"Kann nur ein Anfang sein" Gemischte Gefühle nach Freilassung der ersten Geiseln
25.11.2023, 02:33 Uhr Artikel anhören
Freude über die Rückkehr: Der Helikopter hat einige der freigelassenen Geiseln an Bord.
(Foto: REUTERS)
Nach 49 Tagen in den Händen der Hamas sind 24 in den Gazastreifen verschleppte Frauen und Kinder zurück in Israel. Unter ihnen eine Mutter mit deutscher Staatsbürgerschaft und ihre beiden kleinen Töchter. Die Freigelassenen scheinen zumindest körperlich in guter Verfassung zu sein.
Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock spricht von einem "Tag der Hoffnung", aber nicht des "Aufatmens": Zum Auftakt einer viertägigen Feuerpause im Gazastreifen ist eine erste Gruppe von 24 Hamas-Geiseln freigelassen worden, darunter zehn thailändische und ein philippinischer Staatsbürger. Unter den 13 israelischen Geiseln waren auch vier Doppelstaatler mit deutscher Staatsbürgerschaft. Baerbock äußerte sich "unendlich erleichtert". Es sei nun aber entscheidend, "dass sich alle an die getroffenen Absprachen halten und dass in den nächsten Tagen weitere Geiseln freikommen", betonte die Ministerin. "Die Freilassung aller verbliebenen Geiseln, insbesondere auch der Deutschen unter ihnen, bleibt für uns oberste Priorität."
Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz: "Es ist eine gute Nachricht, dass endlich eine erste Gruppe von Geiseln freigelassen wurde. Wir können kaum ermessen, was sie und ihre Angehörigen in den letzten Wochen haben durchmachen müssen", erklärte er auf X. Dies könne jedoch nur ein Anfang sein. Die Hamas müsse alle Geiseln bedingungslos freilassen.
Bei den freigelassenen deutschen Doppelstaatlern handelt es sich um die 77-jährige Margalit Moses sowie um die Familie von Yoni Asher. Der 37-Jährige war Ende Oktober nach Berlin gereist, um auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam zu machen. Seine Frau, die 34-jährige Doron Katz-Asher, sowie die zwei Töchter im Alter von zwei und vier Jahren waren - wie auch Moses - von der Hamas aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt worden, wo sie Dorons Mutter besucht hatten. Asher sah auf Videos, wie die Hamas-Terroristen seine Familie auf einem Pickup abtransportierten. Feiern wolle er erst, wenn alle Geiseln frei seien, sagte Yoni Asher in einem Video, das bei X verbreitet wurde.
"Dass ein Vater nach 49 Tagen der Hölle des unglaublichen Bangens endlich seine zwei kleinen Töchter, seine Ehefrau wieder sicher in die Arme schließen kann. Allen, die daran mitgewirkt haben, die Berge versetzt haben, sind wir - ist die deutsche Bundesregierung - enorm dankbar", sagte Baerbock.
Biden wirbt für Verlängerung der Feuerpause
Die freigelassenen Geiseln wurden in Israel in Krankenhäuser gebracht, wo sie medizinisch untersucht und dann von ihren Angehörigen in Empfang genommen wurden. Ihre körperliche Verfassung scheint nach Auskunft der medizinischen Behörden in Israel gut zu sein. Die Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass während der zunächst viertägigen Feuerpause insgesamt 50 Geiseln sowie 150 palästinensische Gefangene freikommen. Die Freilassung der Thailänder war einem Insider zufolge nicht Teil der Waffenruhe-Vereinbarung, sondern wurde unabhängig davon ausgehandelt - ebenfalls unter Vermittlung Katars sowie Ägyptens. Am Abend erhielt Israel eine Liste mit den Namen der 13 Geiseln, die im Laufe des Samstags freigelassen werden sollen. Unter ihnen sollen acht Kinder sein. Die Familien seien informiert worden, berichtete unter anderem das israelische Portal Ynet unter Berufung auf das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der erklärte derweil, seine Regierung sei "entschlossen, alle unsere Geiseln zurückzubringen".
US-Präsident Joe Biden zeigte sich erleichtert: "Die heutige Freilassung ist der Beginn eines Prozesses", sagte der US-Präsident bei einer Ansprache. Er erwarte, dass am Samstag, Sonntag und Montag weitere Geiseln freikämen. "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Tagen Dutzende von Geiseln zu ihren Familien zurückkehren werden." Biden warb dafür, die zunächst auf vier Tage angesetzte Feuerpause zu verlängern. Israel hatte sich dazu bereit erklärt, sofern die Hamas täglich mindestens zehn weitere Geiseln freilässt. "Die Chancen sind real", sagte Biden. Zudem sprach er sich dafür aus, sich um eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt zu bemühen. "Wenn wir in die Zukunft blicken, müssen wir den Kreislauf der Gewalt im Nahen Osten durchbrechen", sagte Biden. "Wir müssen unsere Entschlossenheit erneuern, diese Zwei-Staaten-Lösung anzustreben, in der Israelis und Palästinenser eines Tages Seite an Seite (...) mit einem gleichen Maß an Freiheit und Würde leben können."
Jubel im Westjordanland
Im Austausch für die freigelassenen Geiseln der Hamas entließ Israel insgesamt 39 palästinensische Gefangene aus der Haft, 24 Frauen und 15 Teenager. Bei den Familien von mindestens drei von ihnen kam es Zeugen zufolge vor der Freilassung zu Razzien der israelischen Polizei. Die Polizei äußerte sich dazu nicht. Im besetzten Westjordanland wurde die Ankunft von 28 entlassenen Häftlingen mit Feuerwerk gefeiert, wie ein AFP-Reporter berichtete. Elf weitere Palästinenser wurden in den annektierten Ostteil Jerusalems gebracht.
In Tel Aviv wurden lächelnde Gesichter von befreiten Geiseln auf die Fassade eines Museums projiziert. Zugleich sorgen sich viele Angehörige weiterhin um ihre Verwandten, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden. "Jeden Tag werden 13 Menschen freigelassen, und dann?", fragte Harosh Menashe, dessen Cousin unter den Geiseln ist. "Wir müssen alle befreien, wir können niemanden dort lassen."
Die am Freitag um 6.00 Uhr (MEZ) in Kraft getretene Waffenruhe verschaffte den Bewohnern des Gazastreifens erstmals seit Beginn des Kriegs vor knapp sieben Wochen eine Atempause. Als die Luftangriffe am Morgen aufhörten, bereiteten sich im Gazastreifen Tausende an die Grenze zu Ägypten geflohene Menschen auf die Rückkehr in ihre Dörfer vor. Israelische Kampfflugzeuge warfen über dem südlichen Gazastreifen Flugblätter ab, mit denen die Menschen davor gewarnt wurden, in den Norden des Küstenstreifens zurückzugehen. "Der Krieg ist noch nicht vorbei", hieß es darauf.
Die Feuerpause soll auch für eine Ausweitung der humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen genutzt werden. Nach israelischen Angaben trafen am Freitag 200 Lastwagen mit Hilfsgütern dort ein, laut dem Nothilfebüro der Vereinten Nationen (Ocha) konnten bislang 137 entladen werden. Es war der größte humanitäre Konvoi, der seit Kriegsbeginn in das Palästinensergebiet gelangte.
Quelle: ntv.de, ino/AFP/rts