
Kanzler Kurz und sein grüner Gesundheitsminister Rudolf Anschober .
(Foto: REUTERS)
Die nächste Corona-Panne in Österreich: Der Impfstart ruckelt, Kanzler Kurz greift ein - auf Kosten seines Koalitionspartners. Symptomatisch für die Beziehung, die 2021 noch schwieriger werden dürfte.
Früher war mehr Lametta, wenn Sebastian Kurz ein Regierungsjubiläum zu feiern hatte. Im Dezember 2018 lud Österreichs Bundeskanzler noch in die Wiener Hofburg, um die "Papierne Hochzeit" mit der FPÖ zu feiern, wie es der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache blumig formulierte. Die Beziehung sollte nicht mehr lange halten, ein halbes Jahr später tauchte ein eindeutiges Homevideo von Strache und einer "schoafen" Russin auf. Kurz entschied sich für einen Partnerwechsel.
Das einjährige Jubiläum der neuen Koalition mit den Grünen ist ohne eigens anberaumte Pressekonferenz und Blumengeschenke verstrichen, was angesichts der Pandemie wenig verwundert. Nur hat das Social Distancing zwischen den beiden Partnern eher politische als gesundheitliche Gründe: Es knirscht mal wieder im Bündnis zwischen Kurz' ÖVP und den Grünen, das angetreten war, um das "Beste aus beiden Welten" umzusetzen, aber seit Frühjahr als Krisenmanager gefordert ist. Und dabei ein immer schlechteres Bild abgibt.
"Das ist erbärmlich"
Vom Desaster Ischgl abgesehen, hat es Österreich glimpflich durch die Erste Welle im Frühjahr geschafft, doch dann entpuppte sich das "Licht am Ende des Tunnels", das Sebastian Kurz Ende August erspähte, als entgegenkommender Zug: Anfang Dezember lag die Übersterblichkeit bei 59 Prozent und damit so hoch wie nirgends in der EU außer in Polen und Bulgarien. Mehr als 6400 Österreicher sind bislang mit Corona gestorben. Die Infektionszahlen sind zwar von fast 10.000 pro Tag auf rund 2000 gesunken, der mittlerweile dritte Lockdown bringt die Inzidenz aber noch nicht einmal in die Nähe der wichtigen 50er-Marke - dafür ist Österreich international in die Schlagzeilen, weil die Skigebiete öffnen dürfen.
Die Konsequenz, mit der die Regierung die Interessen der sogenannten Liftkaiser bediente, lässt sie in anderen Bereichen vermissen: Wann die Schulen wieder öffnen, kann nicht einmal der Bildungsminister sagen. Den Massentests, von Kurz im Alleingang anberaumt, blieben die Massen fern, nur ein Viertel der Österreicher ließ sich testen. Auf die versprochenen Gratis-FFP2-Masken warten Senioren bis heute, die Corona-Ampel leuchtet unbeachtet vor sich hin.
Den pandemischen Knoten wollte die Regierung mit der Impfung durchschlagen, live im Fernsehen: Kanzler Kurz und sein grüner Gesundheitsminister Rudolf Anschober begleiteten die ersten Impfungen an der MedUni Wien am 27. Dezember höchstpersönlich, das ORF übertrug in einer Sondersendung. Seit der Inszenierung passierte: wenig. Wie wenig, weiß niemand genau, Österreich führt keine aktuellen Daten. Stand Mitte der Woche wurden jedenfalls erst rund 7000 Menschen geimpft, seit Silvester ganze 700, obwohl 60.000 Dosen verfügbar wären - damit gehört Österreich zu Europas Nachzüglern. "Wir haben keinen adäquaten Pandemieplan und keinen Plan für Massenimpfungen", kritisierte die Präsidentin der Kärntner Ärztekammer, Petra Preiss. "Das ist alles in den letzten Wochen erfunden worden. [Das] ist erbärmlich."
Slogans und Symbolik
Zum Kurs der Regierung fällt auch die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit ntv.de ein hartes Urteil: "Es gibt immer wieder Projekte, die angekündigt, aber dann nicht durchgezogen werden. Da ist eine gewisse Verliebtheit in Slogans und Symbolik." Gut zu erkennen am Dreikönigstag, als die Unruhe im Land auch das Bundeskanzleramt erfasste - plötzlich kündigte Sebastian Kurz an, die Impfung nicht wie geplant erst am 12. Januar breit auszurollen, sondern ab sofort: "Beim Impfen geht es um Schnelligkeit und um Menschenleben. Daher gibt es keinen Grund, dass Impfdosen über Wochen zwischengelagert werden."
Dass sowohl der Impfbeauftragte der Regierung als auch eine hohe Beamte mit dem wichtig klingenden Titel "Chief Medical Officer" in den Medien gerade erst so ziemlich genau das Gegenteil erzählt hatten - Nebensache. Dass sich der Kanzler auf Kosten des eigentlich zuständigen grünen Gesundheitsministers Rudolf Anschober profiliert - fast schon Routine.
Anschober wurde durch Corona aus einer Nebenrolle plötzlich ins Rampenlicht geschubst, das Kurz eher ungern teilt. Immer wieder setzt der Kanzler eigene Maßnahmen, prescht voran - ob in seinen Meetings mit den "Smart Countries", zu denen Österreich sich in der ersten Welle selbstbewusst zählte, oder bei den Massentests, von denen er Anschobers Ministerium nicht einmal vorab in Kenntnis setzte. Das Impfversagen hängte er dem Grünen dagegen gern an, überbringen durfte die Botschaft ÖVP-Tourismusministerin Elisabeth Köstinger im ORF: "Ich erwarte mir vom Gesundheitsminister, dass die verfügbaren Impfdosen schnellstmöglich verimpft werden." Ein Geschenk zum Einjährigen sieht anders aus.
Klimaschutz ja, Flüchtlingsschutz nein
Die Grünen dürften sich an die harte Gangart der ÖVP mittlerweile gewöhnt haben, von Anfang an war Türkis-Grün als Vernunftehe konstruiert, anders konnten Sebastian "Balkanroute" Kurz und die Refugees-Welcome-Partei nicht zusammenfinden. Das Motto der Koalition, "Das Beste aus beiden Welten", bedeutet, dass beide Seiten im Zweifel Kröten schlucken müssen - die größeren landen auf dem grünen Teller: An der kategorischen Weigerung von Kurz, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen, haben die Grünen zu knabbern. "Das ist der große Wermutstropfen", sagt Politologin Stainer-Hämmerle. Andere Projekte hätten die Grünen durchsetzen können: Mehr Geld für die Justiz, ein bundesweites Öffi-Ticket und die Co2-Bepreisung etwa.
Fraglich aber, was hängen bleibt: Die kleinen Schritte in Richtung Klimaschutz? Oder die Machtlosigkeit um Moria? Eine grüne Partei, die mit einem rechtskonservativen Partner gegen die Aufnahme von Flüchtlingen stimmt - das löst in den sozialen Medien natürlich heftige Kritik aus. Die Parteioberen beharren auf ihrer Koalitionsräson: Wir verhindern Schlimmeres - also eine erneute Zusammenarbeit zwischen ÖVP und den Rechtsaußen von der FPÖ. Noch scheint die Kernklientel zufrieden, in Umfragen liegen die Grünen stabil bei rund 15 Prozent.
Kurz weiter unangefochten
Die Kanzlerpartei ÖVP hätte im Frühjahr noch mit einer absoluten Mehrheit rechnen können, Kurz hatte in der Kanzlerfrage Zustimmungswerte wie sein liebster Feind Markus Söder in Bayern - mittlerweile haben sich die Werte auf hohem Niveau normalisiert. Der Kanzler profitiert dabei auch von der Schwäche der Gegner: Die meisten Umfragen zeigen eine zwar eine hohe Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierung in der Krise, aber weder SPÖ noch die liberalen Neos haben so etwas wie eine schlagkräftige Opposition aufbauen können. Die FPÖ laboriert noch immer an Ibiza.
Gewonnen hat Kurz seine Wahlkämpfe mit vagen Versprechen auf Reformen und Slogans wie "Zeit für Neues". Was die inhaltlichen Leuchtturm-Projekte des Kanzlers sind, kann die Expertin Stainer-Hämmerle nicht sagen: "Das frage ich mich immer noch." Einige groß angekündigte Projekte aus der Koalition mit der FPÖ - darunter das Kopftuchverbot, die Kürzung der Sozialhilfe für Ausländer und das Sicherheitspaket - hat der Verfassungsgerichtshof mittlerweile gekippt. Übrig bleiben Steuerreformen und neoliberale Umbauten in der Sozialversicherung.
In der Koalition mit den Grünen bleibt die inhaltliche Arbeit wegen Corona bislang fast komplett auf der Strecke. In einem Punkt ist auf die ÖVP allerdings Verlass: "In der Flüchtlingspolitik bleibt Kurz auf der klaren Linie, die er immer hatte." Zu einem Bruch ist es bis dato nicht gekommen, doch die Risse werden im neuen Jahr größer, prophezeit Stainer-Hämmerle: "Die Spannungen werden so richtig sichtbar, wenn die Milliarden aus der Pandemie-Bekämpfung wieder eingespart werden müssen." Gerüchte über Neuwahlen wabern regelmäßig durch Wien - nicht ausgeschlossen also, dass Türkis-Grün den zweiten Jahrestag gar nicht mehr erlebt.
Quelle: ntv.de