"Heißt nicht, es ist schlecht" Johnson: "Hohe Wahrscheinlichkeit" für No-Deal-Brexit
10.12.2020, 19:31 Uhr
Johnson ist nach eigenem Bekunden bereit, nach Paris oder Berlin zu reisen. Doch die Verhandlungen führt die EU.
(Foto: AP)
Ist es ein weiterer taktischer Zug oder das Eingeständnis des Scheiterns? Der britische Premier Johnson schraubt die Erwartungen an ein Abkommen mit der EU auf ein Minimum zurück. Bis Sonntag soll es nun eine Entscheidung geben. Beide Seiten bereiten sich aber auf den No-Deal-Brexit vor.
Der britische Premierminister Boris Johnson dämpft die Erwartungen an ein Handelsabkommen Großbritanniens mit der Europäischen Union. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es nicht zu einer Vereinbarung für die Zeit nach dem EU-Austritt seines Landes komme, sagte Johnson. "Es besteht nun die hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Lösung bekommen, die dem Verhältnis Australiens mit der EU ähnelt und nicht eine, die dem kanadisch-europäischen Beziehungen entspricht", sagte Johnson. "Das heißt nicht, dass es schlecht ist."
Laut BBC sagte er zu Reportern, dass seine Unterhändler bereit seien " einen Extra-Weg zu machen". Zudem sei er darauf vorbereitet, nach Paris oder Berlin zu reisen. Dennoch forderte er Unternehmen und Öffentlichkeit auf, sich auf einen No-Deal-Brexit vorzubereiten.
Am Vortag hatte ein Treffen zwischen Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen keinen Durchbruch gebracht. Knackpunkte sind weiter Wettbewerbsregeln und Fischereirechte. Die Positionen liegen hier "nach wie vor weit auseinander", hatte von der Leyen nach einem gut dreistündigen Abendessen mit Johnson gesagt. Beide Seiten setzten sich eine Frist bis Sonntag. Dann soll sich entscheiden, ob ein Handelsabkommen für die Zeit ab Januar 2021 möglich ist.
EU veröffentlicht Notfallgesetze
Die EU bereitet sich aber bereits auf den für die Wirtschaft schlimmsten Fall vor - einen harten Bruch zum Jahreswechsel, ohne dass die künftigen Beziehungen zueinander geklärt sind. Die Brüsseler Behörde veröffentlichte dazu inzwischen Notfallgesetze für den Fall, dass es am 1. Januar kein Handelsabkommen gibt.
"Die Verhandlungen dauern noch an", erklärte von der Leyen. Aber es gebe keine Garantie dafür, dass ein Handelsabkommen rechtzeitig in Kraft treten könne. "Es ist unsere Verantwortung, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein." Die Pläne ihrer Behörde sollen demnach "einige der bedeutenden Störungen" etwa im Flug- und Straßenverkehr abmildern.
Ohne rechtzeitiges Abkommen würden einige Sektoren besonders hart getroffen, erklärte die EU-Kommission. Für den Flug- und Straßenverkehr zwischen Großbritannien und dem Kontinent sollen deshalb zunächst für sechs Monate Sonderregeln gelten - "unter der Voraussetzung, dass das Vereinigte Königreich dasselbe beschließt". Gleiches gilt für den Fischereisektor, hier vorerst bis Ende nächsten Jahres. Einige EU-Länder hatten die Kommission bereits vor Wochen aufgefordert, die Notfallgesetze zu veröffentlichen. EU-Parlament und die Mitgliedstaaten müssen den Notfallgesetzen noch zustimmen.
Die britische Regierung erklärte, sie werde sich die Notfallgesetze genau ansehen. Allerdings reagierte Downing Street insbesondere mit Blick auf den Fischereisektor äußerst zurückhaltend. Ein Sprecher von Johnson betonte, Großbritannien wolle ab 1. Januar die volle "Kontrolle" über britische Gewässer zurückerlangen. Die Regierung werde "niemals" Vereinbarungen akzeptieren, "die mit unserem Status als unabhängiger Küstenstaat unvereinbar sind". Am Morgen hatten Chefunterhändler von EU und Großbritannien, Michel Barnier und David Frost, die Verhandlungen wieder aufgenommen.
Großbritannien war Ende Januar offiziell aus der EU ausgetreten, der das Königreich zuvor seit 1973 angehört hatte. Am 31. Dezember endet die Übergangsphase, in der Großbritannien noch EU-Regeln anwenden muss.
Quelle: ntv.de, jwu/AFP/rts