Politik

Experte zu Folgen des Aufstands "Irans 'Achse des Widerstands' liegt in Trümmern"

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Best friends forever? Eher nicht. Irans Ajatollah Chamenei und Syriens Diktator Assad beim Besuch in Teheran 2019.

Best friends forever? Eher nicht. Irans Ajatollah Chamenei und Syriens Diktator Assad beim Besuch in Teheran 2019.

(Foto: imago/Xinhua)

Mit Assads Sturz verliert der Iran einen wichtigen Partner für seine Rolle als regionale Supermacht. Das scheint Vergangenheit, sagt Iran-Experte Fathollah-Nejad ntv.de und erklärt, warum die Mullahs zu viel Schwäche offenbart haben.

ntv.de: Herr Fathollah-Nejad, während des zehntägigen Durchmarschs bis zum kompletten Machtverlust des Assad-Regimes in Syrien war es aus Teheran auffällig still. Warum?

Ali Fathollah-Nejad: Die iranische Seite war vollkommen überrascht, obgleich man dies zu kaschieren versucht. So heißt es zum Beispiel, dass man von der Türkei irreleitende Informationen zur Lage in Syrien erhalten hätte. Da sei nichts geplant, nichts im Busch, soll die türkische Seite gesagt haben. Solche Behauptungen Teherans muss man aber mit Vorsicht betrachten. Ein weiteres Narrativ, auf das Teheran setzt: Man habe Assad mehrfach darauf hingewiesen, er solle mehr auf sein Volk hören. Das praktiziert das iranische Regime aber selbst nicht, daher ist auch hier Vorsicht geboten. Die Blitzoffensive der Islamisten von Hayat Tahrir al Scham (HTS) ist im Kontext zu sehen: HTS hat die Schwäche der Assad-Unterstützer - Iran, Hisbollah und Russland - ausgenutzt, und das auf fulminante Weise.

Selten passte der Ausdruck "die Gunst der Stunde nutzen" so gut wie zu diesem Aufstand gegen Baschar al-Assad, oder?

Wir erleben gerade das Zerbröckeln der sogenannten "Achse des Widerstands". Mit dem Sturz Assads kulminiert dieser Prozess. Er begann aber schon im September mit den verheerenden Angriffen Israels auf die Hisbollah. Dabei wurde Irans Kronjuwel innerhalb der "Achse" stark dezimiert und quasi enthauptet, die Führungsriege existiert nicht mehr. Hinzu kamen in diesem Jahr gezielte israelische Schläge gegen iranische Stellungen und Topkommandeure in Syrien, zum Beispiel im April gegen Razi Mousavi, den Oberbefehlshaber der Islamischen Revolutionsgarde Teherans, der für Syrien und den Libanon zuständig war. Der Iran und die Hisbollah wurden somit enorm geschwächt. Es ist kein Zufall, dass die HTS-Offensive mit dem Waffenstillstand im Libanon losging. Die Rebellen wussten, dass die Hisbollah zu diesem Zeitpunkt nicht mobilisierbar sein würde.

Ali Fathollah-Nejad ist Direktor des Center for Middle East and Global Order. Im Januar erscheint sein neues Buch über Iran und sein ungebremstes Machtstreben.

Ali Fathollah-Nejad ist Direktor des Center for Middle East and Global Order. Im Januar erscheint sein neues Buch über Iran und sein ungebremstes Machtstreben.

Die Milizen, die der Iran allerdings im Irak unterhält, waren nicht geschwächt. Sie kamen aber nicht nach Syrien durch, weil der Irak die Grenzen dicht gemacht hatte. Ging dann gar nichts mehr?

Iran hat in den Tagen vor Assads Sturz versucht, diverse Gruppen zu mobilisieren. Vor allem jene, die im Irak im Sinne des iranischen Regimes agieren. Die Popular Mobilization Front (PMF) wäre da als erstes zu nennen, die "Volksmobilisierungseinheiten" namens Haschd al Schaabi. Das ist eine übergeordnete Gruppe verschiedener pro-iranischer Milizen im Irak, die auch Islamischer Widerstand im Irak genannt wird. Deren Chef hat aber abgesagt. Ein anderer wichtiger Führer irakischer Schiiten, Moqtada al-Sadr, hat auch abgewunken. Dann warnte HTS-Führer Abu Mohammed al-Dschulani den irakischen Premier, er solle aufpassen, dass keine Elemente aus dem Irak dem Assad-Regime zu Hilfe kämen. Kurzum: Weder konnte Iran auf die Hisbollah zurückgreifen noch auf weitere Stellvertreter. Dieses Scheitern, vor allem in Bezug auf die schiitischen Milizen im Irak, kann man nicht hoch genug bewerten. Das ist wirklich bemerkenswert.

Irans Stellvertreter waren nicht zur Stelle. Aber hatte das Regime so wenige eigene Möglichkeiten? Ohne ihre Proxies waren die Mullahs nicht handlungsfähig?

In Syrien selbst haben sie diese militärische Kraft nicht mehr. Die israelischen Schläge waren sehr gezielt, die getöteten Topgeneräle fehlen jetzt einfach. Natürlich hätte Iran im eigenen Land mobilisieren können. Doch wäre man angesichts der Blitz-Offensive schnell genug gewesen? Oder war der Kampf ohnehin nicht mehr zugunsten Assads und Irans zu gewinnen? Die HTS-Offensive hat Iran in einem beispiellosen Moment der Schwäche erwischt, innerhalb einer bereits begonnenen Erosion seiner Achse des Widerstands. Absolut auf dem falschen Fuß.

Sie sagen, man könne Irans Scheitern nicht hoch genug bewerten. Nun hat dieses Scheitern auch Folgen: Assad als treuer Partner ist Vergangenheit. Was heißt das für Irans Lage in der kommenden Zeit?

Ein Grund für die Verweigerung der irakischen PMF als zentrale Unterstützer Irans könnte diese Haltung gewesen sein: Warum sollen wir für zwei Regime in den Kampf ziehen, die vielleicht ohnehin dem Untergang geweiht sind? Zumal die Islamische Republik Iran auch noch hochgradig geheimdienstlich penetriert ist durch den Gegner Israel. All dies bedeutet, dass Iran als Anführer und Schutzmacht der "Achse" nun massiv beschädigt ist.

Wie kann der Iran weitermachen? Welche Lücke hinterlässt Assad in der Achse des Widerstands?

Der Nahe Osten bewegt sich in Richtung Neuordnung, in der das Gewicht Irans deutlich reduziert sein wird. Die Türkei und Israel werden hingegen an Einfluss gewinnen. Für die Mullahs ist der Sturz Assads eine große Blamage. Irans Oberster Führer Ali Chamenei hat in den vergangenen Jahren immer wieder betont, wie stabil Assad sei, wie resilient. Als Partner im Kampf gegen Israel seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 war Syrien allerdings eher zurückhaltend. So wies ganz zu Anfang des Gaza-Krieges ein Minister Assads darauf hin, dass Syrien einen Eingriff ins Kriegsgeschehen allein wirtschaftlich gar nicht stemmen könne. Syriens Bedeutung für das Regime in Iran lag vor allem in seiner Rolle als Transitland für iranische Waffen, die in den Libanon zur Hisbollah geschleust wurden.

Muss das iranische Regime nun versuchen, sich mit HTS ins Benehmen zu setzen?

Man wird sehen, ob das überhaupt möglich ist. Was wir von HTS hören, ist eine dezidiert anti-iranische Ausrichtung. Schließlich war die Islamische Republik der wichtigste Unterstützer des verhassten Assad-Regimes, also des Schächters Syriens. Ob es dennoch ein Arrangement geben kann zwischen Teheran und den neuen Machthabern in Syrien, lässt sich noch nicht vorhersagen. Bis dato halte ich es für unwahrscheinlich, auch wenn es Iran immer wieder mal gelingt, zu seinen Gunsten mit ideologischen Gegnern gewisse Beziehungen zu unterhalten, etwa mit den Taliban in Afghanistan oder auch mit Al-Kaida. Aber viele Syrer bringen die Brutalität des Assad-Regimes direkt mit Iran in Verbindung. Einfach würde das nicht.

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Vor allem für HTS nicht?

Für den neuen Machthaber in Damaskus wäre es ein herber Gesichtsverlust vor der Bevölkerung, wenn er sich auf ein Arrangement mit dem Iran einlassen würde. Zudem würden die Türkei und vielleicht auch weitere Mächte das nicht unbedingt zulassen.

Die Bevölkerung ist ein gutes Stichwort. Lässt sich sagen, wie die iranische Bevölkerung auf den Regimesturz in Syrien blickt?

Die iranische Bevölkerung erlebt dieser Tage, wie das Selbstbildnis ihres Regimes als regionale Supermacht in einem Akt nach dem anderen in sich zusammenfällt. Alles, was das Regime gesagt hat - wie stark die Hisbollah sei, wie stark Assad und die Hamas -, das ist überhaupt nichts mehr wert. Nachdem die Iraner schon feststellen mussten, dass ihr eigenes Militär ein Papiertiger ist, nach all dem, was Israel Ende Oktober anrichten konnte, haben sie nun erkennen müssen: Die Achse des Widerstands, der Zusammenhalt innerhalb der "Achse" existiert auch nur auf dem Papier. Ganz nüchtern lässt sich feststellen: Die Islamische Republik geht machtpolitisch gerade durch die schwersten Zeiten, die sie je erlebt hat.

Wie es scheint, mit Auswirkungen auf nahezu allen Ebenen?

Die gesamte Regionalstrategie um die "Achse des Widerstands" ist zusammengebrochen, sie liegt in Trümmern. Das gilt auch für die Idee der "Vorwärtsverteidigung", also dass man Proxies und Stellvertreter vorschickt, statt selbst einzugreifen.

Und von dieser Strategie kommt der Iran auch nicht so schnell weg?

Diese Strategie war wichtig zur iranischen Machtprojektion in der Region, aber auch als Verhandlungsmasse im Umgang mit westlichen und anderen Großmächten. Teheran hat versucht, sich als regionale Supermacht darzustellen, um eigene Interessen besser durchsetzen zu können. Das wird nun nicht mehr funktionieren. Es ist eine ungeheure Blöße ideologischer und politischer Natur.

Sehen Sie einen Ausweg für die Mullahs?

Vermutlich wird das Regime versuchen, einen Deal mit dem Westen zu machen. Der könnte seine Sanktionen lockern, vielleicht sogar Geld geben, wenn Teheran im Gegenzug sein Atomprogramm einfriert oder gewisse Teile sogar herunterfährt. Mit einer solchen Einigung könnte sich der Iran vielleicht kurzfristig stabilisieren. Aber der Westen sollte das Spiel nicht leichtfertig mitmachen. Teheran ist geopolitisch in einer äußerst misslichen Lage. Da sollte man vom Regime sehr viele Konzessionen verlangen, ohne selbst allzu viele Zugeständnisse zu machen.

Mit Ali Fathollah-Nejad sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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