Bereit, mehr Steuern zu zahlen Mehrheit wünscht sich mehr Engagement gegen Kinderarmut
06.07.2023, 18:18 Uhr Artikel anhören
Familienministerin Lisa Paus stellt zusammen mit Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, den jährlichen "Kinderreport" vor.
(Foto: picture alliance/dpa)
Kinderarmut ist ein verschlepptes Thema. Das geht aus dem neuen Kinderreport hervor. Demnach findet eine Mehrheit, dass in Deutschland zu wenig unternommen wird, damit Kinder nicht in Armut aufwachsen. Die Erhebung dürfte Familienministerin Paus im Kampf um die Kindergrundsicherung helfen.
Im Streit über die Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung sieht sich Bundesfamilienministerin Lisa Paus durch eine Umfrage bestätigt. 72 Prozent der Erwachsenen und 61 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland finden demnach, in Deutschland werde "eher wenig" oder "sehr wenig" gegen Kinderarmut getan. Die Mehrheit der Erwachsenen wäre demnach sogar bereit, mehr Steuern zu zahlen, um Kinderarmut wirkungsvoll zu bekämpfen.
Die Ergebnisse sind Teil des "Kinderreports 2023" des Deutschen Kinderhilfswerks, der in Berlin vorgelegt wurde. Dieser werfe ein Schlaglicht auf eines der drückendsten Probleme der Gesellschaft, sagte Paus. Jedes fünfte Kind wachse in Deutschland in Armut auf. Als arm oder armutsgefährdet gelten in Deutschland nach gängiger Definition Menschen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen.
Das Kinderhilfswerk bekräftigte vor dem Hintergrund der Umfrageergebnisse seine mit anderen Verbänden seit Jahren erhobene Forderung nach Einführung einer Kindergrundsicherung, über die in der Ampel-Koalition seit Monaten kontrovers diskutiert wird. Es ergebe sich ein klarer Handlungsauftrag an die Politik, endlich wirksame und umfassende Maßnahmen gegen die Kinderarmut in Deutschland zu ergreifen.
Paus sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Kinderhilfswerk in Berlin, dessen Kinderreport gebe Rückenwind für die Kindergrundsicherung. Dass sie kommen soll, hatte die Ampel zwar schon in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Mit Finanzminister Christian Lindner, der auf die Bremse bei den Staatsausgaben tritt, ist sich die Familienministerin aber uneins über die Finanzierung.
Deutlich weniger als gefordert
Für das Jahr 2025, in dem die Kindergrundsicherung starten soll, sind momentan nur zwei Milliarden Euro vorgemerkt. Paus hatte zwölf Milliarden pro Jahr gefordert. Sie verwies darauf, dass im Moment weiter darüber verhandelt wird und Ende August ein Gesetzentwurf für das Vorhaben vorliegen werde. In der Kindergrundsicherung sollen mehrere staatliche Leistungen für Kinder zusammengeführt werden, damit Beantragung und Auszahlung unbürokratischer werden und mehr Berechtigte ihnen zustehendes Geld auch abrufen. Strittig zwischen Grünen und FDP ist die Frage, ob daneben auch Leistungen angehoben werden. Dafür setzen sich die Grünen ein.
"Richtig ist, die Kindergrundsicherung wird eine Leistungsverbesserung bringen", sagte Paus. "Und deswegen bin ich zuversichtlich, dass es am Ende mehr als zwei Milliarden werden, richtig ist aber auch, ich rechne nicht damit, dass es zwölf Milliarden werden." Die Mehrheit der Erwachsenen wäre dem Bericht zufolge bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn damit Kinderarmut wirkungsvoll bekämpft werden könnte. Die Bereitschaft ist über die Jahre leicht gesunken. 66 Prozent sagten dazu 2014 "Ja", 2018 waren es 64 Prozent und in der aktuellen Befragung 62 Prozent. Der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, sprach dennoch von einem ermutigenden Signal. "Die Solidarbereitschaft in der Bevölkerung wird derzeit von der Politik massiv unterschätzt."
Die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, sagte: "Ich hoffe sehr, dass diese Zahlen im Ampel-Kabinett wahrgenommen werden und Finanzminister Lindner endlich seine Blockadehaltung aufgibt." Nur mit deutlichen Leistungserhöhungen könne die Kindergrundsicherung ihrem Namen gerecht werden und Kinder wirksam vor Armut schützen.
Quelle: ntv.de, tkr/dpa