Überraschung im zweiten Wahlgang Linke gewinnt Wahl in Frankreich - Le Pens Rechte nur auf Platz drei
07.07.2024, 20:02 Uhr Artikel anhören
Der rechte RN von Marine Le Pen blieb weit hinter den Erwartungen zurück, konnte aber dennoch deutlich zulegen und gewinnt mindestens 120 statt bisher 88 Sitzen.
(Foto: picture alliance / Hans Lucas)
Laut Umfragen schien die Frage nur zu sein, wie groß die Mehrheit der Rechten in der neuen französischen Nationalversammlung ausfallen würde. Doch die ersten Hochrechnungen zeigen eine Überraschung: Das linke Bündnis liegt vorn und meldet Anspruch auf die Regierungsbildung an.
Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt ersten Hochrechnungen zufolge das Linksbündnis überraschend vorn. Das rechtsnationale Rassemblement National könnte demnach nur auf dem dritten Platz hinter dem Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron landen, wie die Sender TF1 und France 2 nach Schließung der Wahllokale berichten. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen dürfte keines der Lager erreichen.
Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire könnte den Zahlen zufolge auf 172 bis 215 der 577 Sitze kommen, Macrons Kräfte auf 150 bis 180 und das Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen und seine Verbündeten auf 120 bis 152.
Das Ergebnis ist eine große Überraschung. Nach der ersten Wahlrunde vor einer Woche sahen Prognosen das RN noch knapp unter der absoluten Mehrheit und damit möglicherweise in der Lage, die nächste Regierung zu stellen. Linke und Macrons Mitte-Kräfte hatten vor der zweiten Wahlrunde eine Zweckallianz gebildet. Um sich in Wahlkreisen, in denen drei Kandidaten in die zweite Runde kamen, nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen und dem RN so lokal zum Sieg zu verhelfen, zogen sich etliche Kandidaten der Linken und der Liberalen zurück. Ihre Wählerschaft riefen sie dazu auf, in jedem Fall gegen das RN zu stimmen.
Linke wollen regieren
Frankreichs gespaltene Linke hatte sich erst vor wenigen Wochen für die Parlamentswahl zum Nouveau Front Populaire zusammengeschlossen. Bei der Europawahl waren die Parteien noch einzeln angetreten. Der Rechtsruck fällt nun geringer aus als erwartet. Deutlich zugelegt hat der RN dennoch: Im aufgelösten Parlament hatte er noch 88 Sitze.
Wie es weitergeht, ist vorerst unklar. Das links-grüne Wahlbündnis meldete bereits Anspruch auf die Regierungsbildung an. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte der frühere Parteichef der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon. Er forderte den Rücktritt von Premierminister Gabriel Attal. Sozialisten-Chef Olivier Faure, der ebenfalls Teil des Linksbündnisses ist, sprach sich ausdrücklich gegen eine mögliche "Koalition" mit dem Regierungslager aus. "Die Neue Volksfront muss diese neue Seite unserer Geschichte in die Hand nehmen", sagte Faure. Faure betonte, dass die Rentenreform, die das Rentenalter auf 64 Jahre angehoben hatte, abgeschafft werden solle. "Es ist an der Zeit, die Superreichen und die Supergewinne zu besteuern", erklärte er.
Macron rief angesichts der ersten Hochrechnungen zur Zurückhaltung bei deren Interpretation aufgerufen. "Die Frage ist, wer regieren und wer eine Mehrheit bilden kann", hieß es am Abend im Elysée. Gemäß der republikanischen Tradition werde Macron die Struktur der neuen Nationalversammlung abwarten, bevor er Entscheidungen treffe, hieß es weiter. Der Präsident sei der Garant der staatlichen Institutionen und werde darauf achten, "dass der Wählerwille respektiert werde".
Ohne klare Mehrheit droht Stillstand
Laut den Hochrechnungen ergeben sich verschiedene Zukunftsszenarien: Die Linken könnten versuchen, für eine Regierungsbildung von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen - entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Großen Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte.
Unklar ist, ob Staatschef Macron in einem solchen Szenario politisch gezwungen wäre, einen Premier aus den Reihen der Linken zu ernennen. Die Nationalversammlung kann die Regierung stürzen. Bei einem Premier aus dem linken Lager müsste Macron die Macht teilen. Der Premier würde wichtiger. Was dies politisch hieße, ist unklar. Das Linksbündnis ist in sich gespalten und vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.
Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand.
Quelle: ntv.de, mbo/rts/dpa