
Karl Lauterbach versuchte, Sahra Wagenknechts Bedenken auszuräumen.
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
Die Corona-Lage in Deutschland spitzt sich wieder zu. Immer mehr Menschen stecken sich an, auch bereits geimpfte. Gleichzeitig herrscht bei manchen immer noch Angst vor Impfnebenwirkungen. Zum Beispiel bei Sahra Wagenknecht. Sie gehörte am Sonntagabend zu den Gästen von Anne Will in der ARD.
Eine Aussage des Fußballspielers Joshua Kimmich hat die Impfdiskussion angeheizt. Kimmich hatte in einem Interview gesagt, er habe sich noch nicht impfen lassen. Er habe für sich persönlich noch ein paar Bedenken. Ob diese Bedenken durch die Diskussion am Sonntagabend bei Anne Will ausgeräumt werden konnten, ist fraglich. Drei der vier Gäste gaben sich jedenfalls redlich Mühe. Und dann war da noch Sahra Wagenknecht. Die Linken-Politikerin hat sich noch nicht impfen lassen. Warum, ist nicht ganz klar. In der ZDF-Talkshow Markus Lanz hatte sie vor einigen Wochen ihre Entscheidung mit gesundheitlichen Problemen begründet. Davon war bei Anne Will keine Rede mehr.
"Wer sich impfen lässt, der schützt vor allen Dingen sich selbst", ist Wagenknecht überzeugt. Man dürfe das Impfen nicht zu einem Akt der Solidarität mit anderen aufblasen. "Das ist es nicht." Hier widerspricht der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach. Er sagt später in der Sendung: "Das ist natürlich auch eine gesellschaftliche Entscheidung. Sie schützen nicht nur sich, Sie schützen auch andere." Möglicherweise denkt er dabei auch an Kinder, die noch nicht zwölf Jahre alt sind.
Die Aussage von Experten, die neuartigen Impfstoffe hätten keine Nebenwirkungen, bezweifelt Wagenknecht. Schließlich haften deren Hersteller nicht für Spätfolgen. Folglich müsse es die auch geben. Doch auch hier ist Lauterbach anderer Meinung. Es sei richtig, dass es beim Impfstoff von Astrazeneca zu Sinusvenenentzündungen gekommen sei - bei einem von 25.000 Patienten. Die neuen Impfstoffe seien jedoch mittlerweile eine halbe Milliarde mal verimpft worden, sagt Lauterbach. "Hätte es da Nebenwirkungen gegeben, dann hätten wir das gemerkt." Die Tatsache, dass die Hersteller bei Nebenwirkungen nicht haften, erklärt Lauterbach so: "Das sind Räuberpistolen. Wenn wir eine Impfung vor einer Impfpflicht empfehlen, haftet der Staat immer." Stimmt. Das steht so im Bundesversorgungsgesetz.
"Risiko bei Totimpfstoff größer"
"Ich würde mich eher impfen lassen, wenn es einen Totimpfstoff auf dem Markt gäbe", sagt Wagenknecht - und Talkgast Lauterbach räuspert sich sehr vernehmlich. Das Risiko von Nebenwirkungen sei durch einen solchen Impfstoff viel größer, weil der vor seiner Einführung nur 30.000 Mal getestet werde - im Gegensatz zu 500 Millionen Menschen, die die neuen Impfstoffe bereits erhalten hätten, erklärt der Gesundheitsexperte.
Schließlich entkräftet Lauterbach noch die Annahme Wagenknechts, wer sich impfen lässt, trage immer noch eine hohe Viruslast. Das sei zwar richtig, gibt er zu, doch die Viren könnten sich nicht mehr so sehr vermehren. Darum seien sie weniger gefährlich. In den ersten sechs Monaten nach der zweiten Impfung stecke sich ein doppelt geimpfter Mensch deutlich seltener an als andere.
Das sieht auch Christina Berndt von der "Süddeutschen Zeitung" so. Die Wissenschaftsjournalistin weist darauf hin, dass geimpfte Menschen bei den aktuell steigenden Infektionszahlen wohl doch eine Rolle spielten, aber eine sehr viel geringere als ungeimpfte. "Nur weil wir noch sehr viele Ungeimpfte haben, haben wir noch so große Probleme." Nun sei es wichtig, dass sich auch geimpfte Menschen öfter testen lassen.
"Krankenhäuser nicht kaputtsparen"
FDP-Gesundheitsexperte Marco Buschmann schließlich weist die Aussagen Wagenknechts ebenfalls zurück und warnt gleichzeitig vor einer Überlastung des Gesundheitssystems, wenn immer mehr infizierte Patienten auf den Intensivstationen lägen. Da ist er bei Wagenknecht allerdings an die Falsche geraten.
Denn Wagenknecht ist sich sicher: Die Überlastung des Gesundheitssystem sei hausgemacht. "Wir bauen eklatant Intensivbetten ab", sagt sie. Und sie hat Recht: in den letzten Monaten sind zwischen 4500 und 5000 Intensivbetten "geschlossen" worden, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt. "Wir sollten darüber reden, was wir tun können, um ein Gesundheitssystem zu haben, damit man die normalen Erkrankungen einer 80-Millionen-Bevölkerung behandeln kann. Dazu zählt nun auch Corona", sagt Wagenknecht. Und weiter: "Es ist doch ein Skandal, dass wir nach anderthalb Jahren Corona weniger Krankenhäuser, weniger Intensivbetten und weniger Pflegepersonal haben."
Buschmann von der FDP erklärt die Stilllegung von Intensivbetten mit dem Mangel an Pflegekräften. Er plädiert deswegen dafür, dass mehr qualifizierte Menschen aus dem Ausland nach Deutschland kommen sollten, weil wir sonst den demographischen Wandel nicht auffangen könnten. Im Gegensatz zu Lauterbach spricht er sich gegen die 2G-Regelung aus, die den Menschen eine falsche Sicherheit vermittele. Er setzt dagegen besonders in Pflege- und Seniorenheimen auf die Booster-Impfung, also die Auffrischungsimpfung. "Wir sollten die Impfzentren wieder eröffnen und dann zuerst die Älteren einladen", verlangt er. Und das müsse jetzt sehr schnell gehen.
"Bedenken ernst nehmen"
Auch Wagenknecht hält nicht viel von den 2G-Regeln. "Es ist doch die Frage, wer hier wen ansteckt", sagt sie und weist darauf hin, dass sich immer wieder geimpfte Menschen gegenseitig infizieren.
Diesen Einwand kann die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt nicht verstehen. "Es ist doch logisch, dass es unter geimpften Menschen Infektionen gibt, weil ja 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Wären hundert Prozent geimpft, würde es Infektionen nur noch unter geimpften geben." Wer wie Wagenknecht Gefahren bei Impfungen sieht, weil ihr das alles nicht geheuer sei, habe eine "völlig verschobene Risikowahrnehmung", sagt die Journalistin - und fügt hinzu: "Eine Corona-Infektion ist bei Erwachsenen gefährlicher als eine Impfung."
Die Impfbereitschaft hat abgenommen, das ist unübersehbar. Viele ungeimpfte Menschen in Deutschland haben ähnliche Bedenken wie Wagenknecht. Und alle Gäste der Talkshow sind sich einig: Niemand sollte diese Menschen stigmatisieren, man müsse ihre Bedenken ernst nehmen. Denn die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" ist bald Geschichte. Deswegen müssten nun schnell noch möglichst viele Menschen überzeugt werden, die Bedenken haben.
Quelle: ntv.de