Politik

239 Terroropfer in anderthalb Jahren Hardliner wollen französisches Guantanamo

Der Opfer von Terroranschlägen zu gedenken, ist in Frankreich mittlerweile trauriger Alltag.

Der Opfer von Terroranschlägen zu gedenken, ist in Frankreich mittlerweile trauriger Alltag.

(Foto: dpa)

Mehrere Terroranschläge erschüttern innerhalb weniger Monate Frankreich. Trotz Ausnahmezustand wirken die Sicherheitskräfte angesichts der Bedrohung ratlos. Hardliner wollen mutmaßliche Islamisten deswegen wegsperren - notfalls auf Verdacht.

Der Terroranschlag auf eine Kirche in Nordfrankreich gelingt trotz elektronischer Fußfessel und heizt die Debatte über den Umgang mit Terrorverdächtigen an. Kritiker rügen ein Versagen der Justiz, die einen der Täter erst vor wenigen Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen hatte. Unter dem Eindruck der beispiellosen Anschlagsserie steigt der Druck zu drastischen Maßnahmen - bis hin zum Ruf nach einer Internierung aller Terrorverdächtigen in einer Art "französischem Guantanamo". Diese Forderung der konservativen Opposition ist in den vergangenen Wochen deutlich lauter geworden.

Der letzte Terroranschlag ereignete sich in einer Kirche bei Rouen im Norden Frankreichs.

Der letzte Terroranschlag ereignete sich in einer Kirche bei Rouen im Norden Frankreichs.

(Foto: dpa)

"Wirklich Krieg zu führen bedeutet, diejenigen der Freiheit zu berauben und unschädlich zu machen, die Frankreich angreifen wollen", sagte Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Sprich: Arrest für mutmaßliche Islamisten, auch wenn sie sich noch nicht strafbar gemacht haben. "Es geht um einige Hundert Personen von denen man weiß, dass sie zur Tat schreiten werden." Rechtliche Bedenken tat er nach der Kirchen-Attacke als "Haarspalterei" ab.

Im kubanischen Guantanamo halten die USA seit den Anschlägen vom 11. September Terrorverdächtige ohne Prozess fest. Sarkozy bemühte den Vergleich zwar nicht, sein Parteikollege Georges Fenech aber schon. Fenech ist der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zu den Anschlägen von 2015 und brachte nach dem Anschlag von Nizza sogar die idyllische Atlantik-Urlauberinsel Île de Ré als Standort ins Spiel. Dort gebe es ein Gefängnis, das dringend renoviert werden müsse.

Anschlag trotz Fußfessel

Nicolas Sarkozy war bereits von 2007 bis 2012 französischer Präsident.

Nicolas Sarkozy war bereits von 2007 bis 2012 französischer Präsident.

(Foto: dpa)

Als Argument dient ein viel diskutierter Fakt, der die Behörden in Erklärungsnot bringt: Ein Teil der Terroristen, die seit der Attacke auf "Charlie Hebdo" 236 Menschen in Frankreich umbrachten, waren bereits auf ihrem Radarschirm. Immer wieder schreiten Männer zur Tat, für die es bereits einen Eintrag in einer Datenbank mutmaßlicher Islamisten gab.

Dies gilt nach übereinstimmenden Medienberichten auch für die beiden Angreifer aus der Kirche von Saint-Étienne-du-Rouvray, die den 85-jährigen Priester Jacques Hamel töteten. Adel Kermiche drohte sogar ein Prozess wegen versuchter Reisen ins syrisch-irakische IS-Gebiet, deshalb stand er unter elektronischer Aufsicht der Justiz - was die Tat aber nicht verhinderte.

In Paris patrouillieren bereits seit Monaten schwer bewaffnete Soldaten.

In Paris patrouillieren bereits seit Monaten schwer bewaffnete Soldaten.

(Foto: dpa)

Die französische Regierung warnt vor voreiligen Entscheidungen. "Das Einsperren von Personen allein auf Grundlage eines Verdachts ist moralisch und juristisch inakzeptabel", sagte Premierminister Manuel Valls. Auch der französische Staatsrat hatte festgestellt, dass dies gegen die Verfassung und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen würde. Zudem dient die besagte Datenbank vor allem dazu, Reisebewegungen zu beobachten - ein Eintrag dort bedeutet keine ständige Überwachung.

Der Streit ist aber längst zu einer Grundsatzdebatte über den Rechtsstaat in Zeiten des Terrors eskaliert. Aus den Reihen der konservativen Republikaner kommen noch eine ganze Reihe weiterer Forderungen: die automatische Ausweisung ausländischer Straftäter ab einer gewissen Schwere des Urteils, härtere Strafen, Verbot des Salafismus.

Sarkozy auf Stimmenfang?

Zur Einordnung ist auch ein Blick in den Kalender hilfreich. Im kommenden Jahr wählt Frankreich einen neuen Präsidenten und schon jetzt ist klar, dass der Kampf gegen den Terror eine zentrale Rolle spielen wird. Die rechtsextreme Front National steckt schon ihr Revier ab. Die Konservativen bestimmen in wenigen Monaten in einer Vorwahl ihren Kandidaten - ein Rennen, das derzeit noch längst nicht entschieden ist.

Sarkozy, der seine allseits erwartete Bewerbung noch nicht offiziell gemacht hat, muss sich vor allem gegen Ex-Premierminister Alain Juppé profilieren. Regierungschef Valls sieht in den Aussagen des früheren Präsidenten denn auch Stimmenfang. "Hellsichtig zu sein gegenüber der Bedrohung bedeutet nicht, in Populismus zu verfallen", sagt er. "Wenn wir jedes Mal die Strategie infrage stellen, die Organisation unserer Dienste verändern, ein neues Gesetz abstimmen, werden wir an Wirksamkeit verlieren."

Doch zugleich dürfte der Regierung klar sein, dass mit jedem Anschlag der Druck weiter steigt. Das Vertrauen in ihre Anti-Terror-Politik ist nach einer Umfrage jedenfalls spürbar gebröckelt. Dabei wurden schon viele Gesetze verschärft, zuletzt vor wenigen Tagen bei der neuen Verlängerung des Ausnahmezustands - als Zugeständnis an die konservative Opposition.

Quelle: ntv.de, Sebastian Kunigkeit, dpa

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