Angeblicher Extremismus Kreml-Kritiker Nawalny zu 19 Jahren Haft verurteilt
04.08.2023, 16:15 Uhr
In einem international als politische Inszenierung kritisierten Prozess wird der prominente russische Oppositionelle Nawalny zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Bereits im Vorfeld des Richterspruchs hatte der 47-Jährige eine "stalinistische" Strafe erwartet. Seine Unterstützer nennen ihn einen "König".
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist zu einer weiteren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ein russisches Gericht verhängte gegen ihn nach Angaben von seinen Unterstützern eine Haftstrafe von insgesamt 19 Jahren im Straflager. Die Staatsanwaltschaft hatte 20 Jahre Haft gefordert.
Die Strafe gegen den 47-Jährigen erging in einem international als politische Inszenierung kritisierten Prozess wegen angeblichem Extremismus im Straflager. Ihm wird vorgeworfen, eine "extremistische" Organisation gegründet und finanziert zu haben. Außerdem soll er zu extremistischen Aktivitäten aufgerufen und "Nazi-Ideologie wiederbelebt" haben.
Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch erklärte auf Nachfrage, dass mit dem Urteil die Gesamtlänge der Haftdauer gemeint sein sollte. Die neun Jahre Straflager, zu denen Nawalny bereits verurteilt wurde, seien mit eingerechnet. Es bleibe aber das schriftliche Urteil abzuwarten, sagte sie. Nawalny ist ein politischer Gefangener. Der schärfste Gegner von Kremlchef Wladimir Putin nahm das Urteil im Stehen gelassen auf. Er hatte das Strafmaß erwartet.
Nawalnys Team im Exil erklärte, dass die Strafe in einem Lager unter besonderen Haftbedingungen abgesessen werden solle, die noch strenger seien als die in der bisherigen Kolonie. Nawalny sei wie ein "König" lächelnd ohne Fesseln allein in den Saal gekommen, kommentierten seine Mitarbeiter, die sich im Exil in der EU aufhalten, bei einer Livesendung bei Youtube. Sein Bruder Oleg Nawalny, der selbst schon inhaftiert gewesen war, sagte, dass Alexej in guter "moralischer und physischer Verfassung" sei.
Seine Unterstützer kritisieren zudem, dass der Prozess nicht vor dem Moskauer Stadtgericht, sondern direkt in Nawalnys Strafkolonie im 260 Kilometer von Moskau entfernten Melechowo abgehalten wird. Dort versammelten sich vereinzelt Aktivisten, um den Oppositionsführer zu unterstützen. Nawalny wird nach Berichten seines Teams durch unmenschliche Haftbedingen und Dauerisolation gefoltert.
"Es wird eine riesige Haftstrafe werden"
Nawalny selbst rief seine Landsleute nach seiner Verurteilung zum Widerstand gegen die Regierung auf. In einer von seinem Team auf seiner Facebook-Seite verbreiteten Botschaft erklärte er wörtlich: "Sie zwingen Euch dazu, Euer Russland kampflos der Bande von Verrätern, Dieben und Schurken zu überlassen, die an die Macht gekommen sind." Putin dürfe sein Ziel nicht erreichen. "Verliert nicht den Willen zum Widerstand", fuhr er fort. "Sie wollen Euch Angst machen, nicht mir, und Euch den Willen zum Widerstand nehmen."
Tags zuvor hatte der Kreml-Kritiker das harte Urteil gegen ihn bereits vorausgesehen: "Es wird eine riesige Haftstrafe werden. Das, was man als 'stalinistische Haftstrafe' bezeichnet", hatte Nawalny über sein Team in sozialen Netzwerken ausrichten lassen. Unter Sowjetdiktator Josef Stalin (1879-1953) waren zu kommunistischen Zeiten sehr lange und harte Strafen üblich.
Menschenrechtler weisen immer wieder auf die angeschlagene Gesundheit Nawalnys hin, der im Sommer 2020 nur knapp einen Nervengiftanschlag überlebte. Nawalny wirft dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB und Präsident Putin vor, hinter dem Mordanschlag vor drei Jahren zu stecken. Der Kreml dementiert das. Nach einer Behandlung in Deutschland kehrte Nawalny damals in seine Heimat zurück. Noch am Flughafen wurde er festgenommen.
Das neue Urteil gegen ihn diene der gesellschaftlichen Einschüchterung, schrieb Nawalny vorab. Es solle die kritischen Teile der russischen Bevölkerung davon abhalten, sich öffentlich gegen Putin und Russlands Krieg in der Ukraine zu stellen. Er bat auch um Solidarität mit politischen Gefangenen. Schon in seinem Schlusswort vor zwei Wochen hatte der Oppositionspolitiker dazu aufgerufen, gegen das "gewissenlose Böse, das sich selbst 'Staatsmacht der Russischen Föderation' nennt", zu kämpfen.
Quelle: ntv.de, fzö/dpa/AFP