Bauernproteste mit Blockaden Landwirte legen bundesweit den Verkehr lahm
09.01.2024, 02:03 Uhr Artikel anhören
Die Landwirte blockierten in ganz Deutschland Autobahnauffahrten, Straßen und legten in vielen Großstädten den Verkehr lahm.
(Foto: picture alliance/dpa)
"Wer macht Deutschland satt, wenn wir es satt haben?" - mit solchen Sprüchen an ihren Treckern fahren Bauern am Montag in die Großstädte und blockieren Straßen. Der Frust über das Sparpaket der Ampel ist groß. Noch aus einer weiteren Branche treiben die gestiegenen Kosten viele Beteiligte auf die Straße.
Lange Konvois von Traktoren und Lastwagen ziehen sich durch zahlreiche Städte, zig Autobahnauffahrten sind bundesweit zeitweise blockiert: Die Aktionswoche der Bauern gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung hat in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Gemessen an den Teilnehmerzahlen fanden vor allem in Großstädten größere Demonstrationen statt. Hunderte Traktoren und andere Zugmaschinen sorgten aufgrund ihrer Größe für beeindruckende Bilder, viel Aufmerksamkeit - und etliche Verkehrsbehinderungen.
Am Brandenburger Tor in Berlin wurden fast 700 Fahrzeuge gezählt. In Erfurt sprach die Polizei von mehr als 2000 Traktoren und anderen Zugmaschinen. Im VW-Werk Emden wurde die Produktion gestoppt, weil die Beschäftigten nicht zur Arbeit kommen konnten. In einigen Städten erhielten die Bauern Unterstützung - etwa von Lastwagenfahrern und Handwerkern. Nach Angaben des Innenministeriums in Stuttgart nahmen in Baden-Württemberg etwa 25.000 Fahrzeuge an 270 Aktionen teil.
Habeck warnt vor extremistischen Gruppen
Zu Unterstützern gehörten mancherorts auch Personen aus dem extremen Spektrum, die in der Vergangenheit beispielsweise auch bei Demos gegen Corona-Maßnahmen oder sogenannten Montagsspaziergängen aufgefallen waren. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte vor einer Kaperung der Bauernproteste durch solche extremen Kräfte.
"Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt", sagte der Grünen-Politiker in einem auf sozialen Medien verbreiteten Video. Darin forderte er auch eine Debatte über einen Wandel der Landwirtschaft.
Die rechtsextreme Partei "Freie Sachsen" legte eine Demonstration in Dresden auf denselben Tag. Mehrere tausend Menschen nahmen nach Polizeiangaben daran teil. Auf Bannern wurden das Ende der Regierung sowie eine Neuwahl gefordert. Bauernverbände gingen vorab auf Distanz zu solchen Aktionen aus dem rechten Spektrum.
Landwirte planen große Demo in Berlin
Die Proteste sollen in den kommenden Tagen fortgesetzt werden, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie am Montag. Der Bauernverband hat zu einer Aktionswoche aufgerufen, die am kommenden Montag in einer großen Demonstration in Berlin gipfeln soll. Dafür wurden 10.000 Teilnehmer angemeldet, die aller Voraussicht nach auch mit Tausenden Traktoren in die Hauptstadt kommen werden.
Die Proteste richten sich gegen die Pläne der Ampel-Regierung, die Steuervergünstigung für Agrardiesel auslaufen zu lassen. Die Subvention soll schrittweise wegfallen und ab 2026 gar nicht mehr gezahlt werden. Die Bundesregierung brachte diese Pläne auf den Weg. Sie ging dabei aber bereits auf die Landwirte zu. Ursprünglich sollte das Ende der Agrardiesel-Subvention in einem Schritt kommen. Auch die Idee, die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Maschinen zu kippen, ist vom Tisch.
Bauernverband besorgt um Zukunft der Betriebe
Nach Ansicht des Bauernverbands nehmen die Kürzungen beim Agrardiesel der Landwirtschaft die Zukunftsfähigkeit. Die Zugeständnisse genügten nicht. "Das heißt ja am Ende Sterben auf Raten", sagte der Präsident Joachim Rukwied bei der Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten im Kloster Seeon. "Das ist inakzeptabel. Das muss zurückgenommen werden." Die von der Ampel geplanten Subventionskürzungen seien eine Steuererhöhung von einer Milliarde Euro.
Ein Wegfall der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel bedeutet laut Bundesregierung im Schnitt Mehrkosten von etwa 3000 Euro im Jahr pro Betrieb. Die generelle Ertragslage der Landwirtschaft hatte sich nach Branchenangaben zuletzt weiter verbessert. Bundeskanzler Olaf Scholz machte am Montag klar: "Die Bundesregierung steht dazu." Die Subventionen seien schon seit vielen Jahren kritisiert worden, so der SPD-Politiker.
Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stieg der durchschnittliche Gewinn der Betriebe auf das Rekordniveau von 115.400 Euro - ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon sind aber unter anderem noch Investitionen zu bezahlen. Angesichts sinkender Preise etwa bei Getreide und Milch hatte der Bauernverband sich bereits vor Bekanntwerden der Ampel-Pläne pessimistisch zu den weiteren Geschäftsaussichten geäußert.
Zusätzliche Auflagen für die Produktion und eine ungewisse Finanzierung für einen Umbau der Tierhaltung sorgen seit Jahren für Frust unter Landwirten. Um für mehr Wertschätzung zu demonstrieren, hatte es auch Ende 2019 bundesweit Bauernproteste gegeben.
Tausende Lkw-Fahrer bei Protesten dabei
Der Ärger ist auch in der Logistikbranche offenbar groß: Bei den Protesten waren nach Angaben des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) einige Tausend Lkw-Fahrer dabei. Der BGL schätzt die Zusatzkosten durch den CO2-Aufschlag auf die Lkw-Maut zum 1. Dezember 2023 auf etwa 3,75 Milliarden Euro im laufenden Jahr. Hinzu kämen geschätzt 1,44 Milliarden Euro durch die Erhöhung der CO2-Abgabe zum Jahreswechsel von 30 auf 45 Euro je Tonne Kohlendioxid, die sich beim Tanken bemerkbar macht.
Unterstützung erhalten die Landwirte von mehreren Ministerpräsidenten. Niedersachsens Landeschef Stephan Weil von der SPD fordert die Bundesregierung auf, die Kürzungen zurückzunehmen. Die zusätzlichen Belastungen beim Diesel seien "keine Peanuts", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU. "Es ist eine Menge Geld, das da in Rede steht, und deswegen kann ich das nachvollziehen, dass dort protestiert wird." Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU wirft der Ampel-Koalition mangelnde Bereitschaft zum Dialog vor.
Bundesagrarminister Cem Özdemir äußert ebenfalls Verständnis für die Bauernproteste, wirbt aber auch um Akzeptanz für die bereits abgeschwächten Pläne zur Streichung von Subventionen. "Dass viele Landwirtinnen und Landwirte immer noch sagen, das reicht ihnen nicht, kann ich nachvollziehen. Das ist ihr gutes Recht", sagte der Grünen-Politiker in Berlin. Andererseits sei es so, dass man angesichts der Probleme bei der Haushaltssanierung schwierige Kompromisse finden müsse.
Özdemir verweist darauf, dass die Pläne auch nach Warnungen von seiner Seite korrigiert worden seien. Es sei gelungen, die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung voll zurückzunehmen. Agrardiesel-Vergünstigungen sollten zumindest in drei Schritten und nicht sofort zurückgenommen werden. Der Minister spricht sich dafür aus, nun auch Alternativen wie Biodiesel zu prüfen und die Position der Bauern zu verbessern. Er denke etwa daran, wie man die Marktmacht der Landwirtschaft stärken könne. Özdemir warb auch erneut für eine dauerhaft gesicherte Finanzierung für einen Umbau der Tierhaltung zu höheren Standards.
Ex-Ministerin Künast: "Gespräch mit Branche suchen"
Auch Bundestagsabgeordnete von Grünen und FDP fordern Veränderungen in der Subventionspolitik. Die Landwirtschaft sei seit Jahrzehnten in der Krise, sagte die frühere Landwirtschaftsministerin Renate Künast von den Grünen den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Weil sie darüber hinaus ein wichtiger Sektor im Klima- und Umweltschutz ist, muss sich etwas grundlegend verändern." Nötig sei dafür aber ein "Transformationspfad und keine vollendeten Tatsachen ohne Alternativen". Künast plädiert dafür, "die Subvention stufenweise abzubauen und das Gespräch mit der Branche zu suchen".
Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Carina Konrad sagte, sie halte den Frust über die Agrarpolitik der vergangenen Jahre für "absolut nachvollziehbar". Es sei "ein billiger Kuhhandel" praktiziert worden: "Zusätzliche Auflagen für Landwirte wurden gegen mehr finanzielle Unterstützung getauscht", sagte Konrad. Es sei nun an der Zeit, mit diesen Praktiken aufzuräumen. "Unsere Landwirtschaftspolitik muss sich wieder konsequent an sachlichen Notwendigkeiten und langfristigen Zielen orientieren, um einen echten, positiven Wandel herbeizuführen", sagte Konrad.
Die Unions-Fraktion im Bundestag lehnt eine Debatte um Reformen bei den Finanzhilfen für die Landwirtschaft hingegen ab. Die Subventionen seien zeitgemäß, weil es sich um Ausgleichszahlungen für öffentliche Güter wie Versorgungssicherung und Landschaftspflege handele, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzenden Steffen Bilger den Funke-Zeitungen. "Sie entsprechen der besonderen Rolle der Landwirtschaft, die eine verlässliche Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen, gesunden und bezahlbaren Lebensmitteln aus unseren heimischen Regionen sicherstellt."
Quelle: ntv.de, joh/dpa/AFP