Entscheidung nicht bindend IGH: Israels Siedlungspolitik verstößt gegen Völkerrecht
19.07.2024, 15:55 Uhr
Eine israelische Siedlung im Westjordanland.
(Foto: picture alliance / Shotshop)
Die israelische Siedlungspolitik in besetzten palästinensischen Gebieten verstößt nach Auffassung des höchsten UN-Gerichts gegen internationales Recht. Israel mache sich faktisch der Annektierung schuldig, stellt der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Rechtsgutachten fest. Netanjahu nennt dies eine Fehlentscheidung.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat entschieden, dass Israels Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten gegen das Völkerrecht verstößt. "Das Überführen von Siedlern ins Westjordanland und nach Jerusalem sowie die Aufrechterhaltung ihrer Präsenz durch Israel verstößt gegen Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention", erklärte der aus 15 Mitgliedern aus aller Welt bestehende IGH. Auch die Nutzung natürlicher Ressourcen sei unvereinbar mit den völkerrechtlichen Pflichten Israels als Besatzungsmacht.
Israel hat das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen im Sechstagekrieg 1967 erobert. Aus dem Gazastreifen zog es sich 2005 zurück, Ostjerusalem hat es annektiert und bezeichnet das Westjordanland als umstrittenes Gebiet, über dessen Zukunft in Verhandlungen entschieden werden soll. Gleichzeitig siedelt Israel in Ostjerusalem und im Westjordanland jedoch Staatsbürger an, um seine Kontrolle über diese Gebiete zu festigen.
Die internationale Gemeinschaft betrachtet alle drei Territorien im Allgemeinen als besetzte Gebiete. Die Palästinenser beanspruchen alle drei Gebiete für einen eigenen, unabhängigen Staat.
Die Entscheidung des IGH ist nicht bindend, könnte jedoch mit Blick auf den Krieg im Gazastreifen den Druck auf Israel weiter erhöhen. Dort bekämpft Israel nach dem Terrorangriff von Anfang Oktober mit Hunderten Toten die islamistische Hamas. Der Krieg hat schwerwiegende Folgen für die Zivilbevölkerung.
Netanjahu spricht von Fehlentscheidung
Israels Ministerpräsident Netanjahu schrieb bei X: "Das jüdische Volk ist kein Besatzer in seinem eigenen Land. Keine Fehlentscheidung in Den Haag wird die historische Wahrheit verfälschen, sowie die Rechtmäßigkeit der israelischen Siedlungen auf dem gesamten Gebiet unserer Heimat nicht angefochten werden kann."
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas begrüßte dagegen das Gutachten. Dieses sei "ein Triumph der Justiz, eine Bestätigung dafür, dass die israelische Besatzung illegal ist". Abbas fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, "die Besatzungsmacht Israel dazu zu bringen, dass sie ihre Besatzung und ihr koloniales Projekt vollständig und unverzüglich beendet, ohne Bedingungen und Ausnahmen". Das teilte das Präsidentschaftsamt in Ramallah mit.
Nicht nur die internationale propalästinensische Protestbewegung wird sich in ihren Forderungen nach Sanktionen oder Boykotten gestärkt sehen. Auch mehr westliche Staaten könnten nun Palästina als Staat anerkennen. Das Gutachten könnte auch Einfluss haben auf westliche Waffenlieferungen an Israel.
Denn die Richter weisen sehr deutlich auch die UN-Mitgliedsstaaten auf ihre Verantwortung hin. Sie dürfen die Besatzungspolitik nicht unterstützen oder den von Israel geschaffenen Status quo nicht akzeptieren. Der Druck auch der westlichen Verbündeten hatte bereits wegen der andauernden Angriffe auf den Gazastreifen stark zugenommen.
Israel hält sich nicht an Rechtsgutachten
Die UN-Vollversammlung hatte das Gericht beauftragt zu klären, welche rechtlichen Folgen die fast seit 60 Jahren andauernde Besatzungspolitik Israels hat. Das war zwar lange vor Beginn des Gaza-Krieges. Doch auch westliche Kritiker Israels können sich nun gestärkt sehen, Israel zu einem Rückzug zu bewegen und der Gründung eines palästinensischen Staates zuzustimmen.
Es ist das zweite Rechtsgutachten des Gerichtshofes zur Besatzungspolitik Israels. Vor 20 Jahren, im Juli 2004, hatten die Richter bereits erklärt, dass die von Israel im Westjordanland errichtete Mauer gegen internationales Recht verstoße und daher abgerissen werden müsse. Israel hielt sich aber nicht daran.
Das heute von Richter Nawaf Salam vorgestellte Gutachten ist unabhängig von dem anderen Verfahren vor dem UN-Gericht. Südafrika hatte 2023 Israel vor den Gerichtshof gebracht und dem Land wegen der Angriffe auf den Gazastreifen Völkermord vorgehalten. Israel bestreitet diese Vorwürfe.
Quelle: ntv.de, gut/dpa/AP