Politik

"Männer mit Ego-Problemen" Jusos lesen SPD-Führung die Leviten

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Juso-Chef Türmer forderte von Bundeskanzler Scholz eine "Veränderung in der Tonalität und der Programmatik".

Juso-Chef Türmer forderte von Bundeskanzler Scholz eine "Veränderung in der Tonalität und der Programmatik".

(Foto: picture alliance / Chris Emil Janßen)

Das tagelange Ringen um den Kanzlerkandidaten hinterlässt Spuren in der SPD. Der Parteinachwuchs lässt auf dem Bundeskongress ordentlich Frust ab. Begeisterung für Olaf Scholz will nicht so recht aufkommen. Saskia Esken übt sich in Selbstkritik und erhält dafür heftigen Applaus.

Nach den langen Querelen in der SPD hält der Parteinachwuchs auf seinem Bundeskongress einer Führungsfigur nach der anderen eine Standpauke. Nach einem Auftritt von SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, in dem dieser zu einem beherzten Wahlkampf mit dem Hauptgegner Union aufgerufen hatte, erwiderte etwa die Juso-Delegierte Nina Gaedicke aus Münster: "Wir sollen in einen historischen Bundestagswahlkampf ziehen - und die SPD verstolpert die Kanzlerfrage!" Sie frage sich: "Warum wart ihr so unvorbereitet auf diese Debatte? Es ist euer fucking job, Dynamiken in dieser Partei zu erkennen und dann tatsächlich auch Angebote zu machen."

Miersch hatte gesagt, er nehme die Kritik der Jusos sehr ernst. "Mir geht es jetzt allerdings darum, mit euch nach vorne zu gucken", sagte der noch kommissarische Generalsekretär. Er verwies auf Erfolge der SPD in der Regierung und forderte unter anderem, jede und jeder müsse sich den Umstieg von fossiler Energie leisten können - nicht nur Wohlhabende. Dies zähle zu den Inhalten, "für die wir in den nächsten 91 Tagen brennen müssen", sagte Miersch mit Blick auf die wahrscheinlich im Februar stattfindende Bundestagswahl. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass die SPD erneut einer Regierung angehören werde, die für nötige Investitionen nicht bei der Schuldenbremse die Weichen umstelle.

Gaedicke hielt Miersch entgegen, sie wolle jetzt nicht über Klimapolitik reden, sondern über die SPD und ihre verstolperte Kandidatenkür. Die SPD-Führung müsse solche Fragen vor einer Entscheidung mit der Partei diskutieren, sodass es Lösungen geben könne, "die auch alle tragen können". Der mögliche Kanzlerkandidat Boris Pistorius hatte per Videobotschaft auf eine Kandidatur verzichtet. Die Parteispitze kündigte darauf an, am Montag erneut Olaf Scholz zu nominieren.

"Kampagne des kleineren Übels"

Gaedicke sagte zu Miersch: "Sich dauernd nur hinzustellen und nur Einigkeit anzumahnen, das nennst du gerade ein Angebot, Zusammenhalt. Aber nichts dafür zu tun, Kritik auch mal anzunehmen, das ist an politischer und strategischer Fantasielosigkeit nicht zu überbieten." Ein anderer Delegierter warf der SPD-Führung eine inhaltlich zu wenig überzeugende Strategie vor: "Es reicht nicht, mit Olaf Scholz eine Kampagne des kleineren Übels zu fahren." Nötig sei Begeisterung. "Die wird nicht von Olaf Scholz allein ausgehen." Dafür sei ein umfassendes Umverteilungsprogramm nötig.

"Wir rennen Trends hinterher, die wir bereits vor Jahren hätten angehen müssen", kritisierte eine Delegierte hinsichtlich des Bemühens um mehr SPD-Präsenz etwa auf TikTok, "und das dann noch nicht mal gut." Für die Jusos gelte: "Wir wollen Wahlkampf machen, wenn die Inhalte stimmen." Für die Zukunft forderte sie "weniger Hahnenkämpfe, mehr weibliche Führung": "Wie wär's denn mal mit einer SPD-Kanzlerkandidatin?"

Zuvor hatte Parteichefin Saskia Esken vor den Jusos Fehler eingestanden. "Nein, wir haben kein wirklich gutes Bild abgegeben bei der Nominierung unseres Kanzlerkandidaten", sagte Esken. Vor den rund 500 Delegierten brandete bei diesem Eingeständnis erster heftiger Applaus auf, den Esken nach mehr als 30 Sekunden zu beenden versuchte, mit dem Satz: "Ich bin sicher, ihr wollt den Rest auch noch hören." Schließlich ließen die Jusos ihre Parteivorsitzende weiterreden.

"Wir alle sind in tiefer Sorge um die Sozialdemokratie", versuchte Esken dem starken Unmut der Jusos am Management der SPD-Führung und der Nominierung von Scholz zu begegnen. Die SPD dürfe nicht dem antisozialdemokratischen Trend anderer Länder Europas zum Opfer fallen. Dennoch setzte es aus den Reihen der Rednerinnen und Redner danach auch an Esken, die wie viele Jusos zur SPD-Linken zählt, teils heftige Kritik - ebenso am Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil. Der hatte sich ebenso wenig wie Scholz zu der dreitägigen Tagung des Parteinachwuchses angekündigt.

Türmer nimmt Scholz in die Pflicht

Juso-Chef Philipp Türmer forderte von Scholz grundlegende Veränderungen unmittelbar zum beginnenden Bundestagswahlkampf. "Da muss jetzt eine Veränderung in der Tonalität und der Programmatik erfolgen", sagte Türmer auf einem Juso-Bundeskongress in Halle. Sonst werde aus "Olaf, dem Kanzler" nicht erfolgreich "Olaf, der Kanzlerkandidat". Der Juso-Chef sagte: "Hier sitzen 500 Jusos, die wollen, dass es auch in Zukunft noch eine starke Sozialdemokratie gibt." Dafür müsse die Parteiführung alles tun. "Das fordern wir von euch ein."

Nach tagelanger Unklarheit, ob der in Umfragen beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius oder erneut Scholz Kandidat werden solle, warf Vorstandsmitglied Mareike Engel den Beteiligten einen "Pressekrieg zwischen Männern mit Ego-Problemen" vor. Im Wahlkampf träfen die Jusos auf Hass auf Scholz, Hass auf die Ampel und Hass auf die SPD. Der SPD-Führung warf Engel eine Plan- und Ambitionslosigkeit in dieser Lage vor.

"Wir werden keinen Wahlkampf machen, dass es so weitergeht wie bisher", mahnte ein Delegierter. Die Jusos fordern unter anderem steuerliche Umverteilung in Deutschland und eine "WG-Garantie für alle Studierenden und Auszubildenden", sodass junge Menschen eine bezahlbare Unterkunft bekommen.

Kritik an Esken und Klingbeil

Auch nachhaltiges Misstrauen gegen die aktuelle Wahlkampfstrategie der SPD-Führung im Berliner Willy-Brandt-Haus wurde deutlich. "Wir Jusos bleiben das Bollwerk gegen große Koalitionen", sagte ein Delegierter. An Parteichefin Esken gerichtet sagte er: "Was ist der Plan und wie kriegen wir das Vertrauen wieder zurück?" Eine Delegierte sprach vielen Zuhörerinnen und Zuhörern hörbar aus der Seele, als sie sagte: "Statt Klarheit gab es Chaos." Die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Esken hätten bei der quälenden Kandidatendebatte nur zugeguckt.

Auch Verteidigungsminister Pistorius, der per Video seinen Verzicht erklärt hatte, bekam sein Fett vom Parteinachwuchs ab. Es habe im Hinterzimmer ein Mann allein die K-Frage entschieden, kritisierte eine Delegierte. "Ich bin wirklich sauer." Die SPD-Führung habe sich unterdessen dem Dialog mit den Parteimitgliedern verweigert. Nun müsse sie die Tür, an die geklopft werde, aufmachen - "wenn nicht, treten wir die Tür halt ein".

Quelle: ntv.de, mdi/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen