Politik

Diskussion über Impfpflicht Kretschmann redet sich bei Lanz in Rage

"Wir geben das Versprechen, dass wir am Durchregieren keinen Gefallen finden", sagt Winfried Kretschmann.

"Wir geben das Versprechen, dass wir am Durchregieren keinen Gefallen finden", sagt Winfried Kretschmann.

(Foto: dpa)

In Deutschland könnte es bald eine allgemeine Impfpflicht geben. Darüber diskutieren auch die Gäste von Markus Lanz. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann nutzt die Gelegenheit für eine Brandrede.

Nur noch wenige Stunden, dann ist die erste Ampelkoalition Deutschlands im Amt. Einen Tag später, am Donnerstag, treffen sich erneut die Ministerpräsidenten der Bundesländer. Ein Thema der Beratungen mit dem neuen Bundeskanzler Olaf Scholz könnte dann die Einführung einer Impfpflicht sein. Die war auch Thema am Dienstagabend in der Sendung "Markus Lanz" im ZDF. Außerdem analysierten die Teilnehmer der Talkrunde die zunehmende Radikalisierung eines Teils der Impfgegner. Das ZDF hatte zuvor in der Sendung "Frontal" über einen Chat im Nachrichtendienst Telegram berichtet, in dem Pläne offen diskutiert wurden, wonach Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ermordet werden solle.

Für die Entscheidung über eine allgemeine Impfplicht spräche vor allem die Situation auf den Intensivstationen, führte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Sendung aus. "Das geht einem unter die Haut, was da passiert", sagte der Grünen-Politiker. Immunologin Christine Falk von der Medizinischen Hochschule Hannover kritisierte: "Wir haben zu lange gesagt, wir brauchen keine Impfpflicht." Und weiter: "Ich würde gerne ohne Impfpflicht auskommen, aber ich weiß nicht mehr weiter." Das sah Kretschmann ähnlich. Er hofft, dass sich durch die aktuelle Diskussion möglichst viele Menschen zur Impfung aufraffen könnten.

Auch Thüringens Innenminister Georg Maier von der SPD will nach eigener Aussage im Moment nichts ausschließen, was mit der Impfpflicht zusammenhängt. Er hat aber eine größere Sorge: Impfgegner vor allem in Ostdeutschland, für die das Nichtimpfen ein Instrument des Widerstandes sei. "Da endet dann auch die Aufklärung; Um die Impfquote dahin zu bekommen, wo sie hin muss, bleibt uns nichts anderes als die Impfpflicht." Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Mehrzahl der Thüringer geimpft sei. Bei den radikalen Impfgegnern handele es sich um einen kleinen, aber lauten Teil der Bevölkerung.

Kretschmann stimmte dem zu. Und er erklärte, dass ein noch kleinerer Teil der radikalen Impfgegner auch militant sei. Die Gesellschaft sei gespalten, gab Kretschmann zu. Auch deswegen sei es sinnvoll, wenn der Staat eine Impfpflicht verordnen würde. "Dann zieht er den Konflikt aus der Gesellschaft raus, er zieht ihn an sich."

Journalist und Publizist Olaf Sundermeyer glaubt nicht an eine Spaltung der Gesellschaft. Spaltungstendenzen sieht er jedoch. Er geht davon aus, dass die Diskussion um die Impfpflicht dazu führen werde, dass sich bereits radikalisierte Impfgegner weiter radikalisieren. "Das politische Versagen der letzten Monate verstärkt die Wut, die sich in erster Linie gegen den Staat richtet, deren Vertreter dafür verantwortlich gemacht werden - von Polizisten bis zu Politikern."

Drei Gruppen von Ungeimpften

Dem stimmte Innenminister Maier zu. In Thüringen würden die Demonstrationen vor allem von Neonazis initiiert, sagte er. "Andere Menschen schließen sich an und wissen gar nicht, mit wem sie da auf die Straße gehen." Sundermeyer widersprach: "Das wissen die schon ganz gut. Die nehmen das in Kauf." Und Kretschmann fügte hinzu: "Mit Fackeln vor Privatwohnungen von Politikern aufzumarschieren, das hat die SA erfunden." Kretschmann spielte darauf an, dass eine Gruppe Rechtsradikaler am vergangenen Wochenende das Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping belagert hatte. "Gegen so etwas muss sich der demokratische Staat wehrhaft erweisen", sagte er.

Wichtig sei ihm aber, diese Menschen nicht mit der Mehrheit der Ungeimpften in einen Topf zu werfen. Kretschmann machte unter den Ungeimpften drei Gruppen aus: rechtsextreme Gegner der Demokratie, verblendete Impfskeptiker und Menschen mit diffusen Ängsten. Auf diese große dritte Gruppe müsse man zugehen. "Wir dürfen als demokratischer Staat niemals Menschen aufgeben." Gegenüber Menschen mit Impfängsten müsse man Respekt, gegenüber Radikalen aber Härte zeigen.

Wissenschaftlerin Falk sah das genau so. Viele Mails zeigten, dass sich Menschen erst in der aktuellen Situation mit dem Impfthema befassten. Darum müsse man immer wieder mit den Erklärungen von vorne anfangen.

"Debatte ohne Ende"

Dann fragte Markus Lanz den baden-württembergischen Ministerpräsidenten, ob man denn wirklich schon alles unternommen hätte, um eine mögliche Impfpflicht zu verhindern. Da geriet er bei Kretschmann an den Falschen, denn dieser wurde daraufhin richtig wütend. Man könne immer mehr tun, aber das sei doch eine Debatte ohne Ende.

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Und weiter: "Wir sind jetzt in einem Stadium, wo wir das mit der Corona-Krise nicht mehr anders hinbekommen. Wir haben eine weltweite Pandemie mit über vier Millionen Toten. Das ist eine extreme Ausnahmesituation. Und nur in einer solchen Situation greifen wir zu einem Mittel wie der Impfpflicht. Da muss doch niemand Angst haben, dass sich das ausweitet oder dass wir daran Gefallen finden. Der freiheitliche Staat hat natürlich auch Respekt vor dem Eigensinn seiner Bürger. Aber in dieser Situation, wo der Eigensinn andere gefährdet, ist das anders. Aber wir geben das Versprechen, dass wir am Durchregieren keinen Gefallen finden. Ich bin froh, wenn ich das alles hinter mir habe. Ich habe keinen Spaß daran, solche Verordnungen zu machen und die Leute zu kujonieren. Aber in dieser Extremsituation ist das ein Gebot der praktischen Vernunft", so Kretschmann wörtlich.

Das Lachen des Moderators während dieser Brandrede dürfte auf viele Zuschauer hilflos, unangebracht und fehl am Platz gewirkt haben. Wichtig für Kretschmann: die Impfpflicht schnell einführen, Schluss mit den Debatten darüber. "Davon wird man auch nicht schlauer." Ob die Impfpflicht bald komme, wollte Lanz zuletzt noch wissen. "Ich schließe nichts aus, was im Rahmen der Verfassung möglich ist", antworteten Kretschmann und Maier unisono.

Quelle: ntv.de

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