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Roth über Ukraine-Verhandlungen "Europa muss jetzt einen Deal mit Donald Trump machen"

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump bei einem Treffen im Jahr 2020.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump bei einem Treffen im Jahr 2020.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

"Schrecklich", nennt SPD-Außenpolitiker Roth die Gespräche zwischen Trump und Putin über die Ukraine. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestags fordert ein Zugehen Europas auf Trump, um mitreden zu dürfen. Den Europäern müsse bewusst werden: Ein Waffenstilland werde Europa "finanziell und militärisch noch viel stärker fordern als bislang". Die europäischen NATO-Staaten sieht Roth bedroht: "Trump tritt auf wie ein Mafiapate: 'Entweder ihr zahlt euer Schutzgeld oder ihr habt bald ein ernstes Problem.'"

ntv.de: Herr Roth, drei Jahre lang hielt Bundeskanzler Olaf Scholz an der Formel fest, die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren. Wenn US-Präsident Donald Trump nun ein Einfrieren des Konflikts entlang des aktuellen Frontverlaufs durchsetzt, hat die Ukraine dann nicht doch verloren?

Michael Roth: Europa hat es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, eine eigene Strategie zur Beendigung dieses Krieges zu entwickeln. Und das im Wissen, dass Trump erneut US-Präsident werden könnte und wie abfällig er auf die Ukraine blickt. Jetzt sind wir im Wesentlichen abhängig von ihm. Donald Trump gibt Ton und Richtung der Ukrainepolitik vor, nicht Europa. Sofern Europa überhaupt je eine Richtung vorgegeben hat und wir uns nicht eher im Windschatten der USA bewegt haben.

Zur Person
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(Foto: picture alliance/dpa)

Michael Roth war seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages und in der vergangenen Legislaturperiode Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Der Sozialdemokrat vertrat im Bundestag den nordhessischen Wahlkreis Hersfeld-Rotenburg Werra-Meißner-Kreis. Bis 2021 war Roth acht Jahre lang Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 gehörte Roth innerhalb der SPD zu den exponiertesten Befürwortern einer militärischen Unterstützung der Ukraine - und stieß dabei teils auf scharfen Widerspruch. Zur vergangenen Bundestagswahl trat Roth nicht mehr an. Am 18. September erscheint sein Buch "Zonen der Angst. Über Leben und Leidenschaft in der Politik".

Demnach hätten AfD und BSW immer Recht gehabt mit ihrer Behauptung, 'der Amerikaner' allein entscheide über Dauer, Ausmaß und Länge dieses Krieges.

Faktisch ist das jetzt so. Wir müssen Trump überzeugen, die Ukraine und Europa mit an den Verhandlungstisch zu holen. Es geht schließlich um die Zukunft der demokratischen Ukraine und auch um unsere originären Sicherheitsinteressen: Wir müssen den russischen Imperialismus einhegen und einen gerechten Frieden in Osteuropa herstellen und dauerhaft sichern. Wenn man das als unser oberstes strategisches Interesse ansieht, hätten wir aber ganz anders handeln müssen.

Wie meinen Sie das?

Offenkundig hat es in Europa an Interesse, Wille und Bereitschaft gefehlt. Das beziehe ich ausdrücklich nicht allein auf Deutschland. Einige Länder haben sich weggeduckt, andere haben auf die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten verwiesen und wieder andere haben ein stärkeres Engagement schlicht sabotiert. Europa muss jetzt einen Deal mit Donald Trump machen, auch wenn das vielen nicht schmecken wird.

Wie könnte der aussehen?

Wir müssen Trump zusagen, alle Waffen für die Ukraine, die wir kurzfristig nicht selbst produzieren können, ausschließlich von den USA zu kaufen. Wir müssen die Bereitschaft zeigen, als EU zusammen mit Großbritannien die militärischen Kosten zur Verteidigung der Ukraine überwiegend selbst zu schultern. So könnte uns Trump gesichtswahrend das Zugeständnis machen, bei den Verhandlungen mit Putin mitzureden. Denn es geht um unsere Sicherheit. Die USA sind weit weg von Europa.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj scheint schon um Arrangements mit Trump zu ringen, damit der die Ukraine nicht komplett aufgibt.

Selenskyjs Angebot an die USA, wertvolle Rohstoffe in der Ukraine abzubauen, ist aus der Not heraus geboren. Er hat erkannt, dass er einen Deal mit Trump braucht. Das zeigt, wie bedrängt die Ukraine ist und wie alleingelassen sie sich fühlen muss. Es ist zum Heulen! Eigentlich sollten wir darüber reden, wie der Aggressor Russland an den Kosten für die Sicherheit und den Wiederaufbau der Ukraine zur Kasse gebeten wird. Stattdessen erleben wir jetzt eine zutiefst imperialistische und kolonialistische Debatte. Aber es hilft uns Europäern nichts, uns hundertmal am Tag über Trump zu empören und zu jammen. Wir müssen selbst etwas anbieten, auch wenn das nicht immer schön und alles andere als leicht ist.

Steuert die Ukraine gerade auf eine Niederlage zu?

Wenn man unter Niederlage versteht, dass rund 20 Prozent ihres Staatsterritoriums zur Disposition gestellt werden, dann ist das so. Wenn man aber darunter versteht, dass die Ukraine weiterhin ein souveränes, freies und demokratisches Land bleibt, dann muss man das noch verneinen.

Die US-Regierung hat gerade eine NATO-Mitgliedschaft praktisch ausgeschlossen.

Solch ein Zugeständnis der USA an Russland würde die Souveränität der Ukraine infrage stellen. Alles hängt von glaubwürdigen Sicherheitsgarantien ab, die die Ukraine bekommt. Sie steht aber unter massivem Druck, weil sie von vielen Ländern zu einer Vereinbarung mit Russland gedrängt wird. Es frustriert mich, dass Trump den Verhandlungschip einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft schon vor den eigentlichen Gesprächen aufgibt. Ein temporärer Verzicht im Rahmen von Verhandlungen hätte helfen können, schmerzhafte Zugeständnisse auf Kosten der Ukraine zu begrenzen.

Deutschland und weitere Staaten haben der Ukraine vor einem Jahr weitgehende Beistandsversprechen gegeben.

Aber leider hat bislang kein einziges Land diese Sicherheitszusagen entsprechend unterlegt, weder finanziell noch militärisch. Das ist ja das große Märchen, das nicht nur in Deutschland erzählt wird: Wenn es endlich zu einem Waffenstillstand kommt und der heiße Krieg endet, könnten wir uns endlich wieder anderen Dingen widmen. Nein, denn die Absicherung eines Waffenstillstands und die Abschreckung von weiteren russischen Aggressionen wird uns finanziell und militärisch noch viel stärker fordern als bislang. Unsere Verantwortung für Frieden und Stabilität im Osten Europas endet nicht, wenn die Waffen schweigen.

Ist das so? Würden nicht wenige zehntausend europäische Soldaten in der Ukraine reichen, damit Russland weiß: Noch ein Angriff auf die Ukraine bedeutet zwangsläufig einen heißen Konflikt mit NATO-Staaten?

Der nächste Deutsche Bundestag wird über diese Fragen befinden müssen. Das ist aber auch eine Frage des Mandats, die noch offen ist: eine robuste UN-Friedensmission, ein Mandat der EU oder der NATO? Das kann man jetzt noch nicht sagen. Die Forderung von Donald Trump nach einer Absicherung des Waffenstillstands allein durch europäische Truppen liegt schon länger auf dem Tisch. Ich sehe aber nicht, dass diese ohne die USA ausreichend abgesichert wären. Deutschland hat ja schon Probleme, die Bundeswehr-Brigade in Litauen aufzustellen.

Und bis es so etwas zu entscheiden gibt, schaut Europa vom Katzentisch aus den Verhandlungen zwischen Trump und Putin zu?

So stellen die beiden sich das offenbar vor. Schrecklich! Die beiden "Supermächte" verhandeln wie im Kalten Krieg - über die Köpfe und Interessen der Ukraine und Europas hinweg. Das ist fatal. Diese bilateralen Gespräche bestätigen vermeintlich die russische Propaganda, es handele sich um einen Großmachtkonflikt, aus dem sich Europa am besten heraushält. Auch in Deutschland fallen viele Menschen herein auf diese Propagandalüge! Dass die USA und die NATO Putin zum Überfall auf die Ukraine provoziert hätten, ist Mumpitz. Putin wollte sich in seinem imperialen Wahn die Ukraine einverleiben. Er wollte die gewählte Regierung stürzen und die ukrainische Identität auslöschen. Das übergeordnete Ziel war die Zerstörung der europäischen Friedensordnung und die Spaltung der NATO und EU, um Russlands Einflussbereich tief nach Ost- und Mitteleuropa auszuweiten.

Daran gemessen, war er nicht erfolgreich.

Keines dieser Kriegsziele hat er erreicht. Im Gegenteil: Die NATO ist heute stärker als je zuvor und ist mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens sogar näher an Russland herangerückt. Zugleich hat Putin sein Land der Supermacht China ausgeliefert. Peking senkt und hebt den Daumen über Putins Überleben.

Dennoch steht jetzt die Frage im Raum: War es das Sterben und das Leid wert, wenn der Krieg grob entlang des Frontverlaufs von vor zwei Jahren endet? Hätte der Westen Kiew schon vor zwei Jahren deutlich gemacht, dass er nicht substanziell mehr Waffen liefern wird, hätte Selenskyj schon damals mit Putin über einen Waffenstillstand verhandeln können.

Den Konsens, die Ukraine nicht ausreichend stark zu machen, gab es doch nie. Deutschland hat immer deutlich mehr gegeben als die anderen großen Staaten Westeuropas. Die USA haben unter Präsident Joe Biden viel unternommen. Die Ostsee-Staaten haben gemessen an ihren Möglichkeiten deutlich mehr in einen Sieg der Ukraine investiert. Vor allem aber haben die Ukrainer selbst nicht aufgesteckt. Es ist Unsinn zu glauben, die Ukraine hätte sich ihrem Schicksal ergeben und eine Art Belarus werden können. Russland begeht in den eroberten ukrainischen Gebieten furchtbare Menschenrechtsverbrechen. Hätte Putin diese Territorien noch früher zu einem noch niedrigeren Preis bekommen, wäre sein Machthunger doch nicht gestillt. Dann hätte er sich als nächstes Moldau oder Georgien vorgeknöpft und irgendwann, wer weiß, die Russifizierung ganz Osteuropas.

Ein Angriff auf NATO-Länder?

Das ist die eigentliche Gefahr, die von Trump ausgeht. Er will nur noch die NATO-Länder unterstützen, die Investitionen in Verteidigung in von ihm festgelegter Höhe leisten. Für die anderen gilt dann die NATO-Beistandsklausel aus amerikanischer Sicht nicht mehr. Trump tritt auf wie ein Mafiapate: 'Entweder ihr zahlt euer Schutzgeld oder ihr habt bald ein ernstes Problem.' Das spielt Russland in die Hände, das nur auf eine Gelegenheit wartet, die Beistandspflicht der NATO auf die Probe zu stellen. Derzeit baut Russland eine neue Streitmacht auf und wird spätestens Ende des Jahrzehnts in der Lage sein, erneut einen großen Krieg zu führen.

Mit Michael Roth sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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