Wendepunkt im Krieg? Ukraine: "Nächstes Jahr wird für uns entscheidend"
14.11.2023, 20:08 Uhr Artikel anhören
Ukrainische Soldaten nahe der Grenze zu Belarus bei einer Raucherpause.
(Foto: REUTERS)
Seit mehr als 20 Monaten wehrt sich die Ukraine gegen die russische Großinvasion. Die Regierung in Kiew hofft im kommenden Jahr auf einen Wendepunkt, warnt aber zugleich vor einem schweren Winter. Unterdessen intensiviert Moskau offenbar seine Angriffe im Raum Awdijiwka.
Der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros hat bei einem USA-Besuch die Hoffnung auf einen Wendepunkt im Abwehrkampf seines Landes gegen Russlands Invasion geäußert. "Das nächste Jahr wird für uns entscheidend", sagte Andrij Jermak einer Mitteilung zufolge in einer Rede im Hudson Institute in Washington. Die Luftüberlegenheit Russlands müsse gebrochen werden. Dafür benötige Kiew mehr Flugabwehr von den Verbündeten.
"Ich sage Ihnen die Wahrheit: Dieser Winter wird für uns auch sehr schwer", sagte er mit Blick auf russische Luftangriffe auf das ukrainische Energienetz im vergangenen Winter. Kiew hatte mehrfach Befürchtungen geäußert, dass neue Angriffe Moskaus vor allem auf Umspannwerke auch in dieser Wintersaison längere Stromausfälle verursachen könnten.
Der erhoffte Schutzschirm durch eine dichtere Flugabwehr solle auch dazu dienen, den Betrieb einen der ukrainischen Flughäfen wiederzueröffnen, sagte Jermak. Seit dem russischen Einmarsch vor beinahe 21 Monaten ist der ukrainische Luftraum für den zivilen Luftverkehr gesperrt. Der Flughafen in Lwiw (früher Lemberg) im Westen der Ukraine liegt dabei nur etwas mehr als 50 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt.
Kiew lehnt Kompromissfrieden ab
In seiner Rede schloss Jermak erneut einen Kompromissfrieden aus. "In unserem Falle wäre das Kriegsende über einen Kompromiss nichts anderes als eine Pause", warnte er. Kiew werde nicht noch einmal den Fehler von Minsk wiederholen, sagte Jermak unter Verweis auf den nicht umgesetzten Friedensplan von 2014 und 2015. Dieser war mit deutsch-französischer Vermittlung in der belarussischen Hauptstadt Minsk vereinbart worden.
Die Ukraine befürchtet, dass Russland eine Waffenruhe zum Wiederaufrüsten nutzen könnte. Voraussetzung für einen "gerechten" Frieden wäre der vollständige Abzug russischer Truppen von ukrainischem Staatsgebiet, wie Jermak betonte. Moskaus Armee kontrolliert trotz erfolgreicher ukrainischer Gegenschläge einschließlich der bereits 2014 völkerrechtswidrig annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim weiterhin beinahe ein Fünftel des Nachbarlandes.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unternehmen die russischen Streitkräfte derzeit vermehrt Angriffe im Osten des Landes, insbesondere rund um die Industriestadt Awdijiwka. "Die Armee hat eine Zunahme der feindlichen Angriffe gemeldet", erklärte Selenskyj auf Telegram. Dies betreffe neben der Region um Awdijiwka auch die Gebiete um Kupjansk und Donezk. Die ukrainischen Soldaten hielten aber "ihre Stellungen" und führten selbst "Offensiven", hob der ukrainische Präsident hervor.
Nahe Awdijiwka verlief bereits seit 2014 die Frontlinie zu den von Moskau gelenkten Separatisten. Aktuell ist die stark zerstörte Stadt bereits von drei Seiten von russischen Truppen umgeben. Die russisch besetzte Gebietshauptstadt Donezk liegt nur wenige Kilometer südlich von Awdijiwka entfernt.
Quelle: ntv.de, jpe/dpa/AFP