Kritik an Seenotrettung Flüchtlingshelfer sehen sich als Sündenbock
28.06.2018, 16:56 Uhr
Die Flüchtlinge sind von Bord der "Lifeline", doch den Seenotrettern könnte ein juristisches Nachspiel drohen.
(Foto: REUTERS)
Wenn Hilfsorganisationen Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten, spielen sie dann Schleppern in die Hände? Seenotretter sehen das ganz anders und fühlen sich als Opfer einer "Kriminalisierungskampagne". Sie fordern eine europäische Lösung.
Vor dem EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise haben die Rettungsorganisationen Lifeline und Sea-Watch schwere Vorwürfe gegen die europäischen Regierungen erhoben und eine europäische Lösung im Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer gefordert. Nach dem Drama um das tagelang im Mittelmeer umherirrende Rettungsschiff "Lifeline" mit Flüchtlingen an Bord sehen sich die Aktivisten als Opfer einer "Kriminalisierungskampagne". Die Hilfsorganisationen würden von der Politik zu "Sündenböcken" für eine verfehlte Migrationspolitik gemacht, sagte Marie Naass von der Organisation Mission Lifeline bei einer Pressekonferenz in Berlin. "Uns gibt es nur, weil Staaten ihrer Verantwortung nicht nachkommen."
Das gleichnamige Rettungsschiff der Organisation, die "Lifeline", hatte in der vergangenen Woche vor der libyschen Küste 234 Flüchtlinge gerettet und war danach tagelang über das Mittelmeer geirrt, weil Italien und Malta dem Schiff ein Anlegen verweigert hatten. Gestern Abend erhielt es nach Tagen die Erlaubnis im Hafen von Valetta anzulegen.
Maltas Regierung wirft dem "Lifeline"-Kapitän vor, gegen "internationale Gesetze verstoßen und Anweisungen der italienischen Behörden missachtet" zu haben. Kapitän Claus-Peter Reisch wurde bereits zwei Mal von der maltesischen Polizei befragt. Derzeit gebe es "keine Anklagen, keine Verfahren", sagte Naass zu angedrohten juristischen Schritten gegen die Organisation und ihr Schiff. Auch das Schiff sei "nicht konfisziert". "Wir haben uns an alle internationalen Konventionen gehalten", betonte Naass. Das Auswärtige Amt sei stets über die Mission informiert gewesen. Die deutsche Botschaft vor Ort habe ihnen juristischen Beistand angeboten, dieser sei bislang jedoch "nicht notwendig".
Kritik aus Italien und Frankreich
Allein in diesem Jahr sind bereits rund tausend Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken - ohne die Rettungsschiffe der Hilfsorganisationen wären es wohl weitaus mehr. Dennoch wird die Kritik an den Flüchtlingshelfern in Europa immer lauter: Italien und auch Frankreich werfen ihnen vor, den kriminellen Schleusern in die Hände zu spielen.
Italien fährt seit dem Regierungswechsel eine harte Linie und will gar keine Schiffe von Hilfsorganisationen mehr in ihre Häfen lassen, die Flüchtlinge vor der libyschen Küste aus dem Meer retten. Innenminister Matteo Salvini von der fremdenfeindlichen Lega-Partei vergleicht die Schiffe gar mit einem "Taxi-Dienst" für Schlepper und Migranten.
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisiert inzwischen deutlich, die Schiffe würden den Schleusern helfen. "Wir können diese Situation nicht dauerhaft akzeptieren", sagte er bei einem Besuch in Rom. Schließlich sei die Überfahrt wegen des Einsatzes der Flüchtlingshelfer für die Schlepper billiger.
Profitieren Schleuser von Grenzschließungen?
Die Hilfsorganisation Médecins du Monde (Ärzte der Welt) weist die Kritik aus Paris und Rom zurück. "Wir helfen den Migranten aus humanitären Gründen, aber wir spielen den Schleusern absolut nicht in die Hände", sagt der Leiter der französischen Sektion, Philippe de Botton. Was den Interessen der Schlepper in Wahrheit dienen würde, wären Grenzschließungen.
Mission Lifeline verweist als Reaktion auf den Vorwurf, die Organisation habe die geretteten Flüchtlinge nicht zurück nach Libyen gebracht, auf den Grundsatz der Nichtzurückweisung in der Genfer Flüchtlingskonvention. Dieser besagt, dass niemand in seine Heimat abgeschoben werden darf, wenn ihm dort Folter oder andere Misshandlungen drohen. Menschenrechtsorganisationen prangern immer wieder die Zustände in Flüchtlingslagern des nordafrikanischen Landes sowie die Misshandlung von Migranten in den dortigen Lagern an.
Aktivisten fordern Dublin-Reform
Ein Urteil stützt ihre Sichtweise: Im März hatte Italien das Rettungsschiff der spanischen Proactiva Open Arms beschlagnahmt. Später hob ein Gericht diese Anordnung jedoch wieder auf. Der Richter urteilte, die Flüchtlingshelfer hätten bei ihrem Einsatz "aus einer Notwendigkeit heraus" gehandelt: Libyen sei derzeit kein geeigneter Ort, an den Flüchtlinge zurückgebracht werden könnten.
Sea-Watch und Lifeline forderten mit Blick auf den EU-Gipfel nun eine Dublin-Reform. Die Dublin-Verordnung sieht vor, dass die Länder die Asylanträge von Migranten bearbeiten müssen, in die die Flüchtlinge zuerst einreisen. Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland tragen daher eine besonders große Last. Naass räumte ein, dass Italien mit dem Flüchtlingsproblem in den vergangenen Jahren "massiv allein gelassen" worden sei. "Der europäische Rat hat es versäumt, einen Vorschlag vorzulegen", sagte Naass. Es müsse aber "eine europäische Lösung geben".
Quelle: ntv.de, ftü/AFP/dpa