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Wer übernimmt im Bendlerblock? Lambrecht wählt das Ende mit Schrecken

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Tritt ab: Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht.

(Foto: picture alliance/dpa)

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Die Hängepartie hat ein Ende: Am dritten Tag, nach dem ihre Rücktrittspläne vermeldet wurden, macht Bundesverteidigungsministerin Lambrecht ihren Abgang offiziell. Den Kanzler erwischt die Personalie zur Unzeit - und die Bundesrepublik auch.

Christine Lambrecht wählt die Pension mit 57: Ihre dreieinhalb Jahre als Bundesministerin, erst für Justiz und Verbraucherschutz, dann zusätzlich als Familienministerin und seit etwas mehr als einem Jahr als Verteidigungsministerin, enden an diesem Montag mit ihrer Erklärung, Bundeskanzler Olaf Scholz um Entlassung gebeten zu haben. Wie unfreiwillig dieser Schritt erfolgt, wird aus der Erklärung deutlich: "Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu", schreibt die Sozialdemokratin. Selbstkritische Töne waren unmittelbar nicht zu vernehmen aus dem Bendlerblock, den Lambrecht in denkbar bewegten Zeiten verlassen wird.

Dabei bestätigt die Art und Weise des Rücktritts einmal mehr das Gesamtbild, das eben nicht nur mediale Beobachter, sondern auch ranghohe Koalitionsmitglieder von ihr hatten: unglücklich. Dass ihre Rücktrittsabsicht vorab bekannt geworden ist, machte es dem Bundeskanzler unmöglich, ihre Nachfolge abschließend zu klären. Stattdessen musste Olaf Scholz bei seinem Auftritt in Lubmin am Samstag regelrecht fliehen vor Journalisten, die eine Bestätigung des Vorgangs erhofften. Eine Nachfolge soll "zeitnah" bekannt gegeben werden. Dienstag oder Mittwoch gelten derzeit als wahrscheinlichste Daten der Verkündung. Der Kanzler danke Lambrecht für ihre "gute Arbeit", lässt er am Montag via Regierungssprecherin ausrichten.

"Verteidigungsministerium ist nicht führungslos"

Dabei ist sich Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Vormittag für einen kurzen Moment nicht ganz sicher, ob Lambrecht überhaupt noch formal im Amt ist. Sie ist es. Im Ministerium war sie dennoch nicht zur Arbeit erschienen. Ihr Sprecher erklärte, die Ministerin sei aber erreichbar. "Sie müssen sich da keine Sorgen machen: Das Verteidigungsministerium ist nicht führungslos", sah der sich zur Klarstellung genötigt. Schließlich erfolgt der Rücktritt ausgerechnet in einer Woche, in der die halbe Welt auf das deutsche Verteidigungsministerium schaut: Die Bundesregierung muss sich bis zum Treffen der Ukraine-Unterstützer am Freitag in Ramstein zur Frage möglicher Kampfpanzer-Lieferungen erklären. Stellt Deutschland eigene "Leopard"-Panzer bereit oder gestattet Berlin zumindest anderen Ländern die Ausfuhr der Geräte in das Kriegsgebiet? Polen, Finnland und - laut Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba - drei weitere Länder scharren mit den Hufen.

Egal, wie der Bundeskanzler sich entscheidet. Umsetzen wird die Direktive aus dem Kanzleramt jemand anderes. Wer das sein könnte, wird nicht erst seit Freitag intensiv diskutiert in Berlin. Es kursieren die Namen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der weiß, wie man ein großes Ministerium führt. Er verwaltet nicht nur seit Jahren das mit Abstand größte Budget, die Gesetze aus seinem Haus passieren auch meist relativ geräuschlos die Parlamente. Sollte sich Scholz aber diesmal für eine Person entscheiden wollen, die in der Materie steckt, werden die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, und der SPD-Chef und Soldatensohn Lars Klingbeil gehandelt. Auch der Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, ein enger Wegbegleiter des Kanzlers, soll im Rennen sein.

SPD hielt an Lambrecht fest

Der Zeitpunkt von Lambrechts Abgang ist nicht selbsterklärend. Die Kritik an ihrer Person hatte zwar zugenommen, nachdem sie am Silvesterabend ein wenig einfühlsames Social-Media-Video gepostet hatte. Allerdings waren hernach weder die SPD-Spitze noch die Fraktion, der sie einst als Parlamentarische Geschäftsführerin und stellvertretende Vorsitzende gedient hatte, öffentlich von ihr abgerückt. Auch Spitzenvertreter der Koalitionspartner lästerten höchstens hinter vorgehaltener Hand. Allerdings scheint Lambrecht der Rücktrittsgedanke nicht erst in der vergangenen Woche gekommen zu sein: Dem "Spiegel" zufolge hatte sie diese Möglichkeit seit Jahresbeginn wiederholt mit Scholz diskutiert.

Dass der Regierungschef dennoch an seiner ehemaligen Staatssekretärin in seiner Zeit als Bundesfinanzminister festhielt, mag seiner grundsätzlichen Loyalität und einer Mischung aus Prinzipienfestigkeit und Trotz geschuldet sein. Je lauter die Opposition, insbesondere die Union den Rücktritt forderte, desto weniger war der Kanzler geneigt, über dieses Stöckchen zu springen. Er muss sogar davon ausgegangen sein, Lambrecht in jedem Fall halten zu können, denn dass eine Nachfolge auch am Montagmorgen noch nicht abschließend geklärt ist, deutet auf das Fehlen eines Plan B.

Nicht nachlassende Indiskretionen

Dabei kann auch dem Kanzleramt nicht entgangen sein, dass die von Scholz eingeleitete Ertüchtigungskampagne der Bundeswehr stockt, die er drei Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine mit seiner "Zeitenwende"-Rede ausgerufen hatte. Trotz eines Sonderschuldenprogramms über 100 Milliarden Euro und der vollen Rückendeckung des Kanzlers konnte Lambrecht auch ein Jahr später gerade mal einen nennenswerten Punkt auf dem Bundeswehr-Bestellzettel abhaken: die Entscheidung für den US-Tarnkappenjet "F-35" als Nachfolger des Tornados. Zeitgleich ließen Berichte über ihr Fremdeln mit der Bundeswehr nicht nach. Aus der Armeeführung wurde die Ministerin via Indiskretionen unmöglich gemacht. Das ist vielleicht kein guter Stil, zeigt aber ebenfalls, wie schlecht Lambrecht im Bendlerblock gelitten war - auch und gerade im Vergleich zu ihrer Amtsvorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, sagte zu ntv: "Endlich. Also selbst den Rücktritt hat sie ja noch irgendwie verschlabbert. So eine Debatte über das ganze Wochenende, so war auch die ganze Amtszeit wie dieser Rücktritt war. Gut, dass es vorbei ist, gut für die Bundeswehr." CDU-Generalsekretär Mario Czaja kritisierte, dass noch keine Nachfolgerin oder Nachfolger bereitsteht. "Wir haben Krieg in Europa und wir haben in dieser Woche ein wichtiges Treffen der Kontaktgruppe für die Ukraine-Unterstützung in Ramstein", sagte er dem Sender Welt TV. Deswegen sei es jetzt "extrem wichtig, dass die Truppe Klarheit hat, dass die Bundeswehr Bescheid weiß, wer sie führt". Scholz müsse "jetzt sehr schnell handeln". Es ist davon auszugehen, dass das auch im Interesse der gesamten Ampelkoalition ist. Der zweite Ministerinnenabgang schon in den ersten 13 Regierungsmonaten soll schnell ad acta gelegt werden.

Quelle: ntv.de

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