
Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich bleiben Emmanuel Macron noch zwei Jahre.
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Erst die Gelbwesten-Proteste, dann das Corona-Virus und jetzt eine drohende Wirtschaftskrise - für den französischen Präsidenten kein gutes Jahr. Mit seinem neuen Premier Castex will Macron das Ruder nochmal herumwerfen. Doch die Wahl seiner neuen Minister gefällt den Franzosen so gar nicht.
Nahbarer und weniger prunkvoll als gewohnt tritt Emmanuel Macron am Dienstag, dem französischen Nationalfeiertag, vor die Kameras. Es ist der Abend nach einer corona-bedingt deutlich abgespeckteren Militärparade. Im Mittelpunkt stehen dieses Jahr Frankreichs neue Helden: Pflegekräfte, Lehrerinnen und all diejenigen Franzosen, die während der Krise besonderen Einsatz gezeigt haben. Nun stellt sich der 42-Jährige in einem TV-Interview den Fragen zweier Journalisten. Dieses Mal verzichtet er auf die gewohnte aufgezeichnete Ansprache aus dem Pariser Elysée-Palast.
Macron belässt es nicht bei einer Würdigung der Corona-Helden, sondern wendet sich mit ernsten Worten an die Franzosen. Die Corona-Krise habe Frankreich einiges abverlangt und "wir werden einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit erleben", erklärt der Präsident. Eine Million Arbeitnehmer könnten davon betroffen sein. Keine guten Nachrichten also für die Franzosen. Abfedern soll das ein 100 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket. Hinzu kommen 460 Milliarden Euro, die schon zu Beginn der Krise zur Unterstützung der Wirtschaft zugesagt wurden. "Wir haben schwere Monate vor uns, aber ich werde aber alles dafür tun, um die Franzosen zu schützen", beteuert er via Twitter.
Frankreich habe "im Grunde Angst"
Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in zwei Jahren hat sich der Präsident der Republik, wie ihn die Franzosen nennen, einiges vorgenommen. Sein nächstes Ziel neben der Bekämpfung der Corona-Pandemie: Das verarbeitende Gewerbe wieder ins eigene Land holen. "Frankreich kann dank der Ökologie wieder eine große Industrienation werden. Hören wir auf damit, Material vom anderen Ende der Welt zu importieren und fangen wir an, wieder in unseren französischen Regionen zu produzieren".
Um Frankreich aus der Krise zu führen, will er "neue Wege" für seinen politischen Kurs einschlagen. Sein Plan: Ökologie in die Verfassung aufzunehmen. Ein Referendum soll das Thema schnellstmöglich anstoßen. Besonders in den Blick nehmen will Macron die französische Jugend. Die Corona-Krise könnte es Berufseinsteigern nach der Schule und dem Studium besonders schwer machen. Viele Unternehmen in Frankreich kündigten schon an, Jobs abbauen zu müssen. Um die Arbeitsplätze langfristig zu erhalten, will der 42-Jährige auch die Teilzeitarbeit in Frankreich ausbauen. An seiner umstrittenen Rentenform will er trotzdem weiter festhalten, aber in der Corona-Krise andere Schwerpunkte setzen.
Macron hofft so auf ein Anspringen der Wirtschaft und ist um große Worte nicht verlegen: "Ich bin überzeugt, dass wir innerhalb von zehn Jahren ein anderes Land aufbauen können." Sein Land sei im Moment allerdings in einer Vertrauenskrise, das sei ihm bewusst. Macron räumt Fehler ein. In der Corona-Krise sei nicht alles gut gelaufen. Doch schon vor der Pandemie hatte Macron an Zuspruch verloren: Weder bekam er die Gelbwesten-Proteste in den Griff noch konnte er sein Prestigeprojekt, die Rentenreform, durchsetzen. Im Interview konstatiert der Präsident: Frankreich habe "im Grunde Angst".
Macron fehlt der Rückhalt
Auch der Rückhalt aus den eigenen Reihen sieht für den 42-Jährigen aktuell dürftig aus. Im Mai wenden gleich sieben Abgeordnete seiner selbst gegründeten Partei "La République en Marche"(LREM) den Rücken zu und schließen sich der neu gegründeten Gruppierung "Ecologie Décomatrie Solidarité" (Ökologie, Demokratie, Solidarität) an. Die neue Fraktion zählt damit 17 Parlamentarier und positioniert sich unabhängig von der Regierung und der Opposition. Damit verliert die LREM ihre Mehrheit im Parlament. Macrons Partei kommt nur noch auf 288 Sitze, für eine Mehrheit braucht es 289 Stimmen.
Die Abgeordneten der neuen Fraktion kritisieren vor allem Macrons wirtschaftsnahe Politik, ihnen fehle der Einsatz für Umwelt und Soziales. Es brauche mehr Geld für das Gesundheitssystem, das zeige besonders die Corona-Krise.
Die Abgeordneten gehen ihm abhanden und auch die Wähler wenden sich ab. Sie verpassten LREM einen Denkzettel bei den Kommunalwahlen im letzten Monat. Nur rund 40 Prozent der 67 Millionen Franzosen wählten überhaupt. Macrons Partei steckte herbe Verluste ein.
Zum ersten Mal gewannen die Grünen die Mehrheit der Stimmen in Bordeaux, Marseille und in anderen großen Städten Frankreichs. Auch wenn die Ergebnisse der Kommunalwahlen nur bedingt Einfluss nehmen auf die zentralisierte Regierung, ist klar: Macron bekommt die anrollende grüne Welle langsam zu spüren und muss reagieren.
"Die Leute haben angefangen, diesen Präsidenten zu hassen"
Für Macron ist es wohl das schwerste Jahr seiner bisher dreijährigen Amtszeit. "Die Leute haben angefangen, diesen Präsidenten zu hassen, der alles so reformieren will, dass nur die Besten Erfolg haben können", sagt Macron am Abend des 14. Juli im französischen Fernsehen. Das sei nicht sein Plan gewesen.
Das französische Staatsoberhaupt versucht das Ruder noch einmal herumzureißen. Seine neue Agenda sollen neue Köpfe umsetzen: Statt Édouard Philippe sitzt nun Jean Castex auf dem Platz des französischen Premierministers, auf den Innenminister Christophe Castaner folgt Gérald Darmanin und der Strafverteidiger Éric Dupond-Moretti löst Nicole Belloubet im Justizministerium ab. Auch die Ressorts Umwelt, Kultur, Arbeit und Landwirtschaft bekommen neue Minister. Mit dem Kabinettsumbau fällt seine Wahl auf deutlich konservativere Politiker als zuvor. Klar ist auch, Macron hat sein Wahlversprechen, eine Frau als Premier einzusetzen, nicht eingehalten.
Mit der Entscheidung, seine Regierung umzubauen, macht sich der Präsident allerdings alles andere als beliebt. Der von Macron abgesetzte Édouard Philippe schneidet in Beliebtheitsumfragen besser ab als der Präsident selbst. In der Pandemie konnte er als besonnener Krisenmanager Sympathiepunkte gewinnen, Macron lässt ihn trotzdem fallen. Viele Franzosen empören sich über die Neubesetzung der Ministerämter. Vor allem die Ernennung von Innen- und Justizminister lösen Proteste aus. "Darmanin ist ein Vergewaltiger, Komplize der Polizei" und "Darmanian dank ab!" steht auf den Plakaten von wütendenden Frauen und Feministinnen, die seit Wochen in ganz Frankreich gegen Gérald Darmanins Ernennung auf die Straße gehen.
Feministinnen fordern den Rücktritt der Minister
Sie fordern den Rücktritt des neu berufenen Innenministers. Gegen den 37-jährigen Darmanin laufen Ermittlungen wegen mutmaßlicher Vergewaltigung, er soll eine Prostituierte zum Sex gezwungen haben und auch eine weitere Frau reicht Klage wegen sexueller Nötigung gegen ihn ein – der Politiker bestreitet die Vorwürfe.
Frankreichs Präsident verteidigt Darmanin, so auch am französischen Nationalfeiertag. "Es gibt die Unschuldsvermutung, es hat mehrere Untersuchungen gegeben und jedes Mal wurden sie geschlossen", betont er am 14. Juli im Fernsehinterview. Dennoch sieht sich Macron selbst als Feminist, der sich während seiner Amtszeit auch weiterhin für die Rechte und Forderungen von Frauen einsetze.
Auch die Ernennung des neuen französischen Justizministers Éric Dupond-Moretti bringen Macron erneut Kritik ein. Der Anwalt, der in Frankreich durch polarisierende TV-Auftritte bekannt ist, ist auch ein bekennender Gegner der Me Too-Debatte. Feministische Verbände wie "Osez le féminisme" sehen in der Dupond-Ernennung eine "Ohrfeige für alle, die gegen sexuelle Gewalt kämpfen" und haben auf Twitter eine Petition ins Leben gerufen, die den Rücktritt der beiden Minister fordert.
Auch die Richtergewerkschaften sind über die Berufung des Anwalts nicht glücklich. Céline Parisot, Präsidentin der französischen Richtervereinigung, spricht, wie es die Zeitung "Le Monde" zitiert, über die Ernennung des Strafverteidigers Dupond-Moretti "von einer Kriegserklärung an die Justiz". Der 59-jährige Jurist allerdings beteuert, ein Minister des "Dialogs" sein zu wollen, der "gegen niemanden Krieg führe" und "endlich die Staatsanwaltschaft reformieren wolle", um sich für eine unabhängige Justiz einzusetzen.
Zwei Jahre bleiben Macron nun bis zur nächsten Präsidentschaftswahl, um sich noch zu beweisen. Der Präsident hat viel versprochen, aber wenig eingehalten - so sehen viele Franzosen die Bilanz seiner bisherigen Amtszeit. Der angepeilte Neustart läuft für Macron schleppend an. Die Personalien überschatten den Versuch, mit einer neuen Agenda aus dem Umfragetief zu kommen. Von seinem einstigen Image als Hoffnungsträger sehr vieler Franzosen bleibt wenig übrig. Dafür aber ein Präsident, der sich mit seinen Entscheidungen zunehmend angreifbar macht.
Quelle: ntv.de