Kritik an türkischer Justiz Merkel rügt "Vorverurteilung" Yücels
27.04.2017, 10:38 Uhr
Merkel: "Wir werden uns bemühen, zum Dialog zurückzukehren."
(Foto: REUTERS)
Vor dem Bundestag lässt Kanzlerin Merkel keine Zweifel daran, dass sie das Verfahren gegen den deutsch-türkischen Journalisten Yücel für unfair hält. Das Verhältnis zur Türkei sei "schwer belastet". Dennoch streckt sie Ankara die Hand aus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Türkei mit deutlichen Worten aufgefordert, beim Umgang mit Kritikern wieder zu rechtsstaatlichen Grundsätzen zurückzukehren. Mit Blick auf den in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel sagte die CDU-Politikerin in einer Regierungserklärung im Bundestag zum EU-Sondergipfel: "Es ist - um das unmissverständlich zu sagen - mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar, wenn eine Exekutive, in diesem Fall die türkische Exekutive, Vorverurteilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist."
Merkel nannte das deutsch-türkische und das europäisch-türkische Verhältnis "stark belastet durch die Ereignisse der vergangenen Woche". Am 16. April hatte sich eine Mehrheit der Türken in einem Referendum für eine Verfassungsreform entschieden. "Wir werden uns bemühen, zum Dialog zurückzukehren." Die Bundesregierung werde aber die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards einfordern. Dies gelte auch für Yücel und andere Inhaftierte sowie für Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei.
Die Bundeskanzlerin warnte zugleich vor einem Bruch in den Beziehungen der Türkei zu Europa. "Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch Europas von der Türkei wäre weder im deutschen noch im europäischen Interesse", sagte Merkel. "Mit Klugheit wie mit Klarheit werden wir im Kreise der Europäischen Union darüber beraten, welche präzisen Konsequenzen wir zu welchem Zeitpunkt für angemessen halten."
Das Thema Türkei dürfte beim Sondergipfel der 27 EU-Staaten ohne Großbritannien an diesem Samstag besprochen werden, sagte Merkel. Nach dem Referendum waren aus einigen EU-Staaten zuletzt verstärkt Rufe nach einem einseitigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gekommen. Bei der Abstimmung hatten 51,4 Prozent für ein Verfassungssystem votiert, das Präsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht verleiht.
Oppermann für härtere Gangart gegenüber Türkei
Die Türkei müsse sich unter anderem zu massiven Bedenken zum Ablauf des Verfassungsreferendums erklären, sagte Merkel. Entsprechende Fragen hatten Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats aufgeworfen. Merkel verwies auf Vorwürfe fehlender Chancengleichheit im Wahlkampf und einer Einschränkung der Grundrechte im Ausnahmezustand. Aufmerksam zu verfolgen seien nun auch die weiteren Schritte bei der Umsetzung der Verfassungsreform.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann forderte eine härtere Gangart von Bundesregierung und EU. Die Hoffnung, Erdogan werde sich nach dem gewonnenen Referendum mäßigen, habe sich zerschlagen. "Europa darf Autokraten gegenüber nicht wie ein zahnloser Tiger erscheinen." Die Türkei wolle von der EU Visa-Erleichterungen und Wirtschaftshilfen. "Zugeständnisse wird es nur geben, wenn Zug um Zug die inhaftierten Journalisten und die politischen Gefangenen freigelassen werden." Ein vorschneller Abbruch der EU-Beitrittsgespräche wäre aber falsch, sagte Oppermann: "Nicht wir schlagen der Türkei die Tür für Europa zu, es ist alleine Erdogan, der sein Land von Europa wegführt." Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nannte es dagegen untragbar, dass trotz der Wandlung des Landes in eine "islamistische Diktatur" die EU-Beitrittsgespräche fortgesetzt würden.
Quelle: ntv.de, nsc/dpa/AFP