Politik

Westen rangelt um MiG-29-Flieger "Liefert die NATO Kampfjets, ist sie drin im Krieg"

28 Maschinen vom Typ MiG-29 sollen noch im polnischen Bestand sein, der Jagdflieger wurde in der Sowjetunion  entwickelt.

28 Maschinen vom Typ MiG-29 sollen noch im polnischen Bestand sein, der Jagdflieger wurde in der Sowjetunion entwickelt.

(Foto: IMAGO/Björn Trotzki)

Die Ukraine fordert Kampfjets von der NATO. Die Mitgliedsländer stehen unter Druck, auch moralisch. Doch niemand will der Lieferant sein. Nun hat Polen MiG-29-Jets angeboten, sie könnten zum US-Stützpunkt in Ramstein gebracht werden, von dort könnten die USA sie in die Ukraine liefern. Deutschland und die USA lehnen den Vorschlag ab. Was hinter dem Gerangel steckt, erklärt Sicherheitsexperte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ntv.de.

ntv.de: Erst ermuntern die USA die polnische Regierung, die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine zu erwägen. Das war am Sonntag - und Polen lehnte strikt ab. Drei Tage später teilt Polen nun mit, es wäre dazu bereit. Daraufhin sagen die USA, dieser Vorschlag sei nicht haltbar. Klingt es nur wie komplettes Chaos oder ist es das auch?

Stefan Meister: Der Druck auf die NATO-Länder ist enorm hoch derzeit, auch moralisch. Die Ukraine fordert eine Unterstützung ihrer Luftwaffe, sie braucht Kampfjets, das hat Präsident Wolodymyr Selenskyj gerade heute Morgen wieder unterstrichen. Er fordert auch die Einrichtung einer Flugverbotszone über ihrem Staatsgebiet, die dann von der NATO kontrolliert würde. Das ist eine extrem schwierige Entscheidung. Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist die Ankündigung des US-Außenministers Blinken vom Sonntag zu sehen.

Blinken sagte, die USA würden sehr aktiv prüfen, ob sie die polnische Flotte auffüllen könnten, wenn die Polen ihre MiG-29-Jets an die Ukraine liefern.

Der Politologe Stefan Meister leitet das Programm Internationale Ordnung und Demokratie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Für die OSZE war er mehrfach Wahlbeobachter in postsowjetischen Ländern.

Der Politologe Stefan Meister leitet das Programm Internationale Ordnung und Demokratie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Für die OSZE war er mehrfach Wahlbeobachter in postsowjetischen Ländern.

Ich glaube, das ist Blinken am Sonntag tatsächlich rausgerutscht, ohne dass es in der US-Regierung abgestimmt worden war. Biden hat immer deutlich gemacht, dass man sich als NATO nicht in diesen Krieg ziehen lassen möchte, auch um nicht in eine direkte Konfrontation mit der Atommacht Russland zu geraten.

Die polnische Regierung wollte sich auf diesen Vorschlag ja auch keinesfalls einlassen. Woher kommt nun die Kehrtwende?

In Polen wird die Frage, wie man die Ukraine unterstützen kann, sehr heiß diskutiert - sowohl in Expertenzirkeln als auch in der Öffentlichkeit. Dadurch ist der Druck auf die Regierung im Land meiner Einschätzung nach so stark gestiegen, dass Warschau irgendetwas tun musste.

Nun sagt Polen, “unsere Jets stehen bereit”, der Ball liegt wieder bei den USA. Jetzt machen die eine Kehrtwende. Klugerweise?

Ja, klugerweise. Natürlich ist es auch wichtig abzuschrecken. Aber die entscheidende Frage bleibt: Lässt sich die NATO in diesen Krieg hineinziehen oder nicht? Der Kreml hat klar gemacht, dass er jegliche Lieferung von Kampfflugzeugen oder die Bereitstellung von Stützpunkten für ukrainische Jets als Beteiligung am Konflikt versteht. Der polnische Vorschlag - sie bringen die Waffen nach Deutschland, damit sie vom amerikanischen Stützpunkt aus in die Ukraine geliefert werden können, ist ja nichts anderes als der Versuch, das Risiko in der NATO zu vergemeinschaften. Es wäre dann ein NATO-Stützpunkt, von dem die Kampfjets geliefert werden, und die US-Armee würde wohl den Transport übernehmen, alles im NATO-Rahmen. Letztlich aber bleibt entscheidend: Wenn die NATO Kampfjets an die Ukraine liefert, ist sie drin im Krieg.

Es wirkt absurd, wie sich Washington und Warschau über öffentliche Statements zu unterhalten scheinen. Ist das nur Scharade für die Öffentlichkeit und am Telefon hat man sich längst abgesprochen?

Das glaube ich nicht, in einer solchen Lage wird viel über öffentliche Statements verhandelt. Blinken hat mit seiner Aussage Verwirrung gestiftet. Was wir nun sehen, ist bargaining - also Feilscherei zwischen den Staaten. Die Polen können - auch nach innen - zeigen, dass sie bereit sind und etwas tun wollen, gleichzeitig geben sie die schwierige Entscheidung über eine Lieferung von Kampfjets komplett an andere ab. Klug ist es nicht, das so öffentlich zu verhandeln, es zeigt Unstimmigkeiten beziehungsweise Abstimmungsprobleme

Deutschland müsste auch noch mit entscheiden. Wegen des Standorts und weil es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Jets aus ehemaligem DDR-Bestand handeln würde, die man Polen in den 90ern überlassen hat. Bundeskanzler Scholz hat schon abgelehnt, aber wäre eine Zustimmung doch irgendwie denkbar?

Deutschland ist ja inzwischen bereit, Waffen zu liefern und der Ukraine auch finanzielle Mittel für Waffenkäufe zur Verfügung zu stellen. Aber man ist sich auch einig mit Washington, dass eine direkte Involvierung in den Krieg gefährlich für die NATO werden könnte. Aktuell glaube ich nicht, dass man bereit ist, den Deal in dieser Form zu unterstützen.

Wäre das Gegenteil einer öffentlichen Debatte eine Option? Könnte eine Lieferung von Kampfjets womöglich auch unterm Radar von Russland ablaufen?

Keine Chance, egal, wie man es anstellen würde. Es ginge ja auch nicht nur um zwei Flugzeuge, sondern um eine größere Zahl. Das wird die russische Seite auf jeden Fall mitbekommen und entsprechend reagieren.

Aus vielen NATO-Ländern kommen Waffen - allein aus Deutschland 2700 Flugabwehrraketen, weitere Stinger, Panzerfäuste und Haubitzen. All das überschreitet offenbar nicht Putins rote Linie. Aber Jets tun es. Hätten die das Potential, zum game changer zu werden?

Noch fliegt die ukrainische Luftwaffe selbst, wenn auch keine Angriffsflüge sondern Versorgungsflüge. Gleichzeitig haben die ukrainischen Truppen auch Waffen zur Verfügung, um russische Flieger vom Himmel zu holen. Entsprechend besitzt Russland derzeit noch nicht die vollständige Lufthoheit über dem ukrainischen Gebiet. Durch eine größere Zahl an Kampfjets für die Ukraine würde sich dieses Gleichgewicht deutlich verschieben. Dennoch: Die Ukraine wird es schwer haben, diesen Krieg zu gewinnen. Durch zusätzliche Kampfjets würde der Kampf verlängert, Russland würde aber auch noch härter reagieren.

Mit Stefan Meister sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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