Der General und sein Buch Italiens öffentliche Debatte gleitet gerade weit nach rechts


Im Streit um die Suspendierung von General Vannacci ließ Ministerpräsidentin Meloni ihren Verteidigungsminister und Parteifreund Crosetto (l.) bislang im Regen stehen.
(Foto: picture alliance / ROPI)
Ein italienischer General schreibt ein Buch, das voller rassistischer und homophober Äußerungen ist. Provokationen dieser Art gehören in Italien mittlerweile zum politischen Alltag. Braut sich da was zusammen?
Eine Streitschrift mit dem Titel "Die Welt steht kopf", "Il mondo al contrario" steht schon seit Mitte August auf Platz eins der Bestsellerliste von Amazon Italia. Geschrieben und auf eigene Kosten im Selbstverlag veröffentlicht wurde es von Roberto Vannacci, einem von den italienischen Streitkräften hochgeschätzten und mehrfach dekorierten General, der im Irak, in Afghanistan und Somalia im Einsatz war. Dass das Buch derzeit nur auf Amazon erhältlich ist, hat mit dem Inhalt zu tun. Mit Sätzen wie diesem: "Liebe Homosexuelle, ihr seid nicht normal, findet euch damit ab." Oder mit einer Bemerkung über die italienische Volleyball-Nationalspielerin Paola Egonu, deren Eltern einst aus Nigeria nach Italien gekommen sind: "Sie ist zwar italienische Staatsbürgerin, ihre Gesichtszüge sind aber ganz offensichtlich nicht italienisch."
Die italienische Opposition empörte sich massiv über so viel Homophobie und Rassismus. Die Regierung hätte das Problem indessen lieber ausgesessen. Es dauerte einige Tage, bis Verteidigungsminister Guido Crosetto von der postfaschistischen Regierungspartei Fratelli d'Italia in einem Tweet Stellung bezog. Man solle nicht die "persönlichen Hirngespinste" eines Generals benutzen, "um gegen das Verteidigungsministerium und die Streitkräfte zu polemisieren", schrieb er. General Vannacci habe Meinungen geäußert, "die die Armee, die Verteidigung und die Verfassung diskreditieren". Das Ministerium haben gegen Vannacci eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet, von seinem Amt als Leiter des Geographischen Heeresinstitut, das er zuletzt innehatte, wurde der General bis auf Weiteres abberufen - entlassen wurde er (noch) nicht.
Das Buch steht in einer Reihe verbaler Ausschreitungen durch Politiker und andere öffentliche Personen, die sich in der Regel gegen Minderheiten richten. Vannacci hat diesen Trend noch befeuert. Erst vor ein paar Tagen beschimpfte ein bekannter Sänger sein Publikum und nannte einen Zuschauer "Scheiß Schwuchtel". Ein paar Tage vor dem Erscheinen von "Il mondo al contrario" hatte Marcello De Angelis, Kommunikationschef der Region Latium, auf Facebook den faschistischen Hintergrund eines Bombenanschlags geleugnet, bei dem am 2. August 1980 in Bologna 85 Menschen ums Leben kamen. De Angelis schrieb am 3. August, also einen Tag nach dem 43. Jahrestag des Anschlags, er wisse, dass die zwei verurteilten Neofaschisten nicht die Täter seien. De Angelis war selbst einst ein rechtsextremer Terrorist war. Auch sein Arbeitgeber, der Präsident der Region Latium, Francesco Rocca, tat sich schwer, Maßnahmen zu ergreifen. Rocca bestellte De Angelis zwar zu einer Unterredung ein, brachte es aber nicht übers Herz, ihn zu entlassen.
Was passiert da gerade in Italien?
Lassen die Rechten, gestärkt durch eine weit rechts stehende Regierung, einfach mal die Sau raus oder steckt dahinter ein Plan? Diese Frage hat sich am vergangenen Wochenende auch der Kolumnist Corrado Augias in der Tageszeitung "La Repubblica" gestellt: "Jetzt, wo ich das Buch von Vannacci gelesen habe, kann ich mich nicht entscheiden, ob dieses Pamphlet eine sehr schlau vorbereitete Aktion ist (...) oder ob sich Vannacci wirklich nicht bewusst war, was er damit im jetzigen Italien lostreten würde."
Nur kann jemand, der auf den gefährlichsten Kriegsschauplätzen der Welt gedient hat und mit 55 Jahren schwerlich schon senil ist, wirklich so naiv sein? Und noch eine Frage drängt sich auf: War das Buch auch nur ein Auslöser dafür, dass zehn Tage nach der Veröffentlichung ein Kulturverband ins Leben gerufen wurde, der den Namen der Streitschrift trägt und dessen Gedankengut vertritt, oder war es der geplante Vorbote für die neue Organisation?
Meloni hält sich raus
Gegründet hat den Verband Fabio Filomeni, ehemaliger Oberst unter Vannaccis Befehl in Afghanistan und heute im Ruhestand. Der Oberst ist wegen seiner Pro-Putin und Anti-NATO-Haltung bekannt. Der Tageszeitung "La Stampa" zufolge soll der Kulturverein nur eine Übergangsetappe zur Bildung einer Partei sein. Auf die Frage der Zeitung "Corriere della Sera", ob er sich eine Zukunft in der Politik vorstellen könnte, antwortete Filomeni jedenfalls: "Ich verschließe mich keiner Alternative."
Den General selbst hat die Suspendierung offenbar nicht weiter beeindruckt. Im Buch hatte er geschrieben: "Wenn das die Zeit der Rechte ist, dann fordere ich das Recht zu hassen und zu verabscheuen." In zahlreichen Interviews hat er diese Ansicht seither wiederholt. So behauptete er: "Die monoethnischen Gesellschaften sind besser, weil sie auf gemeinsamen Werten fußen." In einem anderen beklagte er, das Problem heute seien "die Minderheiten, die uns ihre Ansichten aufzwingen".
Die Stimmung in Italien ist mittlerweile so, dass Verteidigungsminister Crosetto wegen der Suspendierung des Generals attackiert wurde. Seine Parteifreunde rührten derweil keinen Finger, um den Minister - immerhin einer der Gründer der Fratelli d'Italia - zu verteidigen. Auch Premierministerin Giorgia Meloni verspürte weder im Fall De Angelis noch im Fall Vannacci das Bedürfnis, sich öffentlich zu äußern. Eine Verhaltensweise, die typisch für die Ministerpräsidentin geworden ist: Sie hält, so gut es geht, Abstand zu allzu extremen Parteifreunden. Andererseits will sie die radikalen Wähler auch nicht vergraulen. Das Anstacheln, das Vorpreschen, um zu sehen, wie weit man gehen kann, überlässt sie ihren Handlangern.
Quelle: ntv.de