Ukraine-Talk bei Maischberger Major: "Bislang will Russland gar nicht verhandeln"
15.11.2023, 04:30 Uhr Artikel anhören
Von einem Scheitern der Sommeroffensive will Major nicht sprechen.
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Durch die Kämpfe im Nahen Osten ist der Krieg vor unserer Haustür in den Hintergrund geraten. Militärexpertin Claudia Major war vor wenigen Wochen in Kiew. Bei Maischberger berichtet sie über ihre Eindrücke aus dem Land, das sich auf den zweiten Kriegswinter vorbereitet.
Es wird Winter in der Ukraine, der zweite Kriegswinter. Militärexpertin Claudia Major hat vor wenigen Wochen die ukrainische Hauptstadt Kiew besucht. Bei Sandra Maischberger in der ARD schildert sie eine Stadt, deren Menschen in einer Mischung aus Verteidigungs- und Überlebenswillen und einer enormen Anspannung, Anstrengung und Müdigkeit lebten. Auf den ersten Blick habe sich ihr ein Eindruck von Normalität geboten, doch dann hätten die Sirenen geheult, es habe Hinweise auf die Bunker gegeben. "Aber im ersten Augenblick denkt man, das ist eigentlich wie sonst, und das ist eine extrem bedrückende Stimmung", erklärt Claudia Major. Den Menschen in der Ukraine sei klar, dass sie auf westliche Unterstützung angewiesen seien, um den Krieg zu gewinnen. Aber die stehe in den Sternen.
Sommeroffensive teilweise gescheitert
Von einem völligen Scheitern der Frühjahrs- und Sommeroffensive der ukrainischen Armee mag sie nicht sprechen. "Ich finde das Wort gescheitert sehr hart", sagt Major bei Maischberger. Die Ukraine habe immerhin kleine Erfolge errungen. "Es gibt vor allen Dingen die Erfolge im Hinblick auf die Krim, nämlich dass es die Ukraine geschafft hat, so einen Druck auf die Krim aufzubauen, mit der Bombardierung des Hauptquartiers der Schwarzmeerflotte, der Zerstörung von Schiffen und Werften in dem Maße, dass Russland das Schwarze Meer nicht mehr so kontrollieren kann, und dass zum Beispiel die Getreideschiffe wieder ablegen konnten. Das ist kein kleiner Erfolg." Der große Durchbruch, auf den die Ukrainer gehofft hatten, sei jedoch nicht gelungen. "Und deswegen kann man sagen, dass das übergeordnete Ziel nicht erreicht wurde."
Eine Teilschuld daran gibt Major dem Westen. "Man kann nicht sagen, man kann die Ukraine mit einigen Waffen ausstatten, aber nicht alles geben, und dann sagen, ihr müsst aber kämpfen wie NATO-Soldaten. Das funktioniert halt nicht."
Die Ukraine schütze die kritische Infrastruktur, und genau darauf zielten die russischen Angriffe, sagt Major. "Sie zielen darauf, die ukrainische Bevölkerung zu zermürben, dass die irgendwann akzeptiert, dass es irgendwelche Kapitulationsbemühungen geben muss." Russland ziele darauf, der Ukraine die Wirtschaftsgrundlage zu entziehen. "Man muss es so brutal sagen: das ist auch eine Entvölkerungsstrategie", so Major. "Wenn man der Zivilbevölkerung die Lebensgrundlage mit Wasser, Strom und Heizung entzieht, dann können sie da nicht bleiben. Das hat Russland versucht mit allen Mitteln, wirklich die zivile Bevölkerung und die Ukraine in den Ruin zu bomben."
Der Westen habe mehr für die Ukraine getan als sie erwartet habe, sagt Claudia Major. Damit sei jedoch nur das Kräfteverhältnis zwischen Russland und der Ukraine ein wenig ausgeglichen worden. Die Ukraine sei jedoch nicht in die Lage versetzt worden, die Russen aus ihrem Land zu vertreiben. Viele Lieferungen seien zu spät gekommen, die Industrie habe Produktionsaufträge zu spät erhalten, "Es sieht momentan so aus, dass beispielsweise die Produktion von Munition erst 2025 auf russischem Niveau sein wird", sagt Major. Das nächste Jahr werde für die Ukraine vermutlich sehr hart, weil sie all das, was sie eigentlich brauche, nicht bekommen würden, vermutet die Expertin.
Der ukrainische Oberbefehlshaber habe nun drei Dinge gefordert, damit die Ukraine eine Chance auf einen Sieg hätte: Mehr Lieferungen aus dem Westen, ein besseres Zusammenspiel der Waffensysteme sowie neue Technologien und kreative Ideen. So müsse die Ukraine bei der Drohnenabwehr besser werden. Die Chance, dass der Westen die Ukraine in diesem Bereich unterstützen wird, hält Major momentan für eher gering. Dabei gehe es nicht nur um das Überleben der Ukraine, sondern auch um die Sicherheit Europas, "weil ein Russland, das siegreich wäre, das die ganze Ukraine besetzt hält, für die Westeuropäer ein riesengroßes Risiko wäre."
Ein Frieden in der Ukraine scheint in sehr weiter Ferne zu liegen. Russland wolle die Ukraine zwingen, die besetzten Gebiete als russisch anzuerkennen. Würde die Ukraine in möglichen Friedensverhandlungen das tun, würde das für das Land einen Diktatfrieden bedeuten, sagt Major. Doch dann fügt sie hinzu: "Bislang will Russland gar nicht verhandeln."
Quelle: ntv.de