Blockierte Ukraine-Hilfen "Es gibt stillschweigende Zusammenarbeit zwischen MAGA-Republikanern und Russland"
13.04.2024, 10:12 Uhr Artikel anhören
Will US-Präsident Joe Biden im Wahljahr keinen "Sieg" im Kongress verschaffen: Herausforderer Donald Trump.
(Foto: AP)
Seit vielen Monaten blockieren die Republikaner dringend notwendige neue Ukraine-Hilfen und fallen damit den Verteidigern im Krieg gegen Russland in den Rücken. Die ukrainischen Soldaten rationieren ihre Munition, ihre Rufe nach Unterstützung werden immer verzweifelter. Doch in den USA sind die Republikaner, Donald Trump und sein Parteiflügel im Wahlkampf gegen die Demokraten und ringen innerparteilich um die Macht. "Die Republikanische Partei befindet sich in einer komplett selbst verschuldeten Situation", sagt der US-Historiker und Politologe Geoffrey Kabaservice. Die Interessen der Partei seien inzwischen wichtiger als die des Landes. Der Ausgang ist offen.
ntv.de: Herr Kabaservice, neue Ukraine-Hilfen sind äußerst notwendig für den Verteidigungskrieg der Ukraine gegen Russland, aber die Republikaner blockieren sie seit Monaten. Kann die Republikanische Partei noch zwischen Legislative und Wahlkampf unterscheiden?
Geoffrey Kabaservice: Die Republikanische Partei ist wie ein Planet, auf den Schwerkräfte aus verschiedenen Richtungen einwirken. Es gibt einen Teil in der republikanischen Fraktion im Kongress, der tatsächlich regieren und Dinge wie die Ukraine-Hilfe verabschieden will. Dann gibt es Donald Trump, der seine eigene Agenda hat, die sehr stark von seinen eigenen Wahlkampfbedürfnissen diktiert wird. Und die MAGA-Fraktion ("Make Amerika Great Again", Trumps Unterstützer im Kongress), die das tut, was sie denkt, dass Trump es will, oder die einfach nur versucht, die Republikanische Partei und das Establishment zu sabotieren. Es ist schwierig zu bestimmen, welche Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Thema den größten Einfluss in der Partei hat.
Einige Abgeordnete der Republikaner sagen, ihre Parteikollegen wiederholten russische Propaganda, sie hätten "einen guten Teil der Basis infiziert". Marjorie Taylor Greene, die zum populistischen MAGA-Flügel gehört, sagt, sie wolle Friedensverhandlungen mit Russland führen. Sind das nur innerparteiliche Machtspiele, oder Ziele, die sie ernsthaft verfolgen?

Der Historiker und Politologe Geoffrey Kabaservice forscht für die US-Denkfabrik Niskanen Center in Washington D.C.
Bis zu einem gewissen Grad sind das Machtspiele. Wenn wir über konventionelle Links-Rechts-Politik nachdenken, dann wäre die Lieferung von Waffen an die Ukraine die konservative Vorgehensweise von Ronald Reagan gewesen (Ex-Präsident und Republikaner, Anm. d. Red.). Populismus verkompliziert die Art und Weise, wie wir über Ideologie sprechen. Wir erleben eine schwindende Führungsmacht in der Republikanischen Partei. Früher wäre eine Marjorie Taylor Greene wie ein Käfer zerquetscht worden. Sie ist nicht von der Republikanischen Partei abhängig. Sie hat die Unterstützung der Basis, wodurch sie finanziell besser ausgestattet ist als die meisten Mitglieder des Kongresses. Und sie hat Trumps Unterstützung.
Was kann sie damit anfangen?
Sie hat nicht unbedingt freie Hand. Sie hat angekündigt, Sprecher Mike Johnson im Repräsentantenhaus absetzen zu wollen, falls er die Ukraine-Hilfe zur Abstimmung stellt. Es ist nicht klar, ob Donald Trump diesem Plan zustimmen würde. Denn in gewisser Weise schadet das Chaos unter den Republikanern im Repräsentantenhaus Trump. Ich vermute, dass Trump den Republikanern sagt: Ihr wisst, dass es nur gut für die Demokraten ist. Es gibt einen politischen Vorteil für die Populisten, gegen die Ukraine-Hilfe zu stimmen, indem sie behaupten, dass Wolodymyr Selenskyj ein korrupter Diktator sei, dass Russland die besseren Argumente habe. Es ist nicht bekannt, ob es geheime Absprachen zwischen diesen Republikanern oder MAGA-Kräften im Allgemeinen und den Russen gibt. Aber es besteht kein Zweifel, dass die Russen diese Botschaften aufgreifen und weitertragen, dass sie für sie sehr nützlich sind, es zumindest eine stillschweigende Art von Arbeitsbeziehung zwischen Russland und seinen Desinformationsdiensten sowie der MAGA-Fraktion der Republikanischen Partei gibt.
Einen über Monate ausgehandelten Kompromiss mit US-Präsident Joe Biden und den Demokraten mit Zugeständnissen bei Maßnahmen für die Südgrenze gab es bereits. Im letzten Moment zogen die Republikaner den Stecker. Wenn das Chaos nicht im Interesse der Republikaner oder Trumps ist, welchen Sinn hat es, den ganzen Prozess der Ukraine-Hilfe so in die Länge zu ziehen? Am Ende könnten sie ja trotzdem neuen Militärhilfen zustimmen.
Wir erinnern uns an die Zeiten, in der Politiker bereit waren, das Land über die Partei oder ihre eigenen Interessen zu stellen. Das ist eindeutig nicht mehr der Fall. Mit dem Grenzabkommen hätten die Demokraten mehr ihrer Positionen aufgegeben als je zuvor, und die Republikaner wollten oder erwarteten auch nicht viel mehr, als sie schon bekommen hatten. Aber aus Sicht der Republikaner muss die Grenze ein Problem bleiben, damit Donald Trump die Wahl gewinnt. Nach einem verabschiedeten Ukraine-Deal wäre die normale Kommunikation: Wir haben die Finanzierung der Ukraine lange genug blockiert, die Demokraten haben schließlich nachgegeben, wir haben gewonnen. So könnten sie am Ende auch versuchen, es der Öffentlichkeit zu verkaufen. Aber alles, was der Kongress verabschiedet, wird als Sieg der Demokraten und Bidens angesehen. Und viele Republikaner wollen dies nicht. Egal, worum es geht.
Von außen betrachtet erscheint die Situation wie ein absurder Hollywood-Film: Es gibt die Mehrheiten für neue Ukraine-Hilfen, auch im Repräsentantenhaus, aber Johnson setzt die Abstimmung nicht an. Könnte diese Mehrheit nicht einfach so viel Druck aufbauen, dass er keinen Ausweg mehr hat? Was geschieht da?
Es gibt viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Einer davon ist, dass die Republikaner im Jahr 2022 eine beträchtliche Mehrheit im Repräsentantenhaus hätten gewinnen können. Aber das ist nicht passiert, weil sich Trump in die Vorwahlen eingemischt und diese verrückten MAGA-Figuren unterstützt hat, mit denen keine Wahl zu gewinnen ist. Damit ist eine potenziell beträchtliche Mehrheit, in der man ein paar Verrückte hätte ignorieren können, auf eine geschrumpft, in der die Verrückten eine entscheidende Bedeutung haben. Viele aus dem republikanischen Establishment haben bereits aufgegeben, weil sie es satthaben. Vor nicht allzu langer Zeit wurde etwa Mike Gallagher als möglicher zukünftiger republikanischer Präsident gehandelt, oder als Sprecher. Jetzt ist er weg, wahrscheinlich kehrt er nicht einmal in die Politik zurück, weil er es nicht aushält.
Was kann Johnson also tun?

Gute Stimmung herrscht zwischen ihnen nicht: Sprecher Mike Johnson und Marjorie Taylor Greene
(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)
Johnson müsste im Fall der Ukraine-Hilfen mit den Demokraten zusammenarbeiten, um zu bekommen, was er will. Ein Großteil der Basis der Republikanischen Partei würde dies aber als Verrat ansehen. Johnsons Vorgänger Kevin McCarthy wurde sogar wegen einer routinemäßigen Haushaltsfinanzierung mit Stimmen der Demokraten aus dem Amt gejagt. Das war ein selbstzerstörerischer Schachzug der Republikanischen Partei. McCarthy hat intern mehr Gutes für die Partei getan, als Johnson es je tun wird. Aber es herrscht die von Trump geförderte Mentalität, dass eine Zusammenarbeit mit den Demokraten unabhängig von der Angelegenheit schlicht Verrat ist. Marjorie Taylor Greene, Matt Gaetz und die anderen dieser Spinner werden als Randfiguren gesehen, aber sie haben wegen der Mehrheitsverhältnisse beträchtlichen Einfluss.
Bei der Wahl von McCarthy hat diese Randgruppe ausgehandelt, dass in Zukunft ein Abgeordneter für die Ansetzung einer Absetzungsabstimmung ausreicht. Jetzt können Abgeordnete ständig damit drohen. Mit sehr wenigen Stimmen haben sie es also geschafft, sich viel Macht zu verschaffen.
McCarthy hat behauptet, die Demokraten hätten ihn betrogen, weil diese ihm in Verhandlungen über den Sprecherposten zugesichert hätten, ihn im Fall der Fälle mit ihren Stimmen zu retten. Das haben sie aber nicht getan. Die Lage ist aktuell ähnlich. Aber falls die MAGA-Republikaner versuchen, Johnson abzusetzen, könnten die Demokraten ihn mit ihren Stimmen retten.
Johnson hat also schlicht Angst, seinen Job zu verlieren oder tief zu fallen?
Es scheint so. Die Republikaner befinden sich in einer fast unmöglichen Situation, denn allein um die Regierung am Laufen zu halten (mit der Verabschiedung von Haushaltsfinanzierung, Anm. d. Red.), ist ein gewisses Maß an demokratischer Zusammenarbeit erforderlich. Nehmen wir mal an, Johnson stürzt sich wegen einer Abstimmung in sein eigenes Schwert, etwa wegen der Ukraine-Hilfen und einem Deal für die Südgrenze. Er wird abgewählt. Für den nächsten Sprecher wäre die Situation nicht anders. Johnsons Wahl hat Wochen gedauert, das wäre bei seinem Nachfolger nicht anders. In dieser Zeit unternimmt das Parlament nichts. Deshalb könnten Johnsons Motive auch damit zu tun haben, dass er das Land keiner noch größeren politischen Lähmung aussetzen will, während wir mit ernsten Problemen im In- und Ausland zu kämpfen haben. Es könnte aber auch Feigheit sein oder Opportunismus, weil er seinen Posten nicht aufgeben will. Es kommt darauf an, wie man es betrachtet.
Was sagt all dies über die Republikaner aus?
Die Republikanische Partei hat sich bei jeder Gelegenheit dafür entschieden, gegenüber den Randgruppen nachzugeben, anstatt sie in ihre Schranken zu weisen. Sie befindet sich in einer fast vollständig selbst verschuldeten Situation. Auch Sie würden sich nicht mit der Kandidatur von Donald Trump und all den möglichen Auswirkungen auf die derzeitige Regierungsfähigkeit befassen, wenn (der republikanische Senatsfraktionschef, Anm. d. Red.) Mitch McConnell im Amtsenthebungsverfahren wegen des 6. Januar 2021 ein paar mehr Senatoren erlaubt hätte, für eine Verurteilung Trumps zu stimmen. Ähnliches gilt auf allen Ebenen. Die Partei hätte etwa Marjorie Taylor Greene viel früher und effektiver an den Rand drängen können. Sie hätten dafür stimmen können, Matt Gaetz wegen all seiner Sexualverbrechen zu verurteilen, derer er zu Recht beschuldigt wird. Es gibt eine Menge Dinge, die sie hätten tun können. Aber jedes Mal hat die Partei die falsche Entscheidung getroffen.
Mit Geoffrey Kabaservice sprach Roland Peters
Quelle: ntv.de