Spahn: Krise liegt noch vor uns "Es kommt! Außer Sie sind auf einer Insel."
11.03.2020, 17:49 Uhr
Jens Spahn im Bundestag
(Foto: REUTERS)
Ein weiterer Tag, an dem Gesundheitsminister Jens Spahn viele Fragen zur Coronavirus-Krise beantworten muss. Er und Kanzlerin Merkel haben düstere Prognosen im Gepäck. Spahn versucht es dennoch weiter mit Ruhe und Ernsthaftigkeit.
Gesundheitsminister Jens Spahn bekommt derzeit viel Lob für seinen Umgang mit der Coronavirus-Krise - selbst von der Opposition. Zumindest bei der AfD gehört es aber zum Markenkern, der Bundesregierung ständig und in nahezu allen Belangen ein bevorstehendes Scheitern zu unterstellen. In der aktuellen Regierungsbefragung versucht es nun der Abgeordnete Peter Podolay. Noch im Februar, als die Krise schon erkennbar gewesen sei, habe Außenminister Heiko Maas veranlasst, 14 Tonnen Schutzmasken und -Anzüge nach China zu schicken. Die würden ja jetzt fehlen, moniert er. Das sei schlechtes Krisenmanagement.
Spahn antwortet ruhig: "Bei allen Problemen und Unzulänglichkeiten bleibe ich dabei: Wenig Länder sind so gut vorbereitet wie Deutschland. Sie können immer sagen, es könnte mehr sein. Da bin ich dabei." Und was China angehe, bekomme die Bundesrepublik inzwischen Hilfsangebote aus Peking, "bis hin zu Beatmungsgeräten. Ich denke, das zeichnet internationale Kooperationsbereitschaft aus". Spahn bietet zurzeit einfach wenig Angriffsfläche für Kritik.
Zwei Stunden vor der Befragung durch die Abgeordneten des Bundestages sitzt der CDU-Politiker zwischen Kanzlerin Angela Merkel und dem Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler in der Bundespressekonferenz und stellt sich den Fragen der Journalisten. Merkel hat unangenehme Prognosen im Gepäck. Sollte sich der Virus so weiter verbreiten wie bisher, rechne sie damit, dass 60 bis 70 Prozent der Deutschen erkranken könnten. Spahn räumt kurz darauf ein, dass nach derzeitigem Stand 80 Prozent der Fälle mild verlaufen. Doch trotz dieser Einschränkung würde die Rechnung bedeuten, dass es in Deutschland möglicherweise Tausende Tote geben könnte.
"Auf ein Stück Alltag verzichten"
Entscheidend sei, so Spahn, die Verbreitung so gut es gehe, zu verlangsamen, um den Gesundheitssektor nicht zu überlasten. Es gebe rund 28.000 Intensivbetten in deutschen Kliniken, das sei viel im internationalen Vergleich. Diese würden aber zum Teil bereits genutzt. Er appelliert an die Verantwortung jedes Einzelnen. "Wenn man die Zahl hört: 80 Prozent milde Verläufe, könnte man als junger, gesunder Mensch denken, das sei nicht so schlimm. Es geht aber um den Schutz der anderen, darum, dass wir alle auf ein Stück Alltag verzichten." Er ruft dazu auf, keine Desinfektionsmittel zu horten, gründliches Händewaschen sei ebenso wirksam. Die Mittel würden aber dann dort fehlen, wo sie wirklich gebraucht würden. Gleiches gelte für Mundschutzmasken. Die Öffentlichkeit, an die er appelliert, lobt er aber auch. Dies gilt auch für die Absage von Fußballspielen, die Gewährung von Heimarbeit durch etliche Unternehmen sowie den vereinfachten Umgang mit Krankschreibungen.
Gibt es doch Kritik am Umgang der Bundesregierung mit dem Coronavirus, geht die meist in eine Richtung: Es werde nicht entschlossen genug durchgegriffen. Mit Verweis auf China oder Italien, wo Millionenstädte unter Quarantäne gestellt oder gleich das ganze Land zur Gefahrenzone erklärt wurden, heißt es dann: Wie kann es sein, dass in Deutschland alles scheinbar ganz normal bleibt, Schulen und Kitas geöffnet bleiben?
Doch was passiert mit dem öffentlichen Leben, wenn alle Eltern ab morgen selbst die Kinderbetreuung übernehmen müssten oder möglicherweise infizierte Kinder, denen das Coronavirus nicht gefährlich werden kann, bei den weitaus stärker gefährdeten Großeltern geparkt würden? "Ich bin mir bei der Forderung, Kitas und Schulen zu schließen, nicht sicher, ob das auch zu Ende gedacht wird", sagt Spahn. Auf Forderungen nach Sperrzonen reagiert er, indem er sagt, sie seien vermutlich unwirksam. "Wenn Sie einen Bereich abriegeln und nach einer Weile wieder lüften, kommt der Erreger wieder", sagt er. Beim Coronavirus handle es sich um eine Pandemie, die erhebliche Teile der Weltbevölkerung erfassen werde. "Es kommt. Außer Sie sind auf einer Insel."
"Wir reden hier über Monate"
Es scheint nicht, als wollten Spahn und Merkel die Öffentlichkeit nicht schonen. Sie betonen zwar stets, dass die Krankheit den allermeisten Menschen nicht gefährlich werde. Doch sie sagen auch: Es gibt bisher kein Heilmittel, keine Impfung und die wirkliche Krise stehe erst noch bevor.
Bei der späteren Befragung im Bundestag räumt Spahn ein, es gebe Hinweise darauf, dass sich die Pandemie auch nicht durch die kommende warme Jahreszeit verlangsamen werde, wie etwa bei Erkältungs- oder Grippe-Viren. "Es gibt Erkenntnisse darauf, dass das nicht der Fall sein wird", sagt der Minister auf Nachfrage eines Abgeordneten. Er halte es für denkbar, dass die Coronavirus-Krise das Leben in Deutschland bis zum Ende des Jahres beeinträchtigt, lautet seine Antwort auf eine andere Frage. "Wir reden hier über Monate, möglicherweise bis zum Jahreswechsel."
Weder vor der Presse noch vor den Abgeordneten im Bundestag kann Spahn alle Fragen beantworten. Es gebe derzeit keine eindeutige Antwort, sagt er dann. Er versucht es weiter mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit, Ruhe und Sachlichkeit. Und er nimmt jede Frage ernst. Sei es von der AfD, die versucht, die Bundesregierung doch irgendwie anzugreifen. Von der Linken, die wissen wollen, ob in der Risikoabwägung berücksichtigt sei, dass beim kommenden Nato-Manöver "Defender 2020" 37.000 Soldaten aus allen möglichen Ländern durch Deutschland zögen. Er antwortet: "Wir haben diese Übung im Blick." Oder sei es auf die Kritik aus der Grünen-Fraktionen, wonach Spahns Ministerium bisher zu wenig Informationen in Gebärdensprache oder einfacher Sprache zur Verfügung stelle. Der Minister sagt auch dazu: "Ein ganz wichtiger Punkt. Wir arbeiten dran." Spahn wird in den kommenden Monaten noch viele Fragen beantworten müssen. Bisher schafft er das, ohne viel Kritik auf sich zu ziehen - im Gegenteil. Aber, wie er selbst sagt: Die eigentliche Krise steht ja noch bevor.
Quelle: ntv.de