Politik

Gericht stellt Verfahren ein Familie Pham droht nach 36 Jahren die Abschiebung

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Pham Phi Son (r.) mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter bei der Demonstration gegen ihre Abschiebung in Chemnitz. Hunderte Menschen solidarisierten sich mit der Familie.

(Foto: picture alliance/dpa)

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Pham Phi Son wohnte schon in Chemnitz, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß. Nun sollen er und seine Familie abgeschoben werden. Zwar stellt ein Gericht das Verfahren gegen den 66-Jährigen wegen unerlaubten Aufenthalts in Deutschland ein. Gewonnen ist der Kampf damit aber noch nicht.

Für die Familie von Pham Phi Son ist es vielleicht ihre letzte Chance. Der Vietnamese, der vor 36 Jahren nach Deutschland gekommen ist, droht mit seiner Frau und der gemeinsamen sechsjährigen Tochter die Abschiebung. Weil er aus Angst vor einer Rückführung zwei Jahre lang untergetaucht ist, musste er sich am heutigen Montag vor dem Amtsgericht in Chemnitz wegen unerlaubten Aufenthalts in Deutschland verantworten. Doch nach Sichtung der Gesamtumstände sah der Amtsrichter eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage von 300 Euro als gerechtfertigt an, berichtet der MDR.

Doch wie ist es überhaupt so weit gekommen? Pham lebt seit 1987 in Sachsen, als er als Vertragsarbeiter in die DDR kam. Seit 2011 hatte er eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Zum Verhängnis wurde ihm dann aber ein Auslandsaufenthalt in seinem Heimatland Vietnam im Jahr 2015. Statt der vorgeschriebenen sechs Monate kam Pham erst nach neun Monaten zurück. Grund war seinen Angaben zufolge eine Operation am Knie. Er habe sogar die deutsche Botschaft darüber informiert.

Erst als der Familienvater drei Jahre später für seine Tochter einen Reisepass beantragen wollte, fiel der Behörde auf, dass er drei Monate zu lange außer Land war. Daraufhin entzog die Stadt Chemnitz ihm sämtliche Aufenthaltsrechte. Das hatte drastische Folgen: Pham durfte nicht mehr arbeiten, sein Chef musste ihm kündigen. Aus Angst vor einer Abschiebung tauchte er für zwei Jahre unter - ein Fehler, wie er heute selbst sagt.

Pham klagte gegen das Urteil, weil er bleiben will. Jedoch ohne Erfolg. Die sächsische Härtefallkommission entschied sich 2018 und erneut im Februar 2023 gegen ihn. Die Ausländerbehörde Chemnitz hätte eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilen können, weigerte sich aber, da hierfür keine Grundlage vorliege. "Eine solche Erlaubnis wird normalerweise nur dann erteilt, wenn im Rückblick auf die vergangenen fünf bis zehn Jahre Integrationsleistungen ersichtlich sind", sagte Stadtsprecher Matthias Nowak dem MDR. Dazu zählen unter anderem Sprachkurse, Berufstätigkeit oder auch ehrenamtliches Engagement.

"Das ist Behörden-Ping-Pong"

Sowohl Pham als auch seine Frau Hoa Nguyen haben befristete Arbeitsverträge in der Gastronomie. Wegen der späten Erteilung der Arbeitserlaubnis sind sie aber noch im Probearbeitsverhältnis, was die Stadt als nicht dauerhaft kritisiert. Der Inhaber bezeichnet jedoch beide als fleißige und zuverlässige Arbeitskräfte, wie sie zurzeit schwer zu finden seien. Laut Behörden sollen aber auch ihre Sprachkenntnisse nicht ausreichen. Die gemeinsame Tochter ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, im Sommer soll sie eingeschult werden. Auch sie wäre von einer Abschiebung betroffen.

Der sächsische Flüchtlingsrat zeigte sich empört über das Vorgehen der Ausländerbehörde. "Wir sind absolut geschockt", sagte Pressesprecher Dave Schmidtke dem MDR. Ihm zufolge habe die Stadt einen sehr großen Ermessensspielraum, der aber nicht genutzt werde. Eine erneute Befassung der Härtefallkommission mit dem Fall der Familie sieht Schmidtke als sehr unwahrscheinlich an. "Das ist Behörden-Ping-Pong, das auf dem Rücken der Familie ausgetragen wird", so Schmidtke.

Auch die Chemnitzer Migrationsbeauftragte, Etelka Kobuß, bezeichnet die Entscheidung als falsch. Es sei allen klar, dass Pham einen Fehler begangen hätte. "Der steht jedoch in keinem Verhältnis zu der Strafe", sagte Kobuß dem ZDF. Das sehen auch viele Chemnitzer so. Empört über den Fall gingen Mitte Februar rund 300 Menschen auf die Straße, um ihre Unterstützung für Pham und seine Familie zu zeigen. In einer Petition verlangten mehr als 80.000 Menschen ein Bleiberecht für die Familie.

"In Sachsen werden oft die falschen abgeschoben"

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Bei der Kundgebung in Chemnitz spricht sich SPD-Landtagsabgeordneter Frank Richter für ein Bleiberecht für Familie Pham aus.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Fall beschäftigt sowohl Öffentlichkeit als auch Politik seit Monaten. "In Sachsen werden oft die falschen abgeschoben", sagte Landtagsabgeordneter Frank Richter von der SPD. In anderen Bundesländern hätte es längst eine Entscheidung zugunsten der Familie gegeben, ist sich auch Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat sicher.

Die Ampelkoalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag eine sogenannte Rückführungsoffensive vereinbart. Darin haben die Parteien einen "sehr, sehr starken Fokus auf Gefährder, Straftäterinnen und Straftäter" gelegt, sagte der Sonderbeauftragte Joachim Stamp von der FDP bei Markus Lanz, unabhängig von dem Fall Pham. Trotzdem sind Abschiebungen, oder "Rückführungen", letztlich Ländersache. Diese unterschiedlichen Ansätze, "die es mit den Ländern gibt", wolle man "so zusammenführen, dass wir auf der einen Seite reguläre Migration stärken und auf der anderen Seite irreguläre reduzieren können", sagte Stamp.

SPD-Politiker Richter bezeichnet Familie Pham als festen, integrierten Teil von Chemnitz. Seine Parteikollegin Renata Marwege, Co-Vorsitzende der Chemnitzer SPD, sagte Mitte Februar auf der Demonstration vor der Ausländerbehörde: "Es ist würdelos, Menschen nach 35 Jahren als nicht integriert zu bezeichnen", sagte sie. "Es muss auf ein Bleiberecht hinauslaufen."

Die Anwältin der Familie, Jenny Fleischer, ist mit dem Urteil zufrieden. "Wir sind froh, dass die Umstände vom Gericht gewürdigt wurden, dass er sich ohne eigenes Verschulden zu lange in Vietnam aufgehalten hat." Nun hoffen sie, dass sich das Urteil positiv auf eine Entscheidung der Ausländerbehörde über eine Aufenthaltserlaubnis für Pham und seine Familie auswirkt.

Quelle: ntv.de

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