Politik

Experten: Brasilien ist isoliert Jair Bolsonaro feiert Despoten statt Diplomatie

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Brasiliens Präsident Bolsonaro in Siegergeste. Experten werfen ihm jedoch vor, das Land international isoliert zu haben.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Brasilien ziehen Experten Bilanz - und die fällt für den amtierenden Staatschef Bolsonaro nicht gut aus. Mit seinem autoritären Auftreten und dem Verprellen internationaler Partner habe er sein Land isoliert. Statt auf Gespräche mit Demokraten setzte er auf Treffen mit Despoten.

Der Auftritt von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro beim G20-Gipfel in Rom im vergangenen Jahr war symbolisch für seine Rolle auf dem internationalen Parkett: Statt beim abendlichen Empfang mit seinesgleichen über die Weltlage zu diskutieren, stand Bolsonaro allein am Buffet und plauderte höchstens mal mit einem Kellner. Seinen jüngsten Fehltritt leistete er sich, als er in London am Rande der Trauerfeier für die Queen vom Balkon der Residenz des brasilianischen Botschafters aus vor zahlreichen Anhängern Wahlkampf betrieb.

Der rechtsradikale Präsident habe sein früher einflussreiches Land in vier Jahren Amtszeit in die Isolation getrieben - in dieser Einschätzung sind sich viele politische Experten in Brasilien einig. Sie verweisen auf seine ideologische Herangehensweise an internationale Beziehungen, seine zahlreichen Abweichungen von diplomatischen Gepflogenheiten, Beleidigungen und Fehltritte. "Das Land ist international ziemlich isoliert und befindet sich in einer deutlichen Image-Krise", sagt etwa Fernanda Magnotta, Koordinatorin für internationale Beziehungen bei der FAAP-Stiftung in São Paulo. "Nur wenige Leute wollen mit unseren Regierungsmitgliedern fotografiert werden."

Einen Teil der internationalen Gemeinschaft hat der wenig gereiste Präsident wegen seiner Umweltpolitik oder seines Umgangs mit den Menschenrechten gegen sich aufgebracht. Zugleich suchte er die Nähe von autoritär regierten Ländern: Ungarn etwa, aber vor allem auch Russland, dem er noch eine Woche vor dem Einmarsch in die Ukraine einen Besuch abstattete. Brasiliens Diplomatie werde nicht mehr als "ein Mittel zur Wirtschaftsförderung gesehen, sondern zum Schmieden ultrarechter Bündnisse, um innenpolitisch zu punkten", sagt Rodrigo Goyena Soares, Historiker an der Universität São Paulo (USP).

EU unterzeichnet Abkommen nicht

Auch China, Brasiliens größter Handelspartner, fühlte sich durch allzu pauschale Äußerungen aus Brasília vor den Kopf gestoßen. Und das Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem lateinamerikanischen Mercosur sei "aufgrund gegenseitiger Animositäten" nicht ratifiziert worden, sagt Fernanda Magnotta. Ebenso habe Brasilien "seine führende Rolle bei der regionalen Integration in Südamerika verloren".

Die ausufernden Brände im Amazonas im Jahr 2019 zerstörten auch die brasilianisch-europäischen Beziehungen; und das Verhältnis zu Frankreich ist belastet, seit Bolsonaro Emmanuel Macrons Frau Brigitte beleidigt hat. Noch im August schlug Wirtschaftsminister Paulo Guedes vor, dass sich das "unbedeutende" Frankreich "verpissen" solle, wenn es sein Land nicht gut behandle. "Das hat es in der brasilianischen Diplomatie und der Diplomatie überhaupt noch nie gegeben", bemerkt Goyena Soares.

Bolsonaro setzt voll auf Trump

Bolsonaro hatte international alles auf die USA unter dem damaligen und von ihm bewunderten Präsidenten Donald Trump gesetzt. "Brasiliens Anpassung an Trumps USA war beispiellos", sagt Felipe Loureiro vom Institut für Internationale Beziehungen der Universität São Paulo, aber es war vor allem "eine Anpassung an den Trumpismus". Nun sind die Beziehungen zu Washington deutlich abgekühlt. Weil Trump immer wieder ohne jeden Beweis Wahlbetrug anprangerte, war Bolsonaro weltweit einer der letzten Politiker, die Joe Biden zu seinem Sieg gratulierten. Dies sei "ein weiterer schwerwiegender Verstoß gegen die brasilianische diplomatische Tradition der Nichteinmischung" gewesen, bemerkt Loureiro.

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Im Außenministerium Itamaraty habe Bolsonaro "Hauptmänner zu Generälen gemacht", sagt Goyena Soares. So habe etwa Bolsonaros Sohn Eduardo heute "mehr Gewicht" als Außenminister Carlos França, der die Öffentlichkeit scheue.

Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der im Ausland beliebter ist als zu Hause, will Brasilien wieder zu einem international anerkannten Partner machen. Er will die regionale Integration vorantreiben und Brasiliens Beteiligung an multilateralen Institutionen und den Klimaschutzbemühungen neu beleben. Jedenfalls ist Lula niemand, der bei internationalen Begegnungen allein in der Ecke stehen würde oder statt zum Abendessen mit Berühmtheiten zu erscheinen, lieber Pizza holen geht - wie es Bolsonaro beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2019 oder bei der UN-Vollversammlung in New York 2021 getan hat.

Quelle: ntv.de, Pascale Trouillard, AFP

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