Drohnen, Terror und Täuschung Russische Angriffstaktik stellt Ukraine vor Mammutaufgabe
07.02.2025, 13:15 Uhr Artikel anhören
In der Nacht konnte die Ukraine nach eigenen Angaben 72 Prozent der russischen Drohnen abschießen.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Die ukrainische Luftabwehr hat alle Hände voll zu tun. Nacht für Nacht schickt Russland neue Drohnenschwärme, Marschflugkörper oder Raketen über die Grenze in die Ukraine. Eine Auswertung der Daten aus Kiew zeigt klare Muster - und liefert Hinweise zur russischen Taktik.
Der Luftkrieg in der Ukraine geht auch im dritten Kriegswinter unvermindert weiter: In der Nacht hat das ukrainische Militär eigenen Angaben zufolge 81 von insgesamt 112 russischen Drohnen abgefangen. 31 weitere Drohnen hätten ihr Ziel nicht erreicht, heißt es aus Kiew. Westliche Beobachter werten dies als Hinweis, dass die ukrainische Luftabwehr einen wachsenden Anteil der russischen Luftangriffe durch elektronische Maßnahmen stören oder umlenken kann.
Daten der ukrainischen Luftwaffe machen die Brutalität der russischen Angriffe greifbar: Die nächtlichen russischen Attacken variieren in ihrer Intensität, mit Spitzen an bestimmten Tagen, wie eine Auswertung der täglichen Angriffszahlen zeigt. Der jüngste russische Angriff war vergleichsweise stark.
Immer wieder kommen einzelne russische Drohnen oder Raketen durch. Die Einschläge treffen die Ukraine oft an empfindlicher Stelle, etwa in Umspannwerken, Kraftwerken oder anderen Anlagen der kritischen Infrastruktur. Immer wieder fordern die Angriffe auch Menschenleben: Gegen herabfallende Drohnentrümmer oder die schwer abzuschießenden russischen Marschflugkörper gibt es für die Bevölkerung kaum sicheren Schutz.
Die Schäden sind enorm, die Belastung spürbar: Aufgrund der Ausfälle im Energienetz muss in mehreren Regionen notfallmäßig der Strom abgestellt werden, wie der ukrainischen Energieversorger Ukrenerho mitteilt.
Der bislang größte Angriff seit Jahresbeginn erfolgte den Daten aus Kiew zufolge in der Nacht auf den 1. Februar. In jener Nacht setzten die Russen insgesamt 165 Drohnen, Raketen oder Marschflugkörper ein. Am 20. Januar waren es 141 Drohnen und eine ballistische Rakete. Die Russen nutzen dabei bevorzugt Shahed-Drohnen iranischer Bauart.
Zermürbung und Übersättigung
Das russische Militär setzt bei seinen Angriffen offenkundig auf die Lowtech-Fluggeräte, da diese propellergetriebenen Drohnen kostengünstig und einfach zu bauen sind. Teure Hightech-Waffensysteme wie ballistische Raketen, Marschflugkörper oder Hyperschallgeschosse kommen hingegen deutlich seltener zum Einsatz.
Die Drohnen des Typs Shahed-136 sind 2,5 Meter breit und wiegen rund 200 Kilogramm. Sie können eine bis zu 60 Kilogramm schwere Sprengladung transportieren. Mit einer Geschwindigkeit von etwa 180 Kilometern in der Stunde fliegen sie ihre Ziele sehr viel langsamer an als Raketen.
Die niedrige Geschwindigkeit, die geringe Flughöhe und die Leichtbauweise machen Shaheds empfindlich für Beschuss. Sie lassen sich vom Hubschrauber aus oder auch vom Boden aus relativ leicht abfangen. Die Ukrainer setzen dafür auf mobile Teams, die sich den Drohnen zum Beispiel in der Nacht mit auf Pickups montierten M2-Maschinengewehren aus US-Produktion in den Weg stellen.
Die Russen schicken die iranischen Billig-Drohnen daher in Schwärmen und auf verschlungenen Flugwegen in die Ukraine. Durch die Taktik der Übersättigung erhoffen sich die Planer im Kreml, dass wenigstens einige der unbemannten Fluggeräte ihr Ziel erreichen. Die Ukrainer müssen einen Weg finden, die in Wellen eintreffenden Drohnen effektiv abzuwehren, ohne ihre wertvollen Abwehrraketen aufzubrauchen. Nacht für Nacht sind die Drohnenjäger im Einsatz, die russischen Großangriffe erlauben den Ukrainern keine Pause. Die ständigen und oft stundenlangen Luftalarme zielen offenkundig auch darauf ab, den Widerstandswillen der Bevölkerung zu zermürben.
Bisher hält die Ukraine der russischen Zermürbungsstrategie stand. Die Dauerattacken in der Nacht zeigen bei der ukrainischen Luftabwehr jedoch langsam Wirkung. In Nächten mit russischen Großangriffen geht die Abschussquote deutlich zurück, wie aus den Daten des ukrainischen Militärs hervorgeht. So konnten die Ukrainer am 1. Februar beispielsweise nur rund 34 Prozent der anfliegenden Flugkörper abwehren. In den übrigen Nächten erreicht die Luftabwehr ansonsten oft Abschussquoten zwischen 60 und 70 Prozent.
Angriffe mit Köderdrohnen
Die Taktik der Russen, mit ganzen Drohnenschwärmen oder mit kombinierten Attacken mit Drohnen und Raketen die ukrainische Flugabwehr zu überlasten, geht punktuell offenbar auf. Wie das in Washington ansässige Militärforschungsinsitut ISW zuletzt berichtete, greift das russische Militär seit November 2024 verstärkt auch mit sogenannten Köderdrohnen an. Diese Attrappen sehen aus wie Shahed-Drohnen, tragen aber keine Sprengsätze. Der Nachrichtenplattform Ukrinform zufolge wollen die Russen mit dem Einsatz solcher Köder einen "Korridor" für die Angriffsdrohnen schaffen. Auch die ukrainische Luftwaffe erwähnte die Köderdrohnen in ihrem jüngsten Lagebericht.
Die Daten zum Luftkrieg machen deutlich, vor welcher Herausforderung die Ukrainer stehen, um das Land, seine Infrastruktur und das Leben der Einwohner vor dem nächtlichen Terror zu schützen. Das ukrainische Militär sieht sich im Kampf gegen Russland gezwungen, ständig neue Lösungen zu finden. Der Krieg in der Ukraine entwickelt sich auch auf diesem Feld zu einem brutalen Ringen um die effektivste Militärtechnologie.
Quelle: ntv.de