Politik

Moldau will von Russland weg Die Ukraine kämpft auch für das "Armenhaus Europas"

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Hammer und Sichel in Tiraspol, der Hauptstadt von Transnistrien. Auf dem Gebiet der Republik Moldau gibt es seit über 30 Jahren ein prorussisches Separatistengebiet.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Republik Moldau weiß, was es heißt, von Russland bedroht zu werden. Seit über 30 Jahren destabilisiert Moskau das kleine Land. Die Opposition wird unterstützt, prorussische Separatisten halten einen ganzen Landstrich besetzt. Moldaus Geheimdienst fürchtet mittlerweile sogar einen russischen Angriff.

In Bachmut, Kreminna und Wuhledar entscheidet sich nicht nur das Schicksal der Ukraine, sondern auch der Republik Moldau. Die Präsidentin des kleinen osteuropäischen Landes, Maia Sandu, hat vergangene Woche in einem ZDF-Interview gesagt: "Solange die ukrainische Armee die russische Armee von unserer Grenze fernhält, gibt es keine direkte militärische Bedrohung für uns".

Moldau grenzt im Westen an Rumänien, im Norden und Osten an die Ukraine. In keinem anderen Nachbarland ist der russische Angriffskrieg so präsent wie in dem bitterarmen Mini-Staat. Die Regierung will in die EU, gleichzeitig destabilisiert Moskau das kleine Land seit Jahren. Moldau, nur so groß wie Nordrhein-Westfalen, gleicht einem Pulverfass. "Wir sehen in der Republik Moldau eine sich fortlaufend drehende innenpolitische Zuspitzung eines Konflikts, gleichzeitig eine Zuspitzung des Konflikts mit Russland. Ein wesentliches Merkmal dieses Konflikts ist, dass dieser hybrid geführt wird. Das heißt, es kommen ganz unterschiedliche Mittel zum Einsatz", sagt Hannes Meissner, Politikwissenschaftler und Risikoanalyst von der Universität Wien, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Vor mehr als 30 Jahren hat Moldau nach dem Zerfall der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erlangt. Und trotzdem ist Russland noch immer stark präsent im Land. Allein schon wegen Transnistrien, dem kleinen Landstreifen an der Grenze zur Ukraine, der seit Ende der Sowjetunion ein sogenannter de-facto-Staat ist - mit staatlichen Strukturen, einer eigenen Regierung und Währung. Es fehlt aber die Anerkennung durch andere Länder. Völkerrechtlich ist Transnistrien immer noch Teil der Republik Moldau.

Finanziert wird die Separatistenregion durch den Kreml, der mit 1500 permanent stationierten russischen Soldaten dafür sorgt, dass Moldau keinen Versuch unternimmt, das Gebiet wieder unter die eigene Kontrolle zu bringen. Russland hält Transnistrien als eine Art Außenstelle am Leben, destabilisiert damit Moldau, dessen Regierung eigentlich in die EU strebt.

Russland führt hybriden Krieg

Durch den Ukraine-Krieg hat sich die Situation für Moldau noch einmal deutlich zugespitzt. "Die Konflikt- und Kriegsführung ermöglicht Russland zwei Fronten. Eine militärische, traditionelle Kriegsführung ist möglich. Allerdings sind die russischen Truppen derzeit in der Ukraine gebunden. Was Präsidentin Maia Sandu im ZDF gesagt hat, dass die Ukraine auch Moldau schützt, ist aus militärischer Perspektive nachvollziehbar", analysiert Meissner, der auch am Kompetenzzentrum für Schwarzmeerstudien der Fachhochschule des BFI Wien arbeitet.

In der Theorie würde ein Angriff auf Moldau Sinn ergeben: Von Transnistrien aus könnten russische Truppen die Ukraine auch im Südwesten unter Druck setzen und die Schwarzmeerstadt Odessa ins Visier nehmen.

Dennoch ist eine militärische Intervention sehr unwahrscheinlich: Zum einen kann sich Russland eine zweite Front derzeit kaum leisten, zum anderen kann Moskau den kleinen Staat auch ohne Angriff im eigenen Einflussbereich halten. Allein die bloße Existenz Transnistriens steht einer EU-Mitgliedschaft derzeit entgegen.

Meissner hält eine militärische Eskalation auf dem Territorium der Republik derzeit für "unwahrscheinlich", betont aber, dass Russland längst einen Hybridkrieg gegen das kleine osteuropäische Land führe. Wozu das führen kann, zeigt der Rücktritt der moldauischen Regierung vor wenigen Wochen. Ministerpräsidentin Natalia Gavrilita zog Mitte Februar nach nur eineinhalb Jahren im Amt die Reißleine - und mit ihr das gesamte Kabinett.

Für Osteuropaforscher Meissner kam das nicht überraschend. Das Land sei nach drei Jahrzehnten mit hohen Abhängigkeiten zu Russland in einem "prekären Zustand". Die Inflation ist hoch, im Januar lag sie bei 27 Prozent. Die Energiekosten sind noch deutlich stärker gestiegen als in Westeuropa. Bislang hat Moldau 80 Prozent seines Gases aus Russland bekommen. Der Weg, alternative Energiepartner zu finden, ist für Moldau ein beschwerlicher. "Die hohe Abhängigkeit Moldaus zu Russland, vor allem im Hinblick auf Gas- und Energielieferungen, macht das Land höchst vulnerabel. Und das ist natürlich eine Abhängigkeit, die Moskau bewusst gesteuert hat und die jetzt zum Einsatz kommt", erklärt Meissner im Podcast.

Die Zustände waren schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs desolat. "Das Land galt in der Vergangenheit als Armenhaus Europas, als ein Land, in dem Korruption, Oligarchie und organisierte Kriminalität blühen. Das Land war von einer großen Auswanderungswelle betroffen, vor allem gebildete Bevölkerungsschichten gehen ins Ausland", analysiert Meissner. Der Moldau-Experte sieht das Land stark geschwächt. "Russland kann diese Schwäche nun gezielt nutzen."

Exil-Oligarch wettert gegen Regierung

Die Probleme im Land hat die prorussische Opposition genutzt, um massiv Stimmung gegen die westlich ausgerichtete Regierung zu machen. Vor allem der Oligarch Ilan Shor hat mit seiner Shor-Partei Massenproteste organisiert. Der schwerreiche 35-Jährige ist zwar gar nicht im Land, weil er sich einer Haftstrafe entzieht, die moldauische Politik wirbelt er aber trotzdem auf. Er stachelt die unzufriedenen Leute auf, lässt sich bei den Demos per Video zuschalten. Und Russland unterstützt ihn dabei, Stimmung gegen die Regierung zu machen. Teilweise wurden Demonstranten sogar bezahlt, um auf die Straße zu gehen.

Ungeachtet der Demonstrationen und Bedrohungen aus Russland, hat das moldauische Parlament erneut einen pro-europäischen Politiker zum Regierungschef gewählt. Dorin Recean ist seit gut zwei Wochen als Nachfolger von Natalia Gavrilita im Amt. Eines seiner Hauptziele ist es, Moldaus EU-Beitritt voranzutreiben. Das wird aber auch trotz mancher Reformen, die auf den Weg gebracht wurden, noch Jahre dauern. Im Regierungsprogramm wird außerdem der Wunsch geäußert, dass man "in einer sicheren Welt leben" wolle, in der "kleine Staaten respektiert" werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin scheint ihm diesen Wunsch aber nicht zu erfüllen. Nur wenige Tage nach dem Amtsantritt des neuen Ministerpräsidenten annullierte der Kreml-Chef ein Dekret zur Transnistrien-Frage. "Dieses Dekret aus dem Jahr 2012 sah vor, dass man den Transnistrien-Konflikt nur unter Wahrung der territorialen Integrität, Souveränität und Neutralität Moldaus lösen würde. Das war eine Zusicherung Russlands, die Unabhängigkeit Moldaus zu wahren. Indem man das jetzt zurücknimmt, wird Moldau die Unabhängigkeit symbolisch aberkannt", ordnet Meissner bei "Wieder was gelernt" ein.

Biden "stolz" an der Seite Moldaus

Russland werde wahrscheinlich weiter auf Destabilisierung und Bedrohung setzen - zum Beispiel mit Vorwürfen wie dem, dass die Ukraine nach Transnistrien einmarschieren will. Das russische Verteidigungsministerium sagt, Kiew wolle einen Einmarsch russischer Soldaten inszenieren, um einen Vorwand für eine eigene Invasion zu haben - ein Vorwurf, denn die moldauische Regierung als "Falschinformation" abtut. Es gehe Russland nur darum, "Panik und Konfusion" zu verbreiten, heißt es von der Regierung.

"Solche Informationen, die in diesem Fall gestreut werden, sind im Kontext der Konflikt- und Kriegsführung zu setzen. Was in solchen Fällen weiterhelfen kann, ist eine analytische Hinterfragung, wer denn nun von so einem Szenario profitieren könnte. Und dann wird klar, dass das nicht im Interesse der Ukrainer sein kann", so Meissner.

Kiews Truppen, die außerhalb des ukrainischen Territoriums eine weitere Front eröffnen? Das ist undenkbar in der aktuellen Situation. Bei Russland sei die Motivlage eine andere, macht Experte Meissner im Podcast deutlich. "Russland, und das wird immer deutlicher, zielt auf eine Reintegration der postsowjetischen Länder in den eigenen Kontrollbereich ab."

Das kleine Moldau will sich trotz der Drohungen aus Russland nicht unterkriegen lassen, scheint aber derzeit weitgehend vom Kriegsverlauf in der Ukraine abhängig zu sein. Das Land ist winzig, hat nur 2,6 Millionen Einwohner und kaum militärische Mittel, um sich im Ernstfall gegen Russland verteidigen zu können.

Immerhin, und das ist das Positive, wird Russlands seit Jahrzehnten andauernder Hybridkrieg gegen Moldau inzwischen endlich sichtbar für den Rest der Welt. Sogar US-Präsident Joe Biden sprach Präsidentin Sandu und das moldauische Volk vergangene Woche direkt an, als er nach seinem Kiew-Besuch in Warschau eine Rede hielt. "Das moldauische Volk ist entschlossen, es will in Freiheit leben und in die Europäische Union. Ich stehe stolz an der Seite von Präsidentin Maia Sandu und den freiheitsliebenden Menschen der Republik Moldau."

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

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Quelle: ntv.de

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