Politik

Nachruf auf Berlusconi Italien verliert den ganz großen Zampano

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Über dem Reichtum von Silvio Berlusconi stand immer die Frage, woher die Milliarden kamen - von der Mafia? Doch die Spur des Geldes führte eher nicht nach Kalabrien und Sizilien, sondern über Liechtenstein in den Vatikan. Gute Kontakte zur Mafia hatte Berlusconi dennoch.

Mit Silvio Berlusconi verliert Italien einen großen Alleinunterhalter, den Zampano des Landes: Zuerst unterhielt er das Land mit seinen Fernsehsendern, die sich an der amerikanischen Fernsehwelt orientierten, viel leichte Unterhaltung und wenig bekleidete junge Damen boten.

Damit gewann er die Hälfte des Publikums dauerhaft für sich. Die Werbeeinnahmen organisierte ihm ein hochbegabter Absolvent einer Mailänder Universität, gebürtig aus Palermo: Marcello Dell'Utri. Der Sizilianer spielte eine zentrale Rolle in Berlusconis Leben: zuerst als Manager der Geldmaschine "Publitalia '80", der Werbeagentur des Berlusconi-Konzerns. Dell'Utri verkaufte Spots, organisierte das Geld und half beim Zukauf von Sendern für Berlusconis Holding Fininvest, deren Nachfolger Mediaset immer noch gut die Hälfte des Fernsehpublikums vor die Bildschirme lockt. Nicht nur Berlusconis Shows, auch seine Nachrichtensendungen waren erfolgreich, weil schnell und aufs Wesentliche konzentriert, ganz im Sinne des Chefs, wie einer seiner Manager, Gigi Moncalvo, ntv in einem Interview erzählte: "Kein Mensch darf in meinen News länger als 20 Sekunden reden, 30 Sekunden, wenn er auch weint, 40 Sekunden, wenn er vor der Kamera blutet."

Berlusconi und sein Vertrauter Dell'Utri 1998 bei einem Forza-Italia-Parteitag. Die Parteigründung war Dell'Utris Idee.

Berlusconi und sein Vertrauter Dell'Utri 1998 bei einem Forza-Italia-Parteitag. Die Parteigründung war Dell'Utris Idee.

(Foto: picture alliance / IPA)

Zu den Freunden der ersten Stunde gehörte Bebo Martinotti. Bei Anlass einer Dokumentation über den kometenhaften Aufstieg Berlusconis plauderte Bebo gegenüber ntv aus dem Nähkästchen: "Ich war sein Witze-Tester. Ich musste mir Witze ausdenken oder weitererzählen und dann sehen, wie die Leute reagierten. Die besten Witze habe ich dann Silvio weitergereicht." Tatsächlich widerstand Berlusconi bis zuletzt nicht der Versuchung, Witze zu reißen - meist mit sexuellem Hintergrund.

Woher kam Berlusconis Reichtum?

Mit Anekdoten ist Berlusconis Leben reich gefüllt. Die Frage, die stets über ihm stand, war: Woher stammte sein Reichtum? Er war einer der reichsten Männer Italiens, mit einem geschätzten Vermögen von sieben Milliarden Euro. Zur Welt kam er als Sohn eines Bank-Prokuristen, der zwar ein gutes Gehalt hatte, mit seiner Familie aber zunächst in einem einfach-bürgerlichen Stadtviertel hinter dem Bahnhof von Mailand wohnte. Seinen Mitschülern auf dem Salesianer-Gymnasium verkaufte der junge Silvio Klassenarbeiten, ihren Müttern Staubsauger. Selbst an der eigenen Mutter verdiente er. Auf die Milchtüten, die er unten einkaufte, schlug er eine Prämie auf, erzählte die Milchfrau im Gespräch mit ntv einmal. Bis Silvios Mutter bei ihr vorstellig wurde, um nachzufragen, warum die Milch denn ständig teurer würde.

1961 fing Berlusconi als Bauunternehmer an, 1972 begann seine Firma mit dem Bau der Trabantenstadt "Milano 2", später kam "Milano 3" dazu. Schnell zirkulierte der Verdacht, dass er das Geld für diese Bauprojekte von der Mafia erhalten hatte. Einige abtrünnige Mafiosi berichteten dies, aber konkrete Beweise dafür gibt es nicht. Die Spur des Geldes führt auch weniger zur Mafia als vielmehr in den Vatikan. Denn belegt ist, dass Berlusconi durchgängig von der Banca Rasini finanziert wurde, bei der sein Vater Prokurist war. Diese Bank erhielt dann großzügige Finanzierungen von drei Liechtensteiner Briefkastenfirmen, die von einem bekannten Finanztreuhänder, Herbert Batliner, geleitet wurden - und dieser Batliner war Vorsitzender der Stiftung der Akademie der Sozialwissenschaften des Vatikans, der über anonyme Briefkastenfirmen sein Vermögen sicher anzulegen versuchte.

Ein Mafio-Boss als Angestellter

Silvio Berlusconi, hier auf einem Bild aus dem Jahr 1994, griff auf, "was eine armselig gebildete und moralisch skrupellose Bourgeoise als eigenes Ideal ansieht: Hauptsache erfolgreich!", sagte der Dramatiker Dario Fo einmal.

Silvio Berlusconi, hier auf einem Bild aus dem Jahr 1994, griff auf, "was eine armselig gebildete und moralisch skrupellose Bourgeoise als eigenes Ideal ansieht: Hauptsache erfolgreich!", sagte der Dramatiker Dario Fo einmal.

(Foto: picture alliance / Ulrich Baumgarten)

Berlusconi trat zudem in den ersten Jahren auch nicht selbst als Eigentümer in Erscheinung. Sein Imperium bestand aus 38 italienischen Briefkastenfirmen, der "Italiana Holding" 1 bis 38, die als Geschäftszweck "Schönheitssalon" angaben.

Warum dieses Versteckspiel? Ein wichtiger Grund für Berlusconi und viele andere reiche Norditaliener war die Angst vor Entführungen. Auf keinen Fall wollte man als reich erscheinen. Das Geschäftsmodell der kalabrischen Mafia, der 'Ndrangheta, und ihrer sizilianischen Schwesterorganisation Cosa Nostra bestand damals ganz wesentlich daraus, die Kinder reicher Mailänder gegen hohe Lösegeld-Forderungen zu entführen. Vor einigen Jahren erzählte der Boss eines dieser Entführungskommandos, Gaspare Mutolo, im ntv-Interview: "Wir hatten bereits eine Deckwohnung in Milano 2 gemietet und wollten die Kinder entführen. Wir waren bereit zum Zugriff, als ich die Kinder plötzlich aus Berlusconis Villa Arcore kommen sehe, in Begleitung einer mir bekannten Person." Und wer war das? "Vittorio Mangano, ein Boss der Cosa Nostra." Mutolos Kommando fragte sofort in Palermo nach, dort hieß es nur: "Abbruch", alle zurück nach Sizilien.

In den 1970er Jahren war Vittorio Mangano "lo stalliere di Arcore", der Stallknecht von Arcore.

In den 1970er Jahren war Vittorio Mangano "lo stalliere di Arcore", der Stallknecht von Arcore.

(Foto: Wikimedia)

Heute wissen wir, dass es der enge Freund Marcello Dell'Utri war, der in Palermo um Schutz für Berlusconi gebeten hatte. Und welcher Schutz ist besser gegen Mafia-Entführungen, als einen Mafia-Boss zuhause zu haben? Offiziell war Mangano nur der Stallwärter in Berlusconis Villa. Loyal war er in jedem Fall: Zeit seines Lebens hielt er den Mund. Im Jahr 2000 starb er als verurteilter Mörder im Gefängnis. Ob die Mafia tatsächlich in die zahllosen Briefkastenfirmen Berlusconis in bar eingezahlt hat, konnte nie nachgewiesen werden.

Seine P2-Mitgliedschaft hat er lange geleugnet

Heute hat Marcello Dell'Utri wegen Beihilfe zur Mafia eine mehrjährige Gefängnisstrafe abgesessen, weil er die Beziehung der Mafia zu Berlusconi gefördert hat - so steht es im rechtskräftigen Urteil. Ob es dabei auch um die Wäsche von Mafia-Geld ging, ist bis heute nicht geklärt. Belegt ist allein die Finanzierung durch die Banca Rasini, die wiederum stark über Vertrauensleute des Vatikans finanziert wurde.

Belegt ist auch, dass Berlusconi von italienischen Banken finanziert wurde, die damals, Mitte der 1970er Jahre, unter dem Einfluss der Geheimloge P2 ("Propaganda Due") unter der Leitung von Großmeister Licio Gelli standen. Jahrelang leugnete Berlusconi seine Mitgliedschaft in der als verbrecherische Geheimorganisation aufgelösten Loge. In seiner Villa Wanda in Arezzo erzählte Licio Gelli ntv gutgelaunt, dass er eigentlich das Copyright auf das erste Wahlprogramm Berlusconis habe, weil die "Erneuerung Italiens" genau seinem Programm entspräche.

Seine Mitgliedschaft in der Geheimloge P2 stritt Berlusconi lange ab.

Seine Mitgliedschaft in der Geheimloge P2 stritt Berlusconi lange ab.

(Foto: Archiv Udo Gümpel)

Pikiert war Gelli nur darüber, dass Berlusconi lange Zeit ableugnete, Mitglied gewesen zu sein: "Dabei haben wir ihn doch mit einer ganz besonderen Zeremonie der Schwerter aufgenommen, damals, in Rom, unweit der Spanischen Treppe." Die P2-Mitgliedschaft war wichtig für Berlusconi, dort waren viele Spitzenfunktionäre des Staates organisiert.

Bis zuletzt liefen Ermittlungen gegen Berlusconi

Einer der wichtigsten Zeugen gegen Berlusconi war der frühere Geschäftsfreund von Marcello Dell'Utri, Alberto Rapisarda. Vor Gericht in Palermo sagte dieser 1996 in einem Prozess aus, dass Dell'Utri 1979 zu ihm gekommen sei und um Geld gebeten habe, weil die Geschäfte schlecht liefen. Zwei Mafiabosse, Stefano Bontade und Mimmo Teresi, hätten dem Treffen beigewohnt und dann Mafia-Gelder ins Fernsehgeschäft investiert. Er sei selbst dabei gewesen, wie die beiden Säcke mit Bargeld ins Büro von Dell'Utri gebracht hätten. Die Ermittlungen gegen Berlusconi wurden aber aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Mit dem Tod Berlusconis werden nun auch neue Ermittlungen in Florenz eingestellt, in denen gegen Berlusconi wegen möglicher Kontakte zu zwei Mafiabossen, den Brüdern Filippo und Giuseppe Graviano, ermittelt wurde. Dabei ging es um eine Attentats-Serie der Mafia in den Jahren 1992 und 1993, die Italien ins Chaos stürzen sollte. Berlusconi stand im Verdacht, die Mafiosi angestiftet zu haben, um dann als Retter des Vaterlandes aufzutreten. Von einem solchen Treffen hat jüngst ein anderer Mafiaboss, Salvatore Baiardo, der seine Strafe bereits abgesessen hat, berichtet und behauptet, es gebe von einem Treffen auch Fotos, die er selber geschossen habe.

Dennoch hat Berlusconis Tod vor allem politische Auswirkungen. Bis zuletzt hielten Millionen Italiener ihm die Treue, und das trotz der "Bunga-Bunga"-Sex-Partys in seiner Villa Arcore bei Mailand unter Beteiligung von Prostituierten, trotz einer rechtskräftigen Verurteilung als Steuerhinterzieher zu vier Jahren Haft, von denen er dank einer Amnestie nur wenige Monate als Sozialhelfer in einem Altenheim "absitzen" musste.

Für Dario Fo "der Gipfel des Wahnsinns!"

Dem gegenüber stand die Verehrung, Bewunderung viele Italiener gerade für dessen Chuzpe dem Fiskus gegenüber, auch für das Protzen mit seinem Reichtum: Berlusconi hatte einen harten Kern von Wählern, die ihn gerade deswegen wählten und als Vorbild ansahen. Vielleicht ist das kein Wunder in einem Land, in dem der offiziellen Schätzung zufolge pro Jahr 100 Milliarden Euro Steuern hinterzogen werden und in dem ein "Macho" noch immer bei nicht wenigen hohes Ansehen genießt.

Den Literaturnobelpreisträger Dario Fo hat ntv einmal geschildert, wie er sich den Erfolg Berlusconis erklärt. Der Mailänder wurde da sehr deutlich: "Wir leben wirklich in einer Gesellschaft, die der Korruption applaudiert. Wenn einer gewitzt ist und korrumpiert, wenn er raubt, sich der Justiz mit allen denkbaren Tricks entzieht - dann ist das im heutigen Italien positiv. Schlimmer: Man sagt, wenn er für sich selbst stiehlt, dann wohl auch für mich! Das ist doch der Gipfel des Wahnsinns!" Und war das der Schlüssel zu Berlusconis Erfolg? "Ja, weil er nur das aufgreift, was eine armselig gebildete und moralisch skrupellose Bourgeoise als eigenes Ideal ansieht: Hauptsache erfolgreich!"

Was macht Meloni ohne den Rückenwind der Berlusconi-Medien?

Für die Stabilität der Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist Berlusconis Tod keine gute Nachricht. Denn ihm gehörte ja nicht nur ihr Koalitionspartner Forza Italia, sondern auch die Fernsehkanäle, die er von Anfang an für die eigenen politischen Zwecke einsetzte - eigentlich ein Unding in einer Demokratie. Doch alle Versuche, das Monopol Berlusconis zu beschneiden, scheiterten. Angefangen hatte es 1974 mit dem Kabelfernsehen für "Milano 2", die von ihm gebaute Trabantenstadt: "Canale 5", der fünfte Kanal. Bald kaufte er zwei weitere Netzwerke, Rete 4 und Italia 1 dazu. Das ist bis heute der Kern des Medienimperiums, der immer ohne Wenn und Aber Berlusconis Politik unterstützt hat.

Damit könnte es bald vorbei sein: Von Berlusconis fünf Kindern ist keines in die Politik gegangen und wie es scheint, planen sie einen Verkauf des TV-Imperiums. Was wird dann aus der Regierung Meloni, ohne den permanenten Rückenwind des Berlusconi-TV-Imperiums?

Auch die Zukunft der Berlusconi-Partei Forza Italia ist völlig offen. Bisher allein von der Familie Berlusconi finanziert, könnten die Kinder ihre Lust daran verlieren. Den Aufbau eines Nachfolgers hat Berlusconi zudem zeit seines Lebens verhindert. Ohne Berlusconis Forza Italia aber hat die Regierung Meloni keine Mehrheit mehr. Ohne den Zampano könnten Italien stürmische Zeiten bevorstehen.

Quelle: ntv.de

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