Tränengaseinsatz an EU-Grenze Mit jeder Stunde wächst die Verzweiflung
29.02.2020, 17:06 Uhr
An der EU-Außengrenze zur Türkei schießt die griechische Polizei mit Tränengas auf Flüchtlinge. Erdogans Mitteilung, die "Tore" seien offen, machte ihnen Hoffnung. Nun belagern sie den Übergang und werden womöglich zum Druckmittel gegen die EU.
Am türkischen Grenzübergang Pazarkule lieferten sich griechische Polizisten und mehr als tausend Flüchtlinge Auseinandersetzungen. Sie stammen zumeist aus Afghanistan, manche aus Irak, Iran, wenige unter ihnen sind aus Syrien. "Griechische Grenzschützer schossen mit Tränengas auf die Menschen", berichtet Kavita Sharma, RTL/ntv-Expertin für den Nahen Osten. Flüchtlinge hätten mit Stöcken geschmissen. "Viele kamen uns stark hustend von der Grenze entgegen, einige brachen zusammen."
Unter denjenigen, die derzeit den Grenzübergang belagern, sind viele Familien, auch mit kleinen Kindern. Mit jeder Stunde, die sie nicht über die Grenze gelangen, wächst laut Sharma ihre Verzweiflung. Viele hätten für ihre Verhältnisse viel Geld für die Reise nach Pazarkule ausgegeben, teure Bustickets bezahlt. "Nun merken die Menschen, dass sie in einer Sackgasse sind." Eine Frau habe gerufen: "Die Türkei sagte uns: Die Türen sind offen. Also kamen wir, aber die Grenze ist dicht. Sind wir keine Menschen?" Mittlerweile bereiten sich viele Menschen auf eine Nacht im Freien vor. "Sie holen Holz aus dem Wald, vereinzelt haben Leute Plastikplanen zum Schutz", sagt Sharma.
Als ein türkischer Offizieller am Freitag erklärte, das Land könne die Flüchtlinge "nicht mehr halten", alle dürften nun in die Europäische Union, machten sich vor allem aus Istanbul Hoffnungsvolle in Reisebussen auf den Weg zur Grenze. Laut dem türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan, sind bereits 18.000 Menschen aus der Türkei in die EU gekommen. Am Grenzübergang Pazarkule ist davon nichts zu beobachten.
"Rückkehr nach Istanbul kommt nicht in Frage"
Wenn Griechenland seine Grenze nicht wieder öffne, "werden wir versuchen, sie heimlich zu überqueren", sagte der syrische Flüchtling Ahmed Barhum. "Eine Rückkehr nach Istanbul kommt nicht in Frage." Am Grenzfluss Evros patrouillierten bewaffnete Polizisten und Soldaten. Laut griechischer Regierung ist die Lage "unter Kontrolle". Ein Sprecher sagte, griechische Grenzbeamte hätten mehr als 4000 illegale Grenzübertritte verhindert. Auch das EU-Mitglied Bulgarien riegelte seine Grenze zur Türkei ab und verstärkte die Kontrolle entlang des Zaunes. Die Bundesregierung erklärte, sie gehe davon aus und erwarte, "dass das EU-Türkei-Abkommen eingehalten wird". Sie stehe "dazu mit allen Beteiligten im Kontakt".
Die EU und die Türkei hatten im März 2016 ein Flüchtlingsabkommen geschlossen, nachdem 2015 hunderttausende Flüchtlinge über die Balkan-Route nach Zentraleuropa gekommen waren. Ankara verpflichtete sich darin, alle neu auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die EU versprach der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.
Griechenland verstärkt laut Regierungssprecher seine Kontrollen auch vor den Inseln im Osten der Ägäis mit mehr als 50 Schiffen der Küstenwache und der Kriegsmarine. Aus Regierungskreisen in Athen hieß es, der türkische Präsident instrumentalisiere die Millionen Migranten in seinem Land, um die EU zu zwingen, ihm mehr Geld zu zahlen, damit er seine Politik und Militäraktion in Syrien fortsetzen könne. Griechenland habe mit dem Krieg in Syrien nichts zu tun und werde nicht den Preis dafür bezahlen, hatte Regierungschef Kyriakos Mitsotakis am Freitag erklärt.
Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP