Armee dringt weiter vor Hunderte Menschen fliehen aus Ost-Aleppo
27.11.2016, 17:57 Uhr
Die Lage in Ost-Aleppo ist dramatisch - und dürfte sich durch die Regierungsoffensive noch zuspitzen.
(Foto: REUTERS)
Das syrische Regime und seine Verbündeten suchen die Entscheidung in Aleppo: Die Armee dringt weiter in von Rebellen gehaltene Bezirke vor. Hunderte Menschen fliehen, die Lage im Ostteil der Stadt ist katastrophal.
Nach dem Vordringen syrischer Regierungstruppen in den Osten der umkämpften Großstadt Aleppo sind offenbar Hunderte Einwohner auf der Flucht. Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach von etwa 1700 Menschen, die aus bisher von Rebellen gehaltenen Teilen der Stadt in den von Regierungstruppen eroberten Bezirk Hanano geflohen seien. Weitere 2500 Menschen seien in den von kurdischen Kämpfern kontrollierten Stadtteil Scheich Maksut geflohen. Derweil lieferten sich Armee und Rebellen weitere Gefechte.

Die Offensive wird von Luftschlägen auf Bezirke begleitet, die von Rebellen gehalten werden.
(Foto: REUTERS)
Einige der Flüchtenden wurden demnach weiter nach West-Aleppo gebracht. Russische Nachrichtenagenturen berichteten unter Berufung auf das syrische Verteidigungsministerium von mehr als 900 Zivilisten, die den umkämpften Stadtteil Dschabal Badro verlassen hätten.
Spannungen zwischen Rebellen und den kurdischen Volksschutzeinheiten hatten in den vergangenen Monaten schon mehrmals zu Kämpfen geführt. Nun seien die kurdischen Kämpfer zum Teil in das von Rebellen gehaltene Stadtgebiet vorgedrungen, berichtete die Beobachtungsstelle weiter. Die in Großbritannien ansässige Organisation beruft sich auf ein Netz von Informanten in Syrien. Die Angaben sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen.
"Jeder, der auf einer der Hauptstraßen des belagerten Aleppos steht, wäre sich sicher (...), dass der Weltuntergang gekommen ist", schrieb Aktivist Rami Sien auf Facebook. Zehntausende Vertriebene seien zu Fuß auf den Straßen unterwegs. Verletzte würden zu dem gebracht, was von den zerstörten Notaufnahmen noch übrig bleibe. "Es ist alles vorbei", sagte ein Bewohner Aleppos der Deutschen Presse-Agentur bei einem Kontakt über das Internet.
Teile weiterer Bezirke eingenommen
Die syrischen Regierungstruppen hatten am Samstag zunächst das Wohngebiet Hanano im Osten der Stadt von den Aufständischen erobert. Nun stießen sie nach eigenen Angaben weiter in den benachbarten Distrikt Dschabal Badro vor. Nach Abgaben der Syrischen Beobachtungsstelle nahmen die Regierungstruppen sowohl Dschabal Badro als auch Baadin ein. Es handele sich um zwei angrenzende Stadtviertel von Masaken Hanano. Die Eroberungen lösten bei Regierungsgegnern die Befürchtung aus, dass der nördliche Teil von Ost-Aleppo vom südlichen Teil abgeschnitten werden könnte. Offensichtlich versucht das Militär, die Enklave zu teilen, um sie leichter erobern zu können.
Jasser al-Jussef, Führungsmitglied der bewaffneten Gruppe Nureddin al-Sinki, sagte, die Aufständischen hätten versucht, ihre Positionen in Sachur zu festigen. "Doch die Luftwaffe zerstört systematisch ein Gebiet nach dem anderen", fügte er hinzu. Zugleich intensivierten die Aufständischen aber ihre Raketenangriffe auf den Westteil der Stadt. Dabei seien mindestens vier Zivilisten getötet und Dutzende verletzt worden.
Die frühere Handelsmetropole Aleppo ist zweigeteilt: Die Truppen von Präsident Baschar al-Assad versuchen gerade mit Hilfe der russischen Luftwaffe, den Ostteil einzunehmen. Dies wäre für Assad nach jahrelangen Kämpfen ein wichtiger Sieg - sein Regime würde dann wieder alle größeren Städte im Land kontrollieren. Dies könnte auch ein Wendepunkt für den seit mehr als fünf Jahren andauernden Bürgerkrieg sein.
Die Zustände im Osten Aleppos sind verheerend. Nach heftigen Bombardierungen durch das syrische Regime und seine Verbündeten, darunter vor allem Russland, sind nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) acht von neun Krankenhäusern außer Betrieb. Das internationale Rote Kreuz hatte zuletzt berichtet, dass in dem eingekesselten Gebiet die Nahrungsmittel zur Neige gehen.
Türkei: IS setzt Chemiewaffen ein
Hanano war im Jahr 2012 das erste Viertel Aleppos, das in die Hände der Aufständischen fiel. Im Osten der Stadt halten sich nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen noch 250.000 Menschen auf. Nach Angaben von Rebellen leben in Hanano aber bereits seit Monaten keine Menschen mehr.
Die türkische Armee teilte unterdessen mit, bei einem Chemiewaffenangriff in Syrien seien 22 mit Ankara verbündete Rebellen verletzt worden. Sie seien nach einem Raketenangriff der Terrormiliz Islamischer Staat einem giftigen Gas ausgesetzt gewesen, erklärte das Militär laut der Nachrichtenagentur Anadolu. Die Attacke ereignete sich demnach nahe dem Dorf Chalilija östlich der Stadt Al-Rai im Norden Syriens. Medienberichten zufolge wurden die verletzten Rebellen zur Behandlung in ein Krankenhaus in die türkische Grenzstadt Kilis gebracht.
Quelle: ntv.de, mli/rts/dpa/AFP