Politik

Mut und Entschlossenheit Glücklich das Land, das solche Helden hat

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Das ukrainische Volk zeigt der ganzen Welt, dass Zusammenhalt und Miteinander in schlimmsten Zeiten möglich sind. Der Patriotismus der Ukraine steht auch hierzulande für Freiheitswillen und Liebe zur Heimat.

Zum Ende seines epischen Theaterstücks "Das Leben des Galilei" lässt Bertold Brecht den wissbegierigen Studenten Andrea Sarti sagen: "Unglücklich das Land, das keine Helden hat!" Die Antwort seines Lehrers Galileo Galilei wurde zum geflügelten Wort: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat."

Auf die Ukraine treffen beide Aussagen zu. Russland hat das Unglück in sein Nachbarland gebracht. Aber an Helden mangelt es der Ukraine nicht. Im Gegenteil: Es gibt sie zuhauf. Jeden Tag erreichen den Westen Videos und Berichte von Ukrainern, die - nicht nur an der Front - ihr Leben riskieren. Man kommt nicht umhin, ihren Heldenmut, ihre Entschlossenheit, ihren Willen, ihr Durchhaltevermögen zu bestaunen oder zu bewundern, ohne sie zu überhöhen. Die Bilder und Worte sagen genug.

Klänge es nicht zynisch, müsste man von Helden des Alltags sprechen, eines Kriegsalltags, der den Ukrainern brutal aufgezwungen worden ist. "Ich bin jetzt keine ängstliche Frau mehr, sondern eine starke Frau. Das hilft zu überleben", zitiert die "Welt" die Studentin Marharyta Ruvchachenko. Die 25-jährige koordiniert, wie sie berichtet, in Kiew die Medikamentenbeschaffung für Soldaten und organisiert für die Armee den Transport von Helmen, schusssicheren Westen, Ferngläsern. "Ich stehe bereit, weil ich gebraucht werde."

"Haut ab!"

Ein Beispiel von Hunderten und Tausenden Menschen, die Tag für Tag ihre Angst besiegen und dabei erstaunliche Ruhe ausstrahlen. Da ist Mosche Asman, der Rabbiner der Brodskij-Synagoge im Herzen Kiews, der in einer Videobotschaft auf Russisch sagt: "Ich hätte in meinen schlimmsten Träumen nicht gedacht, dass ich eines Tages unter den Geschossen Russlands sterben könnte!" Er will bleiben, selbst wenn es ihn das Leben kostet: "Ich werde meine Gemeinde nicht verlassen."

Da sind die Bauern, die zurückgelassene Panzer wegschleppen. Da sind die jungen Frauen, die zur Waffe greifen. Da sind die Großmütter, die russischen Soldaten Sonnenblumenkerne geben, damit aus den Leichen der Besatzer etwas Sinnvolles erwächst, wenn sie in der ukrainischen Erde verwesen. Da ist der Mann in roter Jogginghose und Hauslatschen, der in Melitopol einen Protest gegen russische Soldaten in Kampfmontur anführt und ihnen mitteilt, was er über sie denkt: "Verpisst euch!"

Nicht nur in Melitopol, auch in Cherson, Nowa Kachowka und anderen Städten gehen Einwohnerinnen und Einwohner todesmutig, manchmal Warnschüsse ignorierend, gegen die Invasoren auf die Straße und verhöhnen jene, die mit ihren Granaten und Bomben gekommen sind, angeblich um die Ukraine von "Neonazis" und "Drogensüchtigen" zu "befreien". Statt zu jubeln, singen Ukrainer ihre Nationalhymne und rufen: "Haut ab!" und "Ruhm der Ukraine!"

Helden zum Anfassen

Präsident Wolodymyr Selenskyj wird in seiner Heimat und der westlichen Welt als der Held unter Helden gefeiert. Man nimmt es ihm ab, was er sagt: für sein Volk da zu sein - und zu bleiben. Nur Vitali und Wladimir Klitschko haben einen ähnlichen Status. Gerade die zwei Brüder sind es, die die Kategorie Mann verkörpern, die sonst schon mal als dümmlich oder gar toxisch gebrandmarkt wird. Die früheren Boxweltmeister im Schwergewicht hätten Vorbild gestanden haben können für eines der unzähligen Denkmäler für die Helden der sowjetischen Armee, die maßgeblich beteiligt waren, Hitlers Wahnsinnskrieg zu beenden.

Die Faszination für die Klitschkos und all die Menschen, die Panzer mit ihrem bloßen Leib stoppen und zur Umkehr bewegen, speist sich daraus, dass sie eben keine Statuten sind. Es handelt sich nicht um in Stein gehauene Ideale oder Comic-Figuren - sie sind lebendige Wesen. Die Realität holt sie ins Wohnzimmer und macht aus ihnen Helden zum Anfassen. Der bis vor Kurzem verschmähte Patriot, der bereit ist, dem Tod in die Augen zu sehen, bereitet kein Unbehagen und wird nicht mehr mit verheerendem Nationalismus gleichgesetzt, sondern mit Freiheitswillen und Liebe zur Heimat.

Ausgerechnet dieser Typus Mensch gibt in Zeiten des ersten Eroberungskrieges in Europa seit 1945 der Ukraine und dem Rest der Welt Hoffnung. Die Heldin und der Held mit und ohne Waffe in der Hand werden für ihre Standhaftigkeit und Erfolge bewundert, wie die Zustimmung unter den vielen Fotos und Videos in den sozialen Medien belegen, die militärische Volltreffer oder den Einsatz von Feuerwehrleuten, Ärzten, Krankenschwestern und Fluchthelfern zeigen.

Tapferkeit und Humor

Selbst das Pathos stört nicht. Was in Hollywood-Kriegsfilmen als Theatralik nahe am Kitsch rüberkommt, hat in der wahren Welt etwas Beruhigendes, weil das Gute das Böse bezwingt, zumindest scheinbar. Es braucht nicht viel, den Stolz der Ukrainer jedes militärischen Erfolgs nachzuvollziehen und nachzuempfinden oder ihn zu vereinnahmen. Das hat damit zu tun, dass Selenskyj, die Klitschkos und alle anderen Helden an und hinter der Front glaubwürdig vermitteln, nicht nur für die Ukrainer zu kämpfen und zu sterben, sondern für die ganze westliche Welt.

Neben Mut und Tapferkeit ist es vielleicht der Humor, der tief berührt, da er für einen Hauch Normalität und Lebensfreude in der Tragödie spricht. Man denke nur an die 20-jährige Valeria Shashenok, die den Kriegsalltag ihrer Stadt im überdrehten Stil einer hippen Influencerin auf Tiktok präsentierte. So verliert die Ödnis eines Luftschutzbunkers ein wenig ihren Schrecken. Oder man erinnere sich an die Kiewer Antikorruptionsbehörde, die ihren Bürgern erklärt, beschlagnahmte Militärfahrzeuge müssten nicht in der Steuererklärung angegeben werden. "Bleiben Sie ruhig und verteidigen Sie weiter das Mutterland. Es gibt keinen Grund, erbeutete russische Panzer und anderes Gerät steuerlich zu deklarieren, weil die Kosten desselben 248.100 ukrainische Hrywnja (etwa 7500 Euro - die Red.) nicht übersteigen."

Es fällt nicht schwer, sich vor den tapferen Ukrainern zu verneigen und ihnen - den Lebenden und Gestorbenen - zu danken. Das ukrainische Volk zeigt der ganzen Welt, dass Zusammenhalt und Miteinander in schlimmsten Zeiten möglich sind. Sie können stolz auf sich sein, mitten im Krieg, bei Tod und Zerstörung, Menschen geblieben zu sein. Glücklich das Land, das solche Helden hat.

Quelle: ntv.de

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