine Parteimitgliedschaft ruht noch bis Ende 2023. Der Grünen-Landesverband reagierte am Morgen nach der Wahl zurückhaltend auf den Sieg des bundesweit bekannten Stadtoberhaupts. Man gratuliere Boris Palmer zur Wiederwahl als Tübinger Oberbürgermeister und danke Ulrike Baumgärtner für ihren engagierten Wahlkampf, teilte eine Sprecherin in Stuttgart auf Anfrage mit. Zur möglichen Auswirkungen der Wahl auf die ruhende Parteimitgliedschaft Palmers verwies sie auf das bereits abgeschlossene Parteiordnungsverfahren und dabei vereinbarte Gespräche im kommenden Jahr.

Der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir äußerte sich ein wenig freundlicher: "Man kann's ja so sehen: Über 70% wählen auf die ein oder andere Art in Tübingen grün", schrieb Özdemir auf Twitter und beglückwünschte Palmer. "Als Ex-Tübinger wünsche ich der Stadt weiterhin viel Öko & mehr Zusammenhalt, zu dem alle ihren Beitrag leisten können."

"Nach dem Streit die Hand geben"

Hunderte Bürger hatten sich am Sonntagabend vor dem Rathaus versammelt, um die Auszählung des Ergebnisses zu verfolgen - und um Palmer zu gratulieren. Aber auch Buhrufe waren zu hören. "Ich gebe zu, ich würde mir schon wünschen, wenn die Wahl vorbei ist, dass das Ergebnis nicht mit Buhrufen quittiert wird. Das ist immer auch eine Bewertung der anderen Menschen, die ihre Stimme abgegeben haben", sagte Palmer nach seinem Sieg. "Aber das waren vielleicht 5 von 500. Es gibt immer welche, die man nicht versteht."

An seine Gegner richtete Palmer am Morgen nach der Wahl versöhnliche Worte: "Lassen Sie uns aufeinander zugehen und nach dem Streit die Hand geben", schrieb der 50-Jährige auf seiner Facebook-Seite. "Die Zeiten, die vor uns liegen, sind schwer genug." Man könne sie nur bewältigen, wenn man im Innern stark und einig sei. Dafür wolle er seinen Beitrag in den kommenden acht Jahren leisten, so Palmer. Zugleich dankte er seinen Unterstützern. "Es ist eine ungewöhnliche Situation, ohne Partei im Rücken in einen solchen Wahlkampf zu gehen." Seine Absicht und sein Angebot sei es, für seine Partei mitzuwerben, miteinzutreten und die Werte, die ihm wichtig seien, hochzuhalten. Ökologie sei das einigende Band der Grünen, das werde er künftig wieder stärker hervorheben.

Palmer ist bereits seit 16 Jahren Stadtoberhaupt. Er hatte im Vorfeld erklärt, nicht mehr beim zweiten Wahlgang antreten zu wollen, sollte er in der ersten Runde nicht vorne liegen.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 24. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de, mau/dpa

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