Politik

Danach könnte es ernst werden Karlsruhe entscheidet in Lockdown-Frage

Deutschland diskutiert über einen neuen Lockdown. Kommt er und wenn ja, wie und wann? Am Dienstag urteilt das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Bundesnotbremse. Danach könnte diese reaktiviert werden.

In normalen Zeiten wäre das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wie üblich interessant und wichtig gewesen - aber es hätte vermutlich bei Gesprächen beim Bäcker, am Küchentisch oder auf der Straße keine große Rolle gespielt. Wenn die Richter am Dienstagmorgen ihr neues Urteil verkünden, könnte das anders werden. Oder sollte es zumindest: Kaum ein Richterspruch dürfte je so viele Menschen interessiert haben. Es geht um die Frage, wie ein neuer Lockdown aussehen könnte. Konkret werden sich die Richter dazu äußern, inwiefern die "Bundesnotbremse" im Frühjahr verfassungsgemäß war. Dabei geht es insbesondere um Ausgangssperren und Schulschließungen.

Dass angesichts der Corona-Inzidenzen und der Omikron-Variante ein neuer Lockdown im Raum steht, hätte dem Urteil schon genug Aufmerksamkeit beschert. Doch gegen Mittag wurde bekannt, dass sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer nach der Urteilsverkündung zusammenschalten wollen, um mit Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Nachfolger Olaf Scholz über das weitere Vorgehen zu beraten. Möglich ist, dass Bund und Länder beschließen, die Bundesnotbremse wieder zu aktivieren - entsprechend den Vorgaben aus Karlsruhe. Unter anderem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte das gefordert.

Karlsruhe könnte neuen Schwung in die Pandemiebekämpfung bringen.

Karlsruhe könnte neuen Schwung in die Pandemiebekämpfung bringen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mit der Notbremse war von April bis Juni bundeseinheitlich im Infektionsschutzgesetz geregelt worden, ab welchen Corona-Schwellenwerten bestimmte Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren in Kraft treten sollten. Konkret geht es im derzeitigen Verfahren um neun Verfassungsbeschwerden. Sieben betreffen Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, zwei weitere Schulschließungen. Die Bundesnotbremse lief Ende Juni aus. Von dem Urteil wird erwartet, dass es klärt, ob man die Notbremse noch einmal genauso ziehen kann oder ob sie geändert werden muss.

Baerbock macht Ländern Druck

Grünen-Chefin Annalena Baerbock hatte das Verfassungsgerichtsurteil schon am Sonntagabend zu einem Wendepunkt der Ampel-Corona-Politik erklärt. "Wir haben am Dienstag das Bundesverfassungsgerichtsurteil, dann ist auch beantwortet, was mit Blick auf den Lockdown möglich wäre", sagte sie bei "Anne Will". Danach wolle man schauen, ob die Bundesländer alle Maßnahmen ergriffen hätten, die nach dem Infektionsschutzgesetz möglich sind. "Wenn wir innerhalb einiger Tage feststellen, die Bundesländer machen das nicht, müssen wir handeln", so Baerbock. Sie betonte, über Schulschließungen solle dabei als Letztes nachgedacht werden.

Manche unionsgeführte Bundesländer wie NRW und Bayern haben die Möglichkeiten des neuen Infektionsschutzgesetzes zum Leidwesen der Ampel noch nicht ausgeschöpft. Dort finden beispielsweise immer noch Fußballspiele vor Publikum statt. Insbesondere das Derby zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach mit 50.000 Zuschauern am vorvergangenen Wochenende hatte zu Stirnrunzeln geführt. Auch das ausgelassene Karnevalstreiben, Tests hin und Kontrollen her, ließ die Frage aufkommen, ob die da in Düsseldorf eigentlich nicht die Warnschüsse gehört haben, die so ziemlich alle Experten seit Tagen und Wochen aus allen Rohren abfeuern.

Mehrere Ministerpräsidenten hatten schon vor dem Wochenende ein bundeseinheitliches Vorgehen gefordert. Obwohl die Länder für die Pandemiebekämpfung zuständig sind, tun sie sich schwer, im Alleingang die härtestmöglichen Maßnahmen zu verhängen. Das ist wenig überraschend: Unpopuläre Beschlüsse lassen sich dem Wahlvolk besser verkaufen, wenn auch andere Landesregierungen so verfahren. Machen alle das Gleiche, wirkt das Vorgehen alternativlos. Zugleich verlieren viele Menschen den Überblick, wenn überall etwas anderes gilt.

MPK oder neues Gesetz?

Für die Ampel ist es aber wichtig, dass die Länder den Rechtsrahmen ausschöpfen - zum einen natürlich, weil es das gemeinsame Ziel aller ist, die Infektionszahlen zu senken. Zum anderen aber auch, weil die Ampel das neue Infektionsschutzgesetz ja selbst geschaffen hat. Es war ihr erstes großes Projekt. Es stellt sich also auch die Frage: Funktioniert das, was die Ampel da fabriziert hat? Daher konnte man Baerbocks Äußerung als Drohung an die Länder verstehen: Wenn ihr bis zum Ende der Woche nicht alles macht, was geht, dann handelt die Bundesregierung für euch. Ob das dann über eine Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) oder ein neues Gesetz im Bundestag passieren würde, ließ sie offen. Die für Dienstag geplante Telefonkonferenz soll eine MPK jedenfalls nicht ersetzen - die ist für den 9. Dezember angesetzt.

Soll die Bundesnotbremse zurückkommen, müsste wieder das Infektionsschutzgesetz geändert werden - so wie im April dieses Jahres. Es wäre schon die zweite Novelle des Gesetzes in kurzer Zeit - erst vergangene Woche traten die letzten Neuerungen in Kraft. Jetzt ginge es vor allem darum, drastische Maßnahmen wie einen bundesweiten Lockdown einschließlich Ausgangssperren und Schulschließungen wieder möglich zu machen. Dazu könnten Kontaktbeschränkungen überall in Deutschland nicht erst ab Schwellenwerten von 1000, sondern ab einer Sieben-Tage-Inzidenz etwa von 300 oder 400 gehören. Zudem könnten die Länder vereinbaren, überall Großveranstaltungen mit Publikum etwa im Profifußball abzusagen. Das Problem dabei: Eine neuerliche Gesetzesnovelle geht nicht von heute auf morgen. So könnte weitere Zeit verloren gehen.

Auch eine Rückkehr zur epidemischen Notlage nationaler Tragweite wäre denkbar - aber unwahrscheinlich. Denn die hat die Ampel ja auslaufen lassen, weil sie sie nicht für rechtssicher hielt und sie die Pandemiebekämpfung im Bundestag ansiedeln wollte - darum wurde das Infektionsschutzgesetz novelliert. Das brachte zwar 3G am Arbeitsplatz und andere Maßnahmen, verbot aber einen umfassenden Lockdown. Ausgangsbeschränkungen sowie die generelle Schließung von Geschäften, Schulen oder Kitas sind nicht mehr möglich. Das war vor allem der FDP ein Anliegen gewiesen. Die Idee dazu stammt noch aus dem Spätsommer, als viele noch dachten, die vierte Welle werde so schlimm schon nicht werden. Dadurch bot das Corona-Management der Ampel gleich zu Beginn Angriffsfläche. Ist es zu lasch für die vierte Welle? Vermasselt die Ampel ihren Start vor dem eigentlichen Start? Dem Eindruck versuchte am Wochenende Olaf Scholz zu begegnen, als er auf Twitter ankündigte, alles Notwendige werde getan werden.

Baerbock versuchte mit ihrer Drohung wohl auch, den Scherbenhaufen zusammenzukehren, den sie selbst vergangene Woche mit einer Äußerung in der ARD angerichtet hatte - danach wirkte es so, als ob die Ampel gerade nicht alles Notwendige tun werde. Baerbock sagte, man wolle in zehn Tagen schauen, wie man weiter vorgehe. Das hatte angesichts der rasanten Pandemieentwicklung für heftige Kritik gesorgt. Bei Anne Will sagte Baerbock nun, dass sie das so nie gemeint habe und man nicht in, sondern innerhalb von zehn Tagen entscheiden wolle. Genau das passiere nun ja. Vom Urteil des Verfassungsgerichtes hatte sie vergangene Woche aber noch nichts gesagt - das Gericht kündigte es auch erst nach ihrem Interview an. Es kommt also gerade recht. Für die Ampel und für den Kampf gegen die Pandemie.

Quelle: ntv.de

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