Demonstration für Europa Moldaus Präsidentin geht nach hartem Winter in die Offensive
20.05.2023, 16:31 Uhr Artikel anhören
Maia Sandu will organisierten Protesten der prorussischen Opposition (wie hier Anfang Mai) proeuropäische Bilder entgegensetzen.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
In der Republik Moldau findet an diesem Sonntag eine Kundgebung statt, deren zentrales Ziel eine Botschaft nach Moskau ist. Das Land kämpft seit Jahren gegen russische Destabilisierungsversuche.
Die Hauptstadt der Republik Moldau Chişinău bereitet sich in diesen Maitagen auf ein besonderes Ereignis vor. Die Präsidentin des Landes, Maia Sandu, hat ihre Bevölkerung aufgerufen, am morgigen Sonntag für eine europäische Zukunft Moldaus zu demonstrieren. Ausgangspunkt wird der symbolträchtige Platz der Großen Nationalversammlung mitten im Zentrum der Hauptstadt sein. Dort wurde 1991 die Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion ausgerufen. In Anlehnung an diese historische Zäsur wurde die anstehende Demonstration als "Nationalversammlung des europäischen Moldaus" angekündigt.

Maia Sandu hat mit Blick auf den russischen Krieg gegen die Ukraine klar Stellung bezogen.
(Foto: picture alliance / SvenSimon-ThePresidentialOfficeU)
Auch die im Ausland lebenden Staatsbürger sind in Berlin, Paris, London und weiteren dreißig europäischen Städte dazu aufgerufen, auf die Straße zu gehen. Der Aufruf Maia Sandus ist der Versuch, eine Gesellschaft zu mobilisieren, deren Mehrheit sich mit rund sechzig Prozent zwar bereits für einen EU-Beitritt des eigenen Landes ausspricht, die sich jedoch seit dem russischen Angriff auf das Nachbarland Ukraine in einem dauerhaften Krisenmodus befindet.
Insbesondere in den ersten Wochen nach dem 24. Februar 2022 befürchtete Chişinău eine direkte militärische Bedrohung durch Russland. Bei einem Erfolg der russischen Truppen im Süden der Ukraine musste mit einer Einnahme der von einem prorussischen Regime geführten moldauischen Region Transnistrien und mit einer direkten Gefährdung des restlichen Landesteils gerechnet werden.
Russland zählt Moldau zu direkten Einflussgebiet
Bereits weit vor Kriegsbeginn intensivierte die russische Führung ihre Destabilisierungsversuche in Moldau, wird das Land doch ähnlich wie die Ukraine oder Georgien zum eigenen Einflussgebiet gezählt. Zunächst reduzierte Moskau die Energielieferungen deutlich und erreichte die gewünschten Folgen: Die moldauische Regierung der reformorientierten Partei Aktion und Solidarität (PAS) hatte, bei einer hundertprozentigen Abhängigkeit von russischen Lieferungen, plötzlich eine massive Energiekrise und eine drohende Versorgungsknappheit zu managen. Eine Verdreifachung der Preise und eine steigende Inflation mit bis zu 35 Prozent - höher als im Kriegsland Ukraine - waren die Folge.
Die schwierige wirtschaftliche Lage nutzte die prorussisch orientierte Oppositionspartei um den Oligarchen Ilan Şor und organisiert seit Herbst 2022 Proteste gegen die Regierung, bei denen bis zu 6500 Menschen teilnahmen. Investigative Recherchen legten jedoch offen, dass viele der Demonstranten Geld für ihre Teilnahme erhielten und so erreichten die Aufmärsche nicht die geplante Mobilisierung größerer Teile der Bevölkerung. Auch für Sonntag kündigte Ilan Şor Gegenproteste in kleineren Städte des Landes an. Wie weitreichend die Destabilisierungspläne Russlands in Moldau im letzten Jahr waren und dass Moskau wohl auch einen gewaltvollen Machtwechsel in Betracht gezogen hat, machte Maia Sandu erstmalig Mitte Februar 2023 öffentlich.
Die proeuropäische Demonstration am Sonntag soll diesem Krisenwinter nun endgültig ein Ende setzen. Die Präsidentin geht damit in die Offensive, wird doch die schwierige ökonomische Lage und die ausbleibenden Erfolge insbesondere im Kampf gegen Korruption mehr und mehr ihr und ihrer Regierung angeheftet. In einer Umfrage aus dem Herbst 2022 machten fünfunddreißig Prozent der Moldauer die Regierung für die gestiegenen Energiekosten verantwortlich, nur fünfzehn Prozent sahen Russland als Verursacher. Dieses Ergebnis ist auch als ein Erfolg russischer Desinformationskampagnen zu verstehen, zielen sie doch massiv auf die Diskreditierung der Regierungspolitik.
Signal nach Moskau, Werbung in Brüssel
Zudem ist Maia Sandus klare Stellungnahme im russischen Angriffskrieg für die sich verteidigende Ukraine nicht bei allen in Moldau beliebt. Etwa sechzig Prozent der Menschen plädieren weiterhin für eine militärische Neutralität des Landes und befürchten, durch die Positionierung ihres Landes selbst zum Ziel zu werden. Auch gibt es weiter Teile der Bevölkerung, die eine Ausrichtung nach Russland präferieren. Häufiger vertreten sind diese Meinungen bei den russischsprachigen Gruppen in Moldau, die etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen und sich aus der ukrainischen, russischen, bulgarischen und gagausischen Minderheit im Land zusammensetzen.
Die "Nationalversammlung für ein europäisches Moldau" ist zudem als eine unmissverständliche Nachricht an die politische Führung in Russland und deren politische Partner in Moldau zu lesen. Klar ist, dass sich die Republik Moldau unter der gegenwärtigen Regierung dem Hegemonialanspruch Moskaus nicht unterordnen und den europäischen Reformkurs auch bei Gegenwind weiterverfolgen wird. Werden dem Aufruf der Präsidentin am Sonntag tatsächlich mehrere Zehntausende folgen, wird das ein klares Signal an Moskau sein. Zugleich sollen die erhofften Bilder aus dem EU-Fahnen schwenkenden Chişinău auch Werbung in eigener Sache in Brüssel und insbesondere bei den EU-Mitgliedsstaaten sein, die Zweifel an Beitrittsverhandlungen mit Moldau haben.
In den letzten Wochen hat Maia Sandu vielfach betont, die Demonstration sei nicht ihre Veranstaltung und keineswegs eine Werbeveranstaltung für ihre Person und ihre Partei, vielmehr richtete es sich an allen Bürger und Bürgerinnen, an die Zivilgesellschaft sowie proeuropäischen Parteien und Politiker. Dennoch ist klar, dass ein gefüllter Hauptplatz am Sonntag auch als ein Erfolg der Präsidentin und ihres politischen Kurses gezählt werden wird. Es ist damit zu rechnen, dass vorwiegend die Bewohner der Hauptstadt dem Aufruf folgen werden. Sehen sie ihr Land doch tatsächlich an einem historischen Scheideweg und möchte mit dem EU-Beitritt ein neues hoffnungsvolleres Kapitel in der Geschichte ihres Landes eröffnen. In den zurückliegenden mehr als dreißig Jahren Unabhängigkeit schwankten die Republik Moldau immer wieder zwischen einem proeuropäischen und prorussischen Kurs. An der massiven Korruption, den oligarischen Netzwerken und schwacher Staatlichkeit änderte keine Regierung etwas.
Entscheidende anderthalb Jahre
Wenn die Nationalversammlung tatsächlich ein Erfolg werden sollte, könnte der 21. Mai der Auftakt eines europäischen Sommers für Moldau werden. Am 1. Juni werden in Moldau fünfzig europäische Regierungschefs und Vertretern der Europäischen Union zum zweiten Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft erwartet. Moldau wird dann das Gastland eines eintägigen Austausches der Europäer sein, die über Sicherheit, Energielieferungen und weitere Kooperationen beraten werden. Die Gastgeberrolle ist für Moldau noch ungewohnt, wird es doch die größte internationale Veranstaltung in der Geschichte der Republik. Auch mit der Organisation dieses Events möchte sich Moldau für eine baldige Aufnahme in die EU qualifizieren. Zudem hat Brüssel die Unterstützung Moldaus in den letzten Wochen abermals intensiviert. Eine weitere zivile Mission wurde nach Chişinău entsandt, die unter anderem die moldauischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen Desinformation und hybrider Kriegsführung beistehen soll.
Für die Zukunft Moldaus werden die kommenden eineinhalb Jahre bis zur nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahl entscheidend sein. Zunächst hängt die Zukunft des Landes von der Entwicklung des Krieges in der Ukraine ab. Sollte die Ukraine weitere Erfolge erzielen und Russland schwächen, wird das auch den Handlungsspielraum der moldauischen Regierung erweitern. Die Energie- und Sicherheitskrise beanspruchte die Regierung in Chișinău dermaßen, dass eigentlich geplante und dringend notwendige Reformvorhaben, vor allem im Justizsektor, nur nachrangig behandelt werden konnten und nun dringend umgesetzt werden müssen. Deshalb wird es darauf ankommen, ob die Regierung mit ihrem klaren europafreundlichen Reformkurs die Wählerinnen und Wähler abermals überzeugen kann, selbst wenn sich Erfolge ihrer Politik aufgrund der angespannten Wirtschafts- und Sicherheitslage höchstwahrscheinlich erst weit später einstellen werden.
Brigitta Triebel leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chişinău (Republik Moldau). Zuvor war die promovierte Osteuropahistorikerin und Politikwissenschaftlerin für die Stiftung in der Ostukraine (Charkiw) tätig.
Quelle: ntv.de