Krieg im Osten des Kongo M23-Rebellen drohen mit Sturm auf Goma
18.11.2022, 17:28 Uhr
Menschen fliehen vor den befürchteten Kämpfen zwischen der kongolesischen Armee und der Rebellengruppe M23.
(Foto: AP)
Die Millionenstadt Goma im Osten des Kongo steht vor schweren Kämpfen. Eine Rebellengruppe droht mit der Einnahme der Stadt, sagt aber, es gehe ihr eigentlich um eine Integration ihrer Kämpfer in die Regierungsarmee. Die wiederum lehnt Verhandlungen ab. Es droht ein Szenario wie vor zehn Jahren.
Zuerst verkünden sie auf Twitter den "Ansturm auf Goma" - dann schlagen sie los. Die Rebellen der M23, der "Bewegung des 23. März", marschieren wieder auf die strategisch wichtige Millionenstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo zu. Die Soldaten der Regierungsarmee würden bereits aus der Stadt fliehen, behauptet die M23 in ihrer Kurzmeldung. Die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu im Osten Kongos werde "kampflos fallen".
Die Schlacht um die ostkongolesische Handelsmetropole ist zeitlich gut gewählt. Am Sonntag jährt sich der Fall von Goma zum zehnten Mal. Damals, am 20. November 2012, marschierten hunderte M23-Kämpfer die Vulkanberge hinab und nahmen die Stadt an der Grenze zum Nachbarland Ruanda ein, fast ohne einen Schuss abzufeuern. Die Soldaten der Regierungsarmee zogen sich zurück. Sie hatten den Rebellen kaum etwas entgegenzusetzen und wollten zivile Opfer vermeiden. Zehn Tage belagerten die Rebellen Goma, dann stimmte Kongos Regierung Verhandlungen zu und sie zogen wieder ab.
Jetzt wirkt es, als könnte sich das Drama von damals wiederholen. Die Frontlinie zwischen Regierungsarmee und M23 verläuft nur rund 20 Kilometer nördlich der Stadtgrenze und die Rebellen unter der Führung von Tutsi-General Sultani Makenga rücken immer weiter vor. Sie versuchen derzeit, eine wichtige militärische Position zu erobern: einen erloschenen kleinen Vulkankrater mit drei Telefonmasten auf dessen Spitze. Von dieser Anhöhe in der Savanne aus kann man die Millionenstadt bis zum See überblicken - und auch bombardieren. Von hier aus hat die M23 vor zehn Jahren am 21. November 2012 Goma im Handstreich eingenommen. Damals wie heute haben UN-Ermittler Beweise präsentiert, dass Ruandas Armee die M23 militärisch unterstützt.
"Goma zu besetzen ist nicht unser Ziel", sagt die M23
Die Erinnerung an die Besatzung durch die M23-Kämpfer 2012 ist bei den Einwohnern noch immer präsent. Damals herrschte Unsicherheit und Chaos, es kam zu Plünderungen. Als die Kämpfe in den vergangenen Tagen immer näher heranrückten, brach in der Großstadt und den angrenzenden Vertriebenenlagern Panik aus. Über 140.000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, sind in den vergangenen Monaten aus ihren umkämpften Dörfern in den Vulkanbergen nach Goma hinab geflohen, um Schutz zu suchen. In Kanyaruchinya, einem nördlichen Vorort am Fuße des aktiven Vulkans, haben sie sich rund um eine große Schule mit Fußballplatz niedergelassen, sich dort Zelte aus Planen und Eukalyptuszweigen gebaut - eine desaströse Lage mitten in der Regenzeit.
Jetzt müssen sie erneut fliehen. Als das Artilleriefeuer vor einigen Tagen in dem Lager zu hören war, rafften Frauen und Kinder erneut ihre Habseligkeiten zusammen und rannten in Richtung Stadt. Der Militärgouverneur von Nord-Kivu, Constant Ndima, ruft die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren. Der Armeegeneral verwaltet seit der Erklärung des Kriegsrechts im Mai 2021 die Provinz. "Wir versichern Ihnen, dass die loyalen Regierungsstreitkräfte sich sehr gut auf dem Schlachtfeld schlagen", versucht er die Menschen zu beruhigen. Die Armee hat in den vergangenen Monaten allerdings fast sämtliche Schlachten verloren. Auch dies erinnert an 2012, damals hat sie die Stadt so gut wie kampflos aufgegeben. Jetzt ruft der Militärgouverneur die jungen Männer in Goma auf, sich bei der Armee zu melden, "um die Stadt gemeinsam zu verteidigen".
"Goma und weitere Gebiete zu besetzen ist nicht unser Ziel", erklärt M23-Präsident Bertrand Bisimwa den Feldzug am Telefon. Der politische M23-Führer hat sich in der Grenzstadt Bunagana einquartiert. Die Kleinstadt am Schlagbaum nach Uganda, rund 100 Kilometer nördlich von Goma, bietet ihm Schutz vor der Bombardierung durch Kampfhubschrauber. Das eigentliche Ziel seiner Bewegung sei es, mit der Regierung zu verhandeln, erklärt er. Bereits vor zehn Jahren hatte es Verhandlungen gegeben. Damals verlangte die M23, dass die Armee reformiert wird und ihre Kämpfer darin integriert werden. Sie wollten als politische Partei anerkannt werden und dafür sorgen, dass ihre Familien, die seit Jahrzehnten in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern leben, nach Hause zurückkehren können.

Im Goma trainiert die kongolesische Armee Rekruten, "um die Stadt gemeinsam zu verteidigen".
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Hintergrund ist der Konflikt zwischen Tutsi und Hutu
Die meisten Tutsi sind nach 1994 aus dem Ostkongo geflohen, kurz nachdem in Ruanda der Völkermord an der Tutsi-Minderheit zu Ende gegangen war und die ruandischen Hutu-Täter in den Ostkongo einmarschiert waren, um auch dort die Tutsi-Minderheit zu ermorden. Damals flohen fast alle Tutsi-Familien aus dem Kongo in die Nachbarländer. Die meisten M23-Kämpfer sind in den Flüchtlingslagern in Uganda und Ruanda aufgewachsen und wurden dort rekrutiert, um ihre Heimat "zu befreien", wie sie es nennen.
"Unsere Forderungen wurden damals nicht erfüllt", klagt Bisimwa. Deswegen würde die M23 immer noch kämpfen. "Bis heute verlangen wir, dass unsere Verwandten zurückkommen können." Doch unter der derzeitigen Regierung seien die Hassreden und Pogromstimmung gegen die Tutsi-Minderheit sogar noch schlimmer geworden, so Bisimwa. Erst vor wenigen Tagen verhaftete Kongos Polizei den traditionellen Tutsi-König in Goma, Läden von Tutsi wurden geplündert, Kuhherden der Tutsi brutal abgeschlachtet.
Die Regierung des Kongo lehnt Verhandlungen ab
Unterdessen ist Kenias Ex-Präsident Uhuru Kenyatta in Goma eingetroffen. Er ist von den Staatschefs der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC), deren Mitglied Kongo seit April ist, zum Vermittler ernannt worden. Zu Beginn der Woche hat er in Kongos Hauptstadt Kinshasa Präsident Felix Tshisekedi getroffen. Sie hatten einiges zu besprechen: Diese Woche sollte in Kenias Hauptstadt eine große Gesprächsrunde stattfinden. Zahlreiche kongolesische Milizen und Rebellengruppen sollten unter Mediation von Kenyatta mit ihrer Regierung verhandeln, auch die M23. Kongos Regierung weigert sich jedoch strikt, sich mit der M23 zusammenzusetzen. Sie nennt die Tutsi-Bewegung "Terroristen", die es militärisch zu zerschlagen gilt. "Bis zum Abzug aus den besetzten Orten wird es keine Verhandlungen mit den Terroristen geben", versichert Kongos Regierungssprecher Patrick Muyaya erneut. Die Gespräche wurden auf nächste Woche verschoben.
Stattdessen hat Kongos Regierungsarmee jetzt mehr Kampfhubschrauber und Panzer an die Front verlegt, um die M23 zurückzudrängen. Auch die UN-Blauhelme und kenianische Truppen haben zugesagt, Goma mit verteidigen zu wollen. "Lasst uns den Krieg beenden und dann reden wir", fordert Kenyatta die Konfliktparteien auf. "Wir können keinen Dialog führen und danach erst die Feindseligkeiten einstellen."
Kenias Regierung hat Spezialeinheiten geschickt. Sie sind Teil des gemeinsamen Militärplans der EAC-Mitgliedsstaaten, den Ostkongo zu befrieden. Die kenianischen Soldaten sollen eine Pufferzone entlang der Frontlinie zwischen Kongos Armee und der M23 einrichten, um einen Waffenstillstand zu garantieren, während die Kriegsparteien in Kenias Hauptstadt verhandeln. Die Gespräche, die bereits im April ergebnislos zu Ende gingen, sollen am Montag losgehen, M23-Präsident Bisimwa hofft, daran teilnehmen zu können. Kongos Regierungsarmee hofft allerdings, bis dahin die M23 militärisch besiegt zu haben.
Quelle: ntv.de