Politik

Selbstkritik aus der Ampel "Für uns Unternehmer ist eine starke AfD gefährlich"

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Am Tag nach dem historischen "Dammbruch", wie SPD-Chef Esken es nennt, ist die Empörung über den Wahlerfolg der AfD in Sonneberg groß. Die Wirtschaft ist besorgt über die Entwicklung. Die Politik hingegen sucht nach einem Schuldigen für den Rechtsruck in Thüringen.

Nach dem erstmaligen Sieg der AfD bei einer Landratswahl warnen Wirtschaftsvertreter und Experten vor negativen Folgen für den Standort Deutschland. "Für uns Unternehmer ist eine starke AfD gefährlich, insbesondere weil sie aus dem europäischen Binnenmarkt raus will, Putins Zerstörung jeglichen Rechts verteidigt und die dringend nötige Zuwanderung von Fachkräften durch rassistische Kampagnen untergräbt", sagte die Präsidentin der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann. Aus der Ampel kommen kritische Töne zur eigenen Verantwortung, von der SPD aber auch der klare Fingerzeig Richtung Union.

AfD-Kandidat Robert Sesselmann hatte sich in der Stichwahl um den Landratsposten im thüringischen Kreis Sonneberg mit 52,8 Prozent der Stimmen gegen den CDU-Kandidaten Jürgen Köpper durchgesetzt.

Die AfD biete selbst keine zukunftsfähigen Lösungen, sagte Ostermann weiter. Aber immer mehr Menschen seien in größter Sorge, weil sowohl die Große Koalition als auch die Ampel die Bürger in immer neue Probleme stürzten, ohne bisher überzeugende Lösungen anzubieten. Viele hätten schlichtweg Angst um ihr Eigentum, vom Verbrennerauto bis zur Sanierung ihres Eigenheims. Auch sorgten sie sich, ob Krankenversicherung und Rente künftig noch sicher seien.

"Keine gewöhnliche Landratswahl"

Die Bundesregierung hält sich derweil mit Bewertungen zurück. Es sei zwar "keine gewöhnliche Landratswahl" gewesen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Allerdings wäre es "ungewöhnlich, wenn die Bundesregierung eine Landratswahl kommentieren würde". Deswegen wolle er dies auch nicht tun, fügte der Sprecher hinzu.

Auf entsprechende Fragen nach der Wahl in Sonneberg antwortete Hebestreit mit allgemeinen Ausführungen zum Wert der Demokratie - und zu den Anfechtungen, denen diese derzeit ausgesetzt sei. "Es ist sehr viel Umbruch im Augenblick, es ist sehr viel los", sagte Hebestreit. Als Beispiel nannte er die Themen Inflation, Klimaschutz und Ukraine-Krieg, die zu Verunsicherung führen könnten.

"Klar als Protestwahl zu werten"

Für FDP-Vize Wolfgang Kubicki ist das Ergebnis in Sonneberg "ein deutlicher Fingerzeig nach Berlin und klar als Protestwahl zu werten". Stuttgarter Zeitungen sagte er weiter: "Es ist die Quittung für eine politische Kultur, die nicht mehr vorrangig Probleme löst, sondern oft durch Angsteinflößung Geländegewinne zu erzielen versucht."

Auch SPD-Chefin Saskia Esken sieht eine Mitverantwortung der Ampel für den Verdruss der Wähler. Auch die Ampel-Koalition habe "ihre Politik in letzter Zeit zu wenig erklärt, nicht gut organisiert", sagte Esken. Sie nannte dabei das Heizungsgesetz als Beispiel. "Wir müssen jetzt durchstarten", sagte die SPD-Chefin.

Die SPD-Chefin nahm für den "Dammbruch" von Sonneberg aber auch die Union ins Visier. CDU und CSU müssten "endlich verstehen, wer am Ende wirklich profitiert von diesem rechtspopulistischen Kulturkampf, den sie aus vielen Themen machen", sagte Esken. "Denn das ist nur die AfD."

"Die Bundesregierung spaltet das Land"

CDU-Generalsekretär Mario Czaja wies jedoch die Vorwürfe an seine Partei zurück und machte die Ampelkoalition für den Wahlerfolg der AfD verantwortlich. "Die Bundesregierung spaltet das Land. Sie hat zu viele Themen und Vorschläge, die im Land eben nicht auf Konsens stoßen", sagte Czaja. Die Bundespolitik könne so nicht fortgesetzt werden, es brauche mehr Gemeinschaft und Zugehörigkeit im Land. "Es ist ganz offensichtlich gewesen, dass bundespolitische Themen überragend waren", sagte der CDU-Politiker mit Blick auf den Ausgang der Landratswahl am Sonntag im Kreis Sonneberg.

Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sprach von einem "Auftrag an alle demokratischen Parteien". Es gehe darum, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und zu überlegen, "welche Rolle jede Partei im Kampf gegen den Rechtsextremismus einnehmen kann". Jede Partei müsse ihre Verantwortung übernehmen, anstatt "mit Schuldzuweisungen zu arbeiten" und "mit dem Finger auf andere zu zeigen". Die Ampel-Koalition müsse sich auf Lösungen fokussieren, die nah an der Lebensrealität der Menschen sind, und "geschlossener auftreten". Für die Opposition wiederum gehe es darum, "nicht den rechten Kulturkampf zu befeuern". Der AfD warf die Grünen-Chefin vor, sie habe "kein Interesse daran, dass es den Menschen gut geht". Sie "füttert bewusst Ängste und schürt auf dieser Basis Hass".

Kritische Stimmen aus der Opposition kamen auch von der Linken. Linken-Chef Martin Schirdewan sieht die Gründe für den Sieg des AfD-Kandidaten im thüringischen Landkreis Sonneberg insbesondere in einer "massiven Enttäuschung" über die Politik der Bundesregierung. Es gehe darum, das "Unwohlbefinden" vieler Menschen mit politischen Entscheidungen wieder zurückzuführen in Vertrauen in die Demokratie, sagte Schirdewan.

"Erster Dominostein"

DIW-Präsident Marcel Fratzscher warnt, wie die Präsidentin der Familienunternehmer, ebenfalls vor negativen Konsequenzen. "Ich befürchte, die Stärkung der AfD wird die Abwanderung von motivierten und gut qualifizierten jungen Fachkräften beschleunigen und damit die soziale Polarisierung und die politischen Probleme vor allem in Ostdeutschland weiter verschärfen", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Gute, motivierte und diverse Fachkräfte seien essenziell für Unternehmen und für den wirtschaftlichen Erfolg.

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Die AfD liegt in bundesweiten Umfragen teils vor der SPD auf dem zweiten Platz. Diese Entwicklung "könnte ein erster Dominostein sein, dem weitere folgen könnten, mit ungewissem Ausgang für Wirtschaft und Gesellschaft", sagte Fratzscher. Die politischen Rahmenbedingungen seien wichtig für Standortentscheidungen von internationalen wie auch nationalen Unternehmen. "Unzureichende Rahmenbedingungen werden nur selten durch massive finanzielle Subventionen kompensiert werden können", fügte der Ökonom hinzu.

Weniger besorgt regierte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). "Wir gehen nicht davon aus, dass die Wahl eines Landrates die Investitionsbereitschaft internationaler Unternehmen beeinflusst", sagte der BVMW-Vorsitzende Markus Jeger. "Hier sind eher wirtschaftliche Faktoren wie zum Beispiel die Verfügbarkeit von Fachkräften, schlanke Verwaltungen, zügige Genehmigungsverfahren und niedrige Steuerlast entscheidend."

Quelle: ntv.de, cls/dpa/AFP/rts

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