Politik

"Eine kunstvolle Inszenierung" Ex-Vertrauter macht Lindner Vorwürfe

Ein Foto von 2012: Damals waren Lindner und Papke noch ein Gespann, heute nicht mehr.

Ein Foto von 2012: Damals waren Lindner und Papke noch ein Gespann, heute nicht mehr.

(Foto: imago/Sven Simon)

Die FDP hat gute Aussichten auf eine Rückkehr in den Bundestag. Das verdankt sie auch der Beliebtheit Christian Lindners. Aber der Parteichef erhält plötzlich Gegenwind - ausgerechnet von einem alten Freund.

Graf Lambsdorff, Scheel, Genscher, Westerwelle - Nordrhein-Westfalen gilt traditionell als Keimzelle für die Karrieren vieler erfolgreicher FDP-Politiker. Auch Christian Lindner, der amtierende Parteichef, wuchs in dem größten deutschen Bundesland auf. Der Landtag in Düsseldorf diente ihm als Sprungbrett. Lindner ist so etwas wie der Star der Liberalen, der Bundestagswahlkampf stark auf ihn zugeschnitten. Aber nicht alle finden das gut, zum Beispiel Gerhard Papke, bis Mai Landtagsabgeordneter in NRW. In seinem neuen Buch "Noch eine Chance für die FDP? - Erinnerungen und Gedanken eines Weggefährten" übt er scharfe Kritik an Lindners Kurs - dabei waren Papke und er lange befreundet.

Papke schildert dies ausführlich auf 206 Seiten. Er und Lindner lernen sich 1998 kennen. Papke, 37 Jahre alt, arbeitet damals als wissenschaftlicher Mitarbeiter der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach. Lindner absolviert in dieser Zeit dort seinen Zivildienst als Hausmeister. Papke beschreibt, wie der 19-Jährige mit seinem Porsche auf dem Parkplatz vorgefahren und mit seinen flotten Sprüchen aufgefallen sei. Tätigkeiten wie das Rasenmähen habe Lindner als Höllenqualen und Majestätsbeleidigungen empfunden. "Der Junge", der nebenher als PR-Berater tätig ist, das ist Papke schnell klar, "verstand etwas vom Showgeschäft".

Aber der 18 Jahre ältere Recklinghäuser findet Gefallen an dem Zivi und nimmt ihn in seine Obhut. Hinter Lindners "häufig inszeniertem, etwas arg großspurigen Verhalten" sieht er einen hochbegabten jungen Mann "mit hellem Verstand und außergewöhnlicher Rhetorik". Aus dem wird mal was, das ahnt Papke schon damals. Auf Initiative Lindners kandidieren die beiden Männer für den Landtag. Im Juni 2000 sitzen sie im Düsseldorfer Parlament. Lindner ist mit 21 Jahren der jüngste Abgeordnete in der Geschichte des NRW-Landtags.

"Bei uns in Düsseldorf immer willkommen"

Es ist der Beginn einer politischen Freundschaft. Man versteht sich gut, hilft sich auf dem Weg nach oben. Ohne Bündnisse geht es nicht in der Politik. Lindner wird 2004 Generalsekretär des Landesverbands, Papke 2005 Vorsitzender der Landtagsfraktion. Vier Jahre später will Lindner in den Bundestag. Papke ist nicht überrascht über dessen sinnvollen nächsten Karriereschritt. "Wenn es dir in Berlin eines Tages keinen Spaß mehr macht, dann bist du bei uns in Düsseldorf immer willkommen", gibt er dem Freund mit auf den Weg. Lindner wird Ende 2009 auch Generalsekretär der Bundes-FDP, aber der Ausflug in die Hauptstadt bleibt ein kurzes Kapitel. Bei den Liberalen vollzieht sich ein Generationswechsel. Die "Boygroup" um Lindner, Daniel Bahr und Philipp Rösler, den späteren Vorsitzenden, macht Schlagzeilen. Aber die Bundespartei, die in Berlin gemeinsam mit der Union regiert, steckt in einer schweren Krise.

Im Dezember 2011 tritt Lindner überraschend als Generalsekretär zurück, "um eine neue Dynamik zu ermöglichen", wie er sagt. Eine richtige Begründung liefert er nicht. Lindner feiert ein schnelles Comeback, in NRW. Dort kommt es im Frühjahr 2012 zu vorgezogenen Neuwahlen, der Landesverband kürt Lindner mit Unterstützung Papkes zum Spitzenkandidaten. Bei der Wahl holt die FDP 8,6 Prozent, Lindner übernimmt anschließend die Führung der Landtagsfraktion. Er beerbt damit Papke, der Vizepräsident des Landtags wird. Die Bundes-FDP erlebt ein gutes Jahr später ein Desaster, erstmals in der Geschichte verpasst sie den Einzug in den Bundestag. Nach Röslers Rücktritt übernimmt Lindner und macht sich an die Neuausrichtung der Partei - es ist der Anfang vom Ende des engen Verhältnisses zwischen ihm und Papke.

Der veröffentlicht im Oktober 2014 ein Islamismuspapier, eine inhaltliche Kursbestimmung der FDP im Bereich Innere Sicherheit. Papke warnt darin vor einer islamistischen Bedrohung und spricht sich für eine restriktive Einwanderungspolitik aus. Medien werten das Papier als Rechtsruck, auch intern gerät es in die Kritik. Linder geht auf Distanz zu Papkes Thesen geht und zieht das Papier schließlich aus dem Verkehr. Papke sieht sich diskreditiert. Eine Partei, die den Mut zu radikalen Problemlösungen haben will, darf nicht kuschen, wenn ihr Wind ins Gesicht bläst, findet er. Innerhalb der Partei gerät Papke ins Abseits, auf einem Landesparteitag im Frühjahr 2015 wird ihm das Mikrofon abgestellt, als er über das Thema Kopftuchverbot für Lehrerinnen spricht. Papke hat inzwischen immer größere Zweifel an Lindners Führungsstil und dessen Dominanz. Er habe noch keinen FDP-Vorsitzenden erlebt, der die Partei so stark unter seine Kontrolle bringen wollte.

"Nicht authentisch"

Auch in der Flüchtlingskrise hadert Papke 2015 und 2016 mit Lindners Ausrichtung. Der stimmt zunächst mit der Kanzlerin überein und fordert erst dann einen schärferen Kurs, als die öffentliche Kritik an der Einwanderungspolitik der Bundesregierung größer wird. Papke hält es auch für falsch, dass die FDP sich für die Einführung von Mehrfachstaatsbürgerschaften und die Freigabe von Cannabis ausspricht. Im September 2016 zieht der 55-Jährige seine Konsequenzen und kündigt an, nicht mehr für den Landtag zu kandidieren. In seiner Erklärung kritisiert Papke, dass die FDP nach links rücke und den Weg für Ampel-Koalitionen freimache. "Gerade weil die CDU bei vielen Themen von der SPD kaum mehr zu unterscheiden ist, wäre es nach meiner Auffassung Aufgabe der Freien Demokraten, enttäuschten bürgerlichen Wählern eine neue Heimat zu bieten", erklärt er. Dazu gehöre eine klare Haltung gegen ungesteuerte Zuwanderung und eine kritische Debatte über den Islam.

Von Lindners großen Begabungen ist Papke noch immer überzeugt. Sein Buch will er nicht als Generalabrechnung verstanden wissen, aber er sieht die FDP auf dem falschen Kurs. In der Außendarstellung attestiert Papke dem Parteichef "eine kunstvolle Inszenierung". Linder verfolge "eine Politik systematischer Risikominimierung. Er vermeidet genau kalkulierend Positionen, mit denen er eine umstrittene politische Debatte loslösen könnte." Die FDP solle auf keinen Fall unangenehm auffallen. Lindners Tonalität folge "geschmeidig dem Zeitgeist". In die neue FDP lasse sich vieles hineininterpretieren, sie sei Projektionsfläche unterschiedlichster Erwartungen. Vielen Positionen, die Lindner vertrete, hafte "etwas Flüchtiges" an. "Lindner wird gewissermaßen zum modernen Perfektionierer des politischen Mainstreams. Fraglos ist das eine intelligente Strategie. Sie ist möglicherweise unter Machtaspekten auch sehr erfolgsversprechend", schreibt Papke. "Doch sie ist nicht authentisch."

Lindner und sein Umfeld nehmen die Veröffentlichung achselzuckend zur Kenntnis. Auf Anfrage von n-tv.de will man sich nicht äußern. Am Tag, an dem das Buch erschien, stellte Lindner mit Generalsekretärin Nicola Beer Wahlplakate vor.

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Quelle: ntv.de

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